Durch die Jahrzehnte

Von Pascal SteinwachsLex KlerenMisch PautschGilles Kayser

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Die Geschichte, um die es hier gehen soll, ist eine lange Geschichte. Möglicherweise zu lang – 75 Jahre Journal sind schließlich kein Pappenstiel. Beschränken wir uns also auf einige sehr persönliche Erinnerungen, gespickt mit den Aussagen verschiedener Zeitzeug*innen.

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Auf die ersten vier Jahrzehnte in der Journal-Geschichte werden wir an dieser Stelle nicht eingehen, das kann man anderswo nachlesen. Für uns beginnt das Abenteuer Journal jedenfalls vor 34 Jahren, was mit sich bringt, dass wir nahezu die Hälfte im bisherigen Leben des Lëtzebuerger Journal an vorderster Front selbst miterlebt haben.

Angefangen hat bei uns alles mit einem Embargo. Als wir Ende der 80er Jahre nämlich für kurze Zeit als freier Mitarbeiter beim Tageblatt tätig sind, da schickt uns das Esch/Alzetter Blatt eines Tages auch auf eine Pressekonferenz der Messegesellschaft, was zu der Zeit noch eine relativ große Sache war. Dass der Termin der Foire mit einem Embargo bis zum übernächsten Tag versehen war, das haben wir, aus welchem Grund auch immer, ignoriert, sodass der entsprechende Artikel direkt tags darauf veröffentlicht wurde.

Ein Embargo und seine Folgen

Entweder kannten wir das Wort Embargo nicht, haben das Ganze nicht ernst genommen oder aber haben das Embargo einfach übersehen – so genau können wir uns nicht mehr erinnern. Auf jeden Fall führt unser Bruch des Embargos dazu, dass der damalige Journal-Chefredakteur Rob Roemen auf uns aufmerksam wird. Angetan von unserer Chuzpe bietet er uns dann auch nahezu umgehend eine Festanstellung an, sodass wir indirekt einem Embargo zu verdanken haben, dass wir vor über drei Jahrzehnten zum Journal kamen – und immer noch da sind.

Ziemlich direkt am Anfang unserer Karriere beim Journal schickt uns der Chefredakteur dann zum ersten Weltkindergipfel der Vereinten Nationen nach New York. Wahrscheinlich ging er davon aus, dass der jüngste Redakteur der Zeitung gut auf einen Gipfel über die Rechte der Kinder hinpassen würde.

Natürlich gibt es auch hier wieder einen Begriff, dessen Bedeutung wir nicht kannten, und schnell mal etwas googeln, das konnte man damals noch nicht. So spricht Jacques Poos, der damalige luxemburgische Außenminister, der uns in New York unter seine Fittiche nimmt, die ganze Zeit über von einer Troika. Wir verstehen jedoch die ganze Zeit nur Bahnhof, was wir uns aber natürlich, professionell wie wir sind, nicht anmerken lassen.

Erst später finden wir heraus, dass im internationalen Politsprech mit einer Troika die Dreiergruppe derjenigen Länder bezeichnet wurde, die den halbjährlich wechselnden Ratsvorsitz vorher innehatten, die den Ratsvorsitz gerade ausüben und die den Ratsvorsitz als Nächstes antreten. Und zu der Zeit, im zweiten Semester 1990, ist die Reihe anschließend an Luxemburg.

Hans-Dietrich Genscher und Blixa Bargeld

Auf dem Weg zu Jacques Poos, der in einem anderen, viel besseren (und mit Sicherheit teureren) Hotel als wir schläft, müssen wir eines Nachmittags unten in der Hotellobby auf den Lift warten, und als sich die Fahrstuhltür öffnet, da steht da auf einmal Hans-Dietrich Genscher, der zu dieser Zeit fast schon weltberühmte deutsche Außenminister – natürlich in seinem legendären gelben Pullunder. Kann richtig Spaß machen, so ein Journalisten*innenleben, denken wir uns …

Das denken wir auch an unserem zweiten Abend im Big Apple, als wir uns nach getaner Arbeit auf dem Schwarzmarkt Karten für ein Konzert von Nick Cave and the Bad Seeds besorgen, und New York ist zu der Zeit noch richtig gefährlich, also richtig aufregend. Gitarrist dieser Bad Seeds war nämlich Blixa Bargeld, und mit eben diesem Blixa Bargeld, der im richtigen Leben auch noch Kopf der damals famosen Avantgardisten Einstürzende Neubauten war (und immer noch ist, aber famos sind die Neubauten schon lange nicht mehr), hatten wir einige Monate zuvor exklusiv für das Lëtzebuerger Journal ein Interview in Saarbrücken geführt.

