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Deckel auf, Zeitung rein, Knopfdruck, fertig? Die digitale Archivierung von Zeitungen ist komplexer als das. Im Frühjahr hat die Nationalbibliothek mit den Vorbereitungen begonnen, um das zwischen 1948 und 2020 erschienene Lëtzebuerger Journal in die eluxemburgensia-Plattform aufzunehmen.
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Es als eine Herkulesaufgabe zu beschreiben, ist vermutlich keine Übertreibung. Vor mehr als 20 Jahren setzte sich die Nationalbibliothek (BnL) das ambitionierte Ziel, das gedruckte kulturelle Erbe des Landes zu digitalisieren und über das eluxemburgensia-Portal zugänglich zu machen. Man muss sich das einmal vor Augen halten, um den Umfang des 2002 gesetzten Ziels zu verstehen. Romane, Sachbücher, Tages- und Wochenzeitungen, Monatsschriften, alle das öffentliche Interesse tangierende Publikationen von Gemeinden, Vereinen, Institutionen, Postkarten sowie Plakate, also alle Dokumente, die unter die gesetzlich festgeschriebene Pflichtabgabeverordnung (siehe Infobox) fallen, sollen der Nachwelt erhalten bleiben.
Der Zufall will es, dass die Digitalisierung des Journal in das 75. Jubiläumsjahr der zwischen 1948 und 2020 erschienenen Tageszeitung fällt. Der ganze Prozess, von der Analyse der Zeitung über das Scannen und die Aufbereitung der Metadaten bis hin zur Online-Veröffentlichung, zieht sich über gut zwei Jahre. In den Vorläuferzeitungen, aus denen das Lëtzebuerger Journal 1948 hervorgegangen ist, namentlich die Obermosel-Zeitung (erschienen von 1881 bis 1941 und von 1945 bis 1948) und die D'Unio'n (1944 bis 1948), können Nutzer*innen bereits heute auf der Online-Plattform eluxemburgensia herumstöbern.
Vor etwa neun Monaten liefen die Planungsarbeiten für die Digitalisierung des Journal an. "Die Vorbereitungsphase ist sehr wichtig. Sie entscheidet über das restliche Projekt", sagt Ralph Marschall. Er ist Projektmanager, Koordinator der Ausschreibung (dazu später mehr) und Entwickler der eluxemburgensia-Plattform.
"Die Vorbereitungsphase ist sehr wichtig. Sie entscheidet über das restliche Projekt."
Ralph Marschall, Projektmanager und Koordinator der Ausschreibung
"Das Lëtzebuerger Journal umfasst insgesamt 73 Jahrgänge. Das entspricht in etwa 20.000 Ausgaben und 363.000 Seiten, die jetzt digitalisiert werden", führt Martine Mathay aus. Sie koordiniert die Planungsphase sowie die Vorbereitungen der Dokumente auf die Digitalisierung. Analysieren heißt, über jede Ausgabe penibel Buch zu führen über die Seitenzahl, Beilagen, Errata, den Zustand der Ausgabe, die Namen der Redakteur*innen. Kurzum: eine detaillierte Bestandsaufnahme des Titels auf Vollständigkeit und Erhaltungszustand sowie dessen redaktionelle und verlegerische Geschichte, wie Mathay ergänzt. Es sind Mitarbeiter*innen und Studierende, die diese mühsame Arbeit erledigen. Die rund 300.000 Journal-Seiten durchzugehen, beschäftigte eine Person mehr als ein halbes Jahr.
Verschiedene Kriterien (siehe Infobox) beeinflussen die Auswahl und Priorisierung im Rahmen des Digitalisierungsprojekts. Gerade bei historischen Zeitungen, die über einen langen Zeitraum herausgegeben wurden, so wie bei den Vorgängerzeitungen des Journal, neigt die BnL zu einer chronologischen Vorgehensweise, "das heißt, uns von den ältesten und teils auch fragilsten Dokumenten in das 20. Jahrhundert durchzuarbeiten", erklärt Mathay. Damit verfolgt die Nationalbibliothek das Ziel, Publikationen aufzubewahren, die aufgrund ihrer früheren Lagerbedingungen, ihres Alters und/oder der Papierqualität am anfälligsten sind. Denn früher oder später verfallen alle Zeitungen "zu Staub". Es hat auch den Vorteil, dass die Rechtelage einfacher ist. Die Bild- und Autor*innenrechte erlöschen 70 Jahre nach dem Ableben ihrer Urheber*innen. Die Nationalbibliothek geht davon aus, dass vor 1881 erschienene Werke ab 2023 ins "public domain" rücken, also gemeinfrei sind. "Bei historischen Zeitungen, wo die Rechte der Urheber und Produzenten erloschen sind, ist die Rechtelage relativ einfach und die Inhalte sind frei zugänglich. Bei allen anderen Titeln sind umfassende Konventionen mit den Verlagshäusern und eine Rechteklärung mit den Autoren, Journalisten, Fotografen, Illustratoren, Karikaturisten oder deren Anspruchsberechtigten vonnöten." Zu diesem Zweck führt die BnL in Kooperation mit den Verleger*innen und mit Luxorr umfangreiche Recherchen durch, um die Rechteinhaber*innen zu identifizieren und anzuschreiben, und sich ihr Einverständnis einzuholen. Die Erfahrungen einer systematischen Rechteklärung mit der Zeitschrift für Luxemburger Geschichte Hémecht (die unter diesen Namen seit 1964 erscheint) beziehungsweise dem Lëtzebuerger Land (seit 1954) haben gezeigt, dass Einsprüche die absolute Ausnahme sind.
