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Eine besorgniserregende Anzahl an Menschen mobilisiert sich innerhalb kürzester Zeit, um eine Petition gegen das Unterrichten von queeren Themen an Luxemburgs Schulen auszusprechen. Das ist homophob, auch wenn Unterzeichner*innen sich dessen vielleicht nicht bewusst sind.
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Nur drei Tage hat es gedauert, bis die Petition Nummer 3198 von 4.500 Menschen unterschrieben wurde – genug, um in der Abgeordnetenkammer debattiert werden zu müssen. Das schaffen die wenigsten Petitionen überhaupt, geschweige denn in so einem kurzen Zeitraum. Inzwischen (Stand 24.07.2024, 15.00 Uhr) sind es über 6.000 Menschen, die sich öffentlich und mit vollem Namen "gegen die Einbindung von LGBT-Themen in die Lehrpläne für Minderjährige" aussprechen.
Die Argumentation des Verfassers beruht auf einer bedachten Rhetorik, ohne die die Petition vermutlich auch nicht angenommen worden wäre. Demnach solle jede Familie das Recht haben, solche Themen nach ihren eigenen Überzeugungen und Prinzipien zu behandeln. Die Petition fordert, dass entweder LGBT-Themen aus den Lehrplänen für Minderjährige ausgeschlossen werden oder dass den Familien die Wahl gegeben wird, ob ihre Kinder daran teilnehmen sollen oder nicht. Das Argument hierfür wiederholt das bei Rechtspopulist*innen beliebte Narrativ der besorgten Bürger*innen: Der Verfasser "befürchtet", dass die Einführung dieser Themen in einem zu frühen Alter die psychopädagogische Entwicklung der Kinder stören könnte. Die Betonung liegt auf könnte, denn Fakten oder Beweise fehlen. Kein Wunder, denn solche existieren nicht.
Zwei Dinge vorweg: 1. Nein, das Thematisieren von queeren Thematiken an Schulen oder die Geschlechtsidentität eines Menschen an sich hat nichts mit Sex oder Pornografie zu tun. 2. Queerness kann man einem Menschen genauso wenig anerziehen, wie man ihm sie aberziehen kann. In folgenden Journal-Artikeln gibt es ausführliche Informationen und Fakten zu diesen Punkten:
Dass so viele Menschen diese Forderung in so kurzer Zeit unterschrieben haben, ist zwar erschreckend, aber nicht überraschend. Und ich bin mir sogar sicher, dass sehr viele, wenn nicht die Mehrheit der 6.000 Unterzeichner*innen vehement verneinen würden, dass sie etwas gegen queere Menschen haben. Und genau hier liegt die Crux: das Unwissen und die Ignoranz, die zu diesen Themen in der luxemburgischen Bevölkerung herrscht.
Dabei ist der Akt an sich, diese Petition zu unterschreiben, sehr wohl homophob und transfeindlich, ob man sich dessen bewusst ist, oder nicht. Ein Satz, am Ende des Textes, in dem der Verfasser klarstellen will, dass die Petition nicht dazu diene, Diskriminierung und Hass gegen LGBT-Personen zu fördern, ändert daran auch nichts.
Wichtiger als all diese Scheinargumente, die die Debatte verfälschen, ist ein tatsächlich nachweisbarer Fakt: Das Unsichtbarmachen von queeren Menschen fördert Diskriminierung und Hass. Damit wir uns das besser vorstellen können, hilft ein praktisches Beispiel. Stellen wir uns vor, in Schulen würde verboten, über LGBT-Themen zu sprechen. Ein Jugendlicher, der mit dem Einsetzen der Pubertät bemerkt, dass er anders fühlt, als die meisten seiner Mitschüler*innen, bleibt damit alleine. In seiner Familie, der diese Themen laut Petitionär überlassen sein sollen, ist ebenso wenig Raum für queere Themen. Dass gleichgeschlechtliche Liebe, Transsexualität oder andere queere Thematiken zu unserer Gesellschaft dazugehören und normal sind, wird er nicht erfahren. Stattdessen wird ihm suggeriert, dass darüber nicht gesprochen werden darf und dass für seine Gefühle kein Platz ist. Dass es an der gleichen Schule mehrere Jugendliche gibt, die sich genauso fühlen, werden sie nie voneinander erfahren, denn für diese Themen gibt es ja keinen Raum. Sie sind Tabu.
"Es ist unsere Verantwortung, öffentliche Einrichtungen zu sicheren Orten für alle zu machen. Das ist nur durch Aufklärung möglich, nie durch Totschweigen."
Der internationale Forschungsstand belegt, dass queere Jugendliche sich weltweit vier- bis sechsmal häufiger versuchen, das Leben zu nehmen, als andere. Am gefährdetsten sind Transpersonen. Weitere Studien zeigten bereits in der Vergangenheit, dass nicht die sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität direkt zu einer erhöhten Rate von Depressionen oder Suizidversuchen beitrugen, sondern die Ablehnung durch eine feindlich eingestellte Umgebung.
Eine rezente Studie der European Agency for Fundamental Rights mit dem Namen LGBTIQ at a crossroads: progress and challenges, die im Mai 2024 erschienen ist, beweist, wie allgegenwärtig genau diese Ablehnung in Luxemburg ist: "In Luxemburg geben 68% aller Befragten an, dass sie in der Schule Mobbing, Spott, Hänseleien, Beleidigungen oder Bedrohungen erlitten haben, weil sie LGBTIQ sind. Für die EU-27 sind es 67%, ein deutlicher Anstieg im Vergleich zu 2019 (43%)." Weiter heißt es in der Studie, dass 44 Prozent der Jugendlichen ihre Queerness in der Schule verstecken. 66 Prozent gaben an, dass queere Themen in ihrer schulischen Bildung nie angesprochen wurden. EU-weit gaben 62 Prozent dies an.
Es ist unsere Verantwortung als Gesellschaft Jugendliche über die Welt aufzuklären, in der wir leben. Diese Welt ist vielfältig und es sollte für jeden Raum geben – besonders in Schulen, denn dort ist Mobbing ein alltägliches Thema. Es ist unsere Verantwortung, öffentliche Einrichtungen zu sicheren Orten für alle zu machen. Das ist nur durch Aufklärung möglich, nie durch Totschweigen. Es ist unsere Verantwortung, zu verhindern, dass Jugendliche aufgrund ihrer Identität keinen anderen Ausweg sehen, als Selbstmord.