"Ich wünsche mir, dass das Journal in 25 Jahren immer noch da ist."

Henri Grethen, Mitglied des Verwaltungsrats

Womit wir beim nächsten Thema sind, hat das Journal doch zu der Zeit als einzige Zeitung jeden Samstag eine Jugendseite, für die wir verantwortlich zeichnen und die wir ganz alleine gestalten dürfen. In deren Rahmen interviewten wir auch die Einstürzenden Neubauten, die in den Jahrzehnten danach übrigens mehrmals in Luxemburg auftreten, unter anderem auch in der hochkulturellen Philharmonie.

Ein Moien! in der Sauna

Natürlich bestückten wir die Seite großzügig mit persönlichen Vorlieben wie den seinerzeitigen Grindcore-Göttern Napalm Death oder der nicht weniger göttlichen Vanessa Paradis, aber was die Jugendseite besonders machte, das war unser allwöchentlicher Leitartikel an die Jugend und an alle, die junggeblieben sind: Das Moien!, nur echt mit Ausrufezeichen.

Ein erstes Mal erschient das Moien! am 16. September 1989, das war sogar noch vor dem Mauerfall in Berlin (jüngere Leser*innen sollten jetzt einfach googeln); der Sommerhit (und -tanz) in diesem Jahr war, by the way, Lambada (jüngere Leser*innen können jetzt noch einmal googeln).

Das Moien! hat damals viele Leser*innen, auch und besonders unter den Politiker*innen. So verriet uns zum Beispiel ein gewisser Lucien Lux, der in diesen Jahren Bettemburger Député-Maire war und es später gar zu Ministerehren bringen sollte, dass er das Moien! samstags immer mit Begeisterung in der Sauna lese. Die Bilder, die wir anschließend vom LSAP-Politiker im Kopf haben, verfolgen uns danach noch wochenlang.

Irgendwann – auch wir wurden (und werden) älter – war dann Schluss mit dem Moien! und der Jugendseite, und wir widmeten uns verstärkt der Kultur und den Kultur- und Feuilletonseiten, für die in diesen Jahren die besten Feuilletonist*innen tätig waren, die Luxemburg hatte.

Bis wir schließlich Politik machten, pardon, über Politik schrieben, und das machen wir bis heute mit viel Freude, wobei wir, journalistisch gesehen, aber auch wieder zur Kultur zurückgefunden haben.

Als wir Bill Clinton verpasst haben

Als Politredakteur wohnten wir natürlich jeden Freitag den legendären Briefings des damaligen Premierministers Jean-Claude Juncker bei, die im Anschluss an die freitägliche Sitzung des Regierungsrats stattfanden. Hier machte sich Juncker einen Spaß daraus, zuerst ewig lang über das Verhältnis des Yen zum Dollar oder zu etwas Ähnlichem zu referieren, ehe er den jeweiligen Koalitionspartner, also die LSAP oder die DP, vor versammelter Presse genussvoll in die Pfanne haute.

In seinen späteren Jahren verliert Juncker dann aber nach und nach die Lust an dieser Übung, derweil sein Nachfolger Xavier Bettel nach einigen wenigen Pressebriefings im Anschluss an den Regierungsrat ziemlich schnell ganz damit aufhört. Vielleicht führt der zukünftige Premier Luc Frieden diese Tradition ja demnächst wieder ein.