"Da Zeitungen oftmals eine Vielzahl an nicht signierten Artikeln, Fotografien und Illustrationen publizieren, erweist sich die Identifizierung der Urheber oftmals als schwierig, bis unmöglich, sodass ein Restrisiko weiterhin bestehen bleibt", führt Mathay aus. Kommt es dennoch nachträglich zu einer Beschwerde, können die entsprechenden Texte in der Online-Version geschwärzt und 70 Jahre nach dem Tod des*der Urhebers*in wieder sichtbar gemacht werden.
Warum das Alter nicht unbedingt Rückschlüsse auf den Erhaltungszustand zulässt
Martine Mathay holt einen Karton und hebt ihn auf den Tisch. "Das ist ein typisches Beispiel dafür, wie wir Spenden erhalten." In der Pappkiste stapeln sich zusammengefaltete Exemplare der Luxemburger Zeitung (1868 bis 1941). So, wie sie jemand vor Jahrzehnten hineingelegt haben muss, um sie später auf einem Dachboden oder einem Keller zu verstauen. Das Konkurrenzblatt zum Luxemburger Wort ist Teil der aktuellen Digitalisierungskampagne und wird von Forscher*innen verschiedenster Bereiche mit Spannung erwartet. Auf den ersten Blick sieht man, dass sich die Ausgabe von 1916 an den Knickstellen zerteilt hat. "Zeitungspapier besteht aus Cellulose, oftmals auf Holz- oder Altpapierbasis. Säuren, die herstellungsbedingt in das Papier gelangen, bauen die Cellulose ab, die für die mechanische Festigkeit des Papiers zuständig ist. Das hat zur Folge, dass das Papier brüchig und spröde wird. Risse und Bruchstellen im Papier können teilweise restauriert werden, auch wenn Textstellen an den Knickpunkten verloren gegangen sind."
Über eluxemburgensia
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Mehr als 500 Bücher, Biografien, Sachbücher oder historische Monografien, 113.000 Zeitschriften, 700 Plakate, 17.000 Postkarten, die alles in allem einen Fundus von über einer Million Seiten ausmachen, sind bereits in der digitalen Sammlung zu finden. Der Prozess zur Digitalisierung von Büchern steht Mathay zufolge "noch am Anfang". "Bei Büchern schreiben wir inzwischen eine bis zwei Millionen Seiten im Jahr aus und im nächsten Jahr werden wir Projekte in einem Umfang von einer Million Seiten zurückbekommen. Das ist in etwa der Rhythmus, den wir in Zukunft beibehalten müssen", erklärt Ralph Marschall. Erschwert wird die Archivierungsarbeit durch vergriffene Bücher oder unvollständige Reihen. Hin und wieder tauchen auch längst von der Allgemeinheit vergessene Zeitschriften plötzlich wieder auf.
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Sämtliche in Luxemburg herausgegebene Publikationen, die das politische, wirtschaftliche, soziale, kulturelle, wissenschaftliche, religiöse oder touristische Leben betreffen, müssen in Form von Pflichtexemplaren in der Nationalbibliothek hinterlegt werden. Die gesetzliche Pflichtabgabe umfasst Bücher, Broschüren, Zeitungen, Fachzeitschriften, Plakate, Kalender, Partituren oder Theaterstücke, unabhängig davon, ob es sich um Druckerzeugnisse oder digitale Publikationen handelt. In jährlich erstellten Nationalbiografien, die derzeit nicht online einsehbar sind, führt die BnL sozusagen Buch über das publizistische Leben des Landes.
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Bei der Auswahl der für eine Digitalisierung infrage kommenden Publikationen richtet sich die BnL nach einer Vielzahl von Kriterien, die vom allgemeinen Zustand über den Seltenheitswert, die Vollständigkeit bis hin zum historischen und wissenschaftlichen Interesse und Nachfrage der Öffentlichkeit oder der Forschung reichen.