Rob Roemen, Kik Schneider

Als Vertreter des Lëtzebuerger Journal deckten wir aber auch sämtliche EU-Gipfel ab, als diese noch nicht in Brüssel, sondern in denjenigen Ländern stattfanden, die gerade die EU-Ratspräsidentschaft innehatten. Wir begleiteten Juncker beispielsweise zweimal nach Moskau, wo wir sogar im Büro von Präsident Putin waren, sowie nach Washington zu Bill Clinton. Der entsprechenden Pressekonferenz mit dem US-Präsidenten im Weißen Haus wohnten wir dann aber leider nicht bei – der Jetlag und die Zeitverschiebung, Sie verstehen … Mit Premier Bettel besuchten wir unter anderem China und die Chinesische Mauer, nachdem wir mit dem Abgeordneten Bettel zuvor bereits in Äthiopien waren.

Berühmt-berüchtigt ist das Journal indes immer noch für seine Opgepikt getaufte Glosse, die in der Printausgabe über lange, lange Jahre – wie lang, daran können wir uns nicht erinnern – in jeder Ausgabe veröffentlicht wurde, was im neuen, digitalen Journal aber nur noch einmal die Woche der Fall ist, dafür aber in einer fantastischen XXL-Version. Den Schreibstil, den wir im Moien! entwickelt hatten, kommt uns auch im Opgepikt zugute.

Ein Opgepikt macht Furore

Seitdem haben wir zwar abertausende von diesen Dingern geschrieben, aber so richtig Furore macht unser Opgepikt und somit auch das Journal, erst, als wir uns mit den Gerüchten befassen, dass Jean-Claude Juncker ein Alkoholproblem habe. Dieser sollte zu der Zeit, Anfang 2014, gerade Spitzenkandidat der Konservativen für die Europawahlen werden, und stand deshalb unter Beobachtung internationaler Medien.

So schaffte es unser Opgepikt unter anderem in den Spiegel, und späterhin sogar in den Bestseller des Die PARTEI-Europaabgeordneten Martin Sonneborn (Herr Sonneborn geht nach Brüssel – Abenteuer im Europaparlament): "Der Journalist Pascal Steinwachs schrieb im 'Lëtzebuerger Journal', schelmische Zungen, behaupteten, Juncker habe tatsächlich kein Problem mit Alkohol, nur ohne".

Danach war Juncker stinksauer und sprach eine Zeit lang nicht mehr mit uns, aber damit mussten – und konnten – wir leben.

Zurück zu unseren Anfängen im Journal: Angefangen haben wir tatsächlich mit einer elektrischen Schreibmaschine, bis irgendwann dann auch die ersten Computer kamen – riesengroß, ultraklobig und ziemlich hässlich.

Im Internet schnell mal was zu Recherchezwecken googeln ging natürlich nicht, denn das gab es zu dieser Zeit nach gar nicht, von Google gar nicht erst zu reden. Da musste man schon ein solides Grundwissen haben oder aber im Besitz der entsprechenden Nachschlagewerke, Bücher oder Zeitschriften sein, was aber mit einem gewissen Zeitaufwand verbunden war.

Anfang der 90er hält dann das Faxgerät Einzug in die Redaktion, bis es irgendwann durch die E-Mail ersetzt wird. Wir wissen noch, dass am Anfang aber keiner so richtig verstand, wie so eine Mail denn überhaupt verschickt wird.

"Rob Roemen hatte überall Diktiergeräte rumliegen."

Josiane Kirsch, langjährige Redaktionssekretärin

Ein Mobiltelefon hatte in diesen Jahren natürlich auch fast keine(r). Wir erinnern uns diesbezüglich aber an einen LSAP-Kongress, bei dem uns Jean Asselborn, damals Parteipräsident, sein Mobiltelefon ausleiht, damit wir kurz in der Redaktion anrufen können, um unseren Text mündlich durchzugeben. Es ging damals, so glauben wir uns zu erinnern, aber die Erinnerung kann einem manchmal Streiche spielen, um die Ernennung von Lydie Err als Staatssekretärin in die Regierung, nachdem Georges Wohlfart aufgrund der Dysfunktionen im Gesundheitsministerium und dem Rücktritt von Johny Lahure Minister geworden war – wir schweifen ab …

Die Tücken der Rohrpost

Was wir eigentlich sagen wollen: Das ganze Zeitungsmachen war zu der Zeit um einiges komplizierter als heute, die Zusammenarbeit mit der jeweiligen Druckerei aus diesem Grund auch besonders eng. Die Büros des Journal befanden sich dann auch praktischerweise auf dem zweiten Stock der Imprimerie Centrale in der Rue Adolphe Fischer, ehe wir Anfang der Nullerjahre in neue, erstmals eigene Räumlichkeiten in die nur einige Meter entfernte Straßburgerstraße umzogen.  