Die Vorbereitungsphase, zu der parallel die Rechteklärung der einzelnen Titel läuft, lässt sich in vier Arbeitsschritte einteilen:
- Die Auswahl und Priorisierung der Titel nach den genannten Auswahlkriterien
- Die Analyse der Titel
- Die Vervollständigung der fehlenden Ausgaben durch Leihgaben oder Spenden von Kulturinstituten, Verlagen und Privatpersonen.
- Die Restaurierung und Verpackung in Archivboxen (Transport und Lagerung).
Ralph Marschall, Martine Mathay
Über das Alter einer Zeitung kann man – abgesehen von Aufbewahrungsbedingungen – nicht unbedingt Rückschlüsse auf den Erhaltungszustand ziehen. "Wir haben Zeitungen aus dem 19. Jahrhundert, die auch heute noch sehr gut aussehen, einfach weil es sich um einen ganz andern Papiertyp handelte." Bis Anfang des 19. Jahrhunderts wurde die Papierfaser aus Leinen (Flachs) gewonnen, indem Textilien oder Lumpen verwendet wurden. Im Kontrast zu industriell gefertigtem Papier auf der Grundlage von Holz sei dieses historische Papier beständiger. Für ihre Konservierung ist das von Vorteil.
Auch die ersten Journal-Ausgaben sehen nicht mehr unbedingt ganz frisch aus. Ein großer Fleck ziert die Titelseite eines Exemplars der ersten Auflage – vielleicht auf eine Tasse Kaffee zurückzuführen oder weil die Zeitung nass wurde – und brüchige Eselsohren die Ränder. "In der Nachkriegszeit war das Papier teuer und die Qualität des vom Journal benutzten Papiers in den Anfangsjahren nicht die beste."
Die zurückbehaltenen Bände müssen für den Scanprozess vorbereitet und restauriert werden. Zu diesem Zweck werden die Seiten aus dem Buchumschlag gelöst, Eselsohren und Falten entfernt und anschließend stapelweise über Nacht in Pressen geglättet. Später werden die losen Seiten in Archivboxen gelegt, die verhindern, dass das Papier durch Umwelteinflüsse weiter angegriffen wird. "Wir versuchen, die Zeitungen in diesem Format so lange wie möglich auf Papier zu erhalten."
Zuvor gilt es sicherzustellen, dass das Druckprodukt vollständig ist und fehlende oder beschädigte Ausgaben idealerweise durch besser erhaltene Exemplare zu ersetzen. Eine nicht immer einfache Aufgabe, denn aus einer rein materiellen Perspektive betrachtet spielte die Lebensdauer bei der Herstellung von Zeitungen eigentlich keine Rolle. Es war ein Gebrauchsgegenstand, dessen zeitgeschichtlicher Wert erst viel später erkannt wurde. Da Zeitungspapier ein fragiles Medium ist, könne diese Phase je nach Titel sehr langatmig ausfallen, berichtet Mathay.
"Wir haben Zeitungen aus dem 19. Jahrhundert, die auch heute noch sehr gut aussehen, einfach weil es sich um einen ganz andern Papiertyp handelte."
Martine Mathay, Koordinatorin der Planungsphase und Vorbereitungen der Dokumente
Im August waren die Vorbereitungsarbeiten für die Digitalisierung des Lëtzebuerger Journal noch nicht abgeschlossen, "spätestens bis Ende Oktober" sollte es so weit sein. "Wir wollen noch vor Jahresende die Ausschreibung machen." Sowohl die Restaurierung als auch die eigentliche Digitalisierungsarbeit überlässt die BnL spezialisierten externen Firmen. Das Lastenheft umfasst in ausgedruckter Form zwei kleine Ordner. Alles ist bis ins kleinste Detail geregelt. "Es sind vor allem Unternehmen aus Europa sowie auch Indien, die mitmachen. Die Zeitungen bleiben aber in Europa und werden hier gescannt", führt Marschall aus. Auf diese Weise will die BnL Risiken beim wie auch die Auswirkungen durch den Transport begrenzen. "Das ist uns wichtig, weil wir viel in die Restauration und Archivierung der Dokumente investieren und das später unsere Archivkopie sein wird", ergänzt Mathay. Bislang habe es damit noch keine Probleme gegeben – auch wenn aufgrund des Ukrainekrieges in einem Fall das Transportunternehmen einen größeren Umweg nehmen musste. Wie alle anderen Dokumente auch wird die Archivkopie später bei 18° Celsius und 50 Prozent Luftfeuchtigkeit – die optimalen Bedingungen zur Konservierung von Papier – im Lager des 2019 eingeweihten Neubaus der BnL konserviert. Klar, dass der Zugang zu den Originalen eingeschränkt wird, sobald die Zeitungen online abrufbar sind.
Voraussichtlich Anfang des nächsten Jahres werden die Archivboxen der vier Titel – die Ausschreibung umfasst neben dem Journal noch das Tageblatt von 1951 bis 2014, die Cahiers Luxembourgeois und die Annalen des Acker- und Gartenbau-Vereins – ihre Reise antreten. Circa acht Monate und ungleich mehr Lebenszeit von Journalist*innen, Fotograf*innen und vielen anderen Beteiligten stecken in einem Karton. "So kommen wir fast auf eine Million Seiten", so Mathay. Der gesamte Online-Fundus von eluxemburgensia wird sich so in naher Zukunft mal eben auf mehr als zwei Millionen Seiten verdoppeln.
Die digitale Erfassung eines Druckprodukts ist wiederum eine "Riesenaufgabe" für sich, so Marschall. Seite für Seite werden alle Dokumente gescannt. Anschließend durchlaufen die digitalisierten Seiten einen halbautomatisierten Prozess, der Text und die verschiedenen Layoutelemente (Titel, Artikel, Illustrationen, Anzeigen und vieles mehr) erkennt. Dennoch werden alle Seiten noch einmal einzeln begutachtet, um sicherzustellen, dass die verschiedenen Elemente richtig strukturiert sind. Nach Abschluss des Projekts (voraussichtlich im Frühjahr 2025) werden auch die Artikel aus der jüngeren Vergangenheit des Journal wieder aufleben, die im Zuge der Neuausrichtung auf ein rein digitales Medium, zum Leidwesen mancher Mitwirkenden und Beobachter*innen, dem neuen Webauftritt des digitalen Magazins weichen mussten.
Neue KI-Werkzeuge am Start
Bis 2030 hofft die Nationalbibliothek, zumindest den Großteil der Luxemburger Tages- und Wochenzeitungen zu digitalisieren. Aber selbst dann bleibt noch viel zu tun. "Luxemburg befindet sich in der einzigartigen Situation, ein Land zu sein, das extrem viel publiziert hat. Im 19. und 20. Jahrhundert erscheint fast jeden Monat eine neue Publikation. Manche waren Eintagsfliegen, die nach ein paar Ausgaben oder nach ein paar Jahren in der Versenkung verschwanden", weiß Mathay, die beim Vor-Ort-Termin auch noch verrät, dass in den kommenden Jahren die Aufarbeitung der Zeitungen des Nationalsozialismus und der Resistenzbewegungen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs ansteht, ebenso wie der restlichen Luxemburger Tages- und Wochenzeitungen. Auch die Digitalisierung der Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek, der woxx und ihres Vorgängers, dem GréngeSpoun, ist in Planung.
"Bis 2030 versuchen wir den Großteil der Luxemburger Tages- und Wochenzeitungen zu digitalisieren."
Martine Mathay
Früher oder später schließt die Digitalisierung der historischen Dokumente zur Gegenwart auf. Die aktuellen Beiträge in Zeitungen von Luxemburger Verlagshäusern sind nicht schon morgen für alle öffentlich zugänglich. Konventionen mit der Nationalbibliothek sehen eine "moving wall" vor, also ein zeitlicher Abstand zwischen Publikationsdatum und der Zugänglichmachung der aktuellen Ausgaben.
Die eluxemburgensia-Plattform wird derweil weiterentwickelt. Schließlich will die Plattform nicht einfach nur ein virtueller Ausstellungsraum sein, sondern das Arbeiten mit den elektronischen Fassungen ermöglichen. Ralph Marschall zufolge ist die BnL an mehreren KI-Projekten beteiligt. So kann die OCR-Technik, die den Text aus den eingescannten Bildern herausliest, aus Texten mit Fraktur-Schriften beziehungsweise mehrsprachigen Artikel ein deutlich besseres Ergebnis herauslesen, als das noch vor einem Jahrzehnt der Fall war. In der Projektphase befindet sich auch die automatisierte Objekterkennung auf Bildern oder die automatisierte Gruppierung von thematisch verwandten Artikeln (Themenmodellierung), um die User*innenerfahrung vor den Bildschirmen weiter zu verbessern.
Trotz einer klaren Digitalisierungstendenz hat die gedruckte Publizistik aber noch längst nicht ausgedient. "Jeden Monat ist mindestens ein neuer Titel in der Pflichtabgabe der Nationalbibliothek zu finden", berichtet Mathay. So schnell wird der BnL die Arbeit, so oder so, also nicht ausgehen.