Als wir im Journal anfingen, da mussten die Fotos unserer Fotograf*innen noch in der Dunkelkammer entwickelt werden. Fotos von internationalen Agenturen hatten wir zwar auch, doch alle Fotos mussten via Rohrpost in die Reprografie geschickt werden. Dort wurde das Foto dann gescannt, nachdem man der Repro zuvor mitgeteilt hatte, wie groß man das Bild in der Zeitung haben wollte - zum Beispiel auf zwei Spalten für Seite 3. Oder so ähnlich. So richtig haben wir, die wir uns nicht für Technik interessieren, den genauen Ablauf nie verstanden.

Woran wir uns jedoch noch genau erinnern, das ist, dass die Rohrpost immer im unpassendsten Moment eine Panne hatte. Nämlich gerade dann, wenn das Foto, das natürlich ein Einzelexemplar war, am späten Abend kurz vor Redaktionsschluss auf dem Weg in die Repro in der Rohrpost stecken blieb. Dann musste mal wieder der Hausmeister ran, der aber Gott sei Dank nur zwei Stockwerke über den Büros des Lëtzebuerger Journal wohnte und ein wahrer Profi im Rohrpostreparieren war.

Henri Grethen

Dass einige zumeist ältere Korrespondent*innen noch keinen Computer hatten und ihre Texte immer nur schreibmaschinen- oder sogar handgeschrieben reinschickten, die dann von den zuständigen Leuten in der Druckerei abgetippt werden mussten, soll an dieser Stelle auch erwähnt werden.  Im Vergleich zu heute war das Zeitungsmachen jedenfalls ein Riesenaufwand.

Das Redaktionssofa als Rettungsanker

Auch wurde damals noch massiv in den Zeitungsredaktionen geraucht. Wer Anfang der 90er Jahre in das Büro des Journal-Chefredakteurs kam, der brauchte erst einige Sekunden, bis er durch den dichten Zigarettenrauch überhaupt irgendwas erkennen konnte, obwohl Rob Roemen von seiner Statur her alles andere als zu übersehen war.

Dem Klischee der trinkfreudigen Reporter*innen wurde zu dieser Zeit auch noch mehr entsprochen, verging doch kein Tag, an dem nicht irgendwann von irgendwem eine Flasche Crémant in der Redaktion gekillt wurde. Nach getaner Arbeit gingen die Redakteur*innen dann aber auch noch meistens einen trinken. Direkt um die Ecke lag das damalige Hauptausgehviertel mit Marx, Bronx und Elevator.

So kam es schon mal vor, dass man spätnachts, man soll ja nicht beduselt Auto fahren, noch einmal kurz bis mittellang in der Redaktion vorbeischaute. Nicht um zu arbeiten, sondern um auf dem dortigen Sofa eine rettende Verschnaufpause einzulegen, ehe man dann spätnachts dann doch noch nach Hause fuhr.  

Der Legende zufolge soll es aber hin und wieder auch vorgekommen sein, dass diejenigen Mitarbeiter*innen, die morgens als erste vor Ort waren, die Tür zu ihrem Büro nicht aufbekamen, weil dahinter immer noch ein vom langen Abend stark geschwächter Redakteur lag.

Josiane Kirsch

Als Josiane Kirsch ihren Job als Redaktionssekretärin und gute Seele der Zeitung um die Jahrtausendwende anfing, da waren diese Zeiten angeblich längst vorbei, was wir aber natürlich nicht so recht glauben wollen – zumal wir selbst dabei waren.

Ihre ersten sechs Monate in ihrem neuen Job verbrachte die Redaktionssekretärin noch in den alten Journal-Büros in der Imprimerie Centrale, ehe es in die neuen Räumlichkeiten in die Rue de Strasbourg ging, die nach der Umgestaltung des Journal in ein digitales Medium aber wieder verkauft wurden.

An den Umzug erinnert sich Josiane, die kurz vor dem Wandel von der Print- zur Digitalausgabe in Rente ging, noch gut: "Alle mussten mithelfen und ihre Sachen selbst in die Umzugskisten packen. Wir machten Umzugskartons mit Ziffern drauf. Verschiedene Kartons standen jedoch noch jahrelang nicht ausgepackt im Keller rum. Einige Kartons wurden sogar überhaupt nicht ausgepackt."

Ungeliebtes Großraumbüro

Als es 2012 nach längerer Vorbereitung zu einem Relaunch kam und das Journal, das fortan von Editpress gedruckt wurde und sogar wieder eine Montagsausgabe erhielt, da mussten die schönen neuen Büros einem mehr als hässlichen Großraumbüro weichen. So was war in den Chefetagen gerade in Mode, wobei die Chefs aber natürlich weiterhin ihr eigenes Büro hatten.

Ihr eigenes Büro durfte übrigens auch Josiane Kirsch behalten, wahrscheinlich weil sie auch den Telefondienst machen musste. Es war dann auch das Telefonieren, das im Großraumbüro ein Ding der Unmöglichkeit war, sodass sich in der Redaktion niemand so recht mit den umgestalteten Räumlichkeiten anfreunden konnte.

"Unsere Werte wie Weltoffenheit, Respekt, Toleranz und Inklusion sind immer dieselben geblieben."

Kik Schneider, Verwaltungsratspräsident

Im Gespräch mit Josiane fallen uns plötzlich auch wieder die Schrullen der früheren Mitarbeiter*innen ein, auf die wir hier aus Gründen der Diskretion aber nicht eingehen. Das Beste in all den Jahren war für die langjährige Redaktionssekretärin indes die Kollegialität innerhalb der Journal-Mannschaft, wie sie unterstreicht.

Ein besonderes Vertrauensverhältnis herrschte aber auch zwischen der Redaktionssekretärin und dem früheren Chefredakteur Rob Roemen, ansonsten dieser Josiane Kirsch ja wohl kaum die PIN-Nummer seiner Bankomatkarte anvertraut hätte. Wenn Roemen nämlich etwas brauchte, rief er einfach bei Josiane an und sagte: "Da kommt emol". Meistens ging es um den Kauf von Zigaretten oder Ähnlichem. Claude Karger, der Roemen 2005 als Chefredakteur ersetzte, war da um einiges diskreter, und geraucht hat er auch nicht.

Auch musste Josiane sehr oft die Artikel von Roemen abtippen, die dieser am Abend vorher auf sein Diktiergerät gesprochen hatte, schrieb er doch quasi jeden Tag einen Leitartikel. "Er hatte überall Diktiergeräte rumliegen."

Diese Zeiten sind tatsächlich lange vorbei. Diktiergeräte dürfte es zwar noch geben, doch wer sie immer noch benutzt, der benutzt bestimmt auch weiterhin sein Faxgerät und wirft seine Überweisungen in den Briefkasten seiner Bank.

Die Zeitung, die montags nicht rauskommt

Wie auch immer: Die Jahre ziehen dahin. Wir werden älter. Das Journal wird älter. Aus Print wurde digital. Vom Zweierbüro ziehen wir erst in ein Viererbüro, dann in ein Großraumbüro und anschließend ins Homeoffice. Von der Rue Adolphe Fischer zieht die Redaktion in die Rue de Strasbourg, und von dort aus auf die Place de la Gare in einen Co-Working-Space.

Norbert Becker

Die Arbeit macht uns auf jeden Fall immer noch riesigen Spaß. Im digitalen Journal, das demnächst ja auch schon seinen dritten Geburtstag feiert, haben wir endlich mal Zeit, uns auch mal etwas intensiver mit einem Thema zu befassen. Zudem ist der allabendliche Redaktionsschluss weggefallen, was wir sehr begrüßen, und das aktuelle Team um Direktorin Lynn Warken und Chefredakteurin Melody Hansen ist sowieso absolute Spitzenklasse.

Bei derartigen Jubiläen kommt man nicht umhin, auch noch mit anderen Zeitzeugen zu sprechen. Eigentlich wollten wir diesen Gesprächen etwas mehr Platz einräumen, aber da wir feststellen mussten, dass das meiste, was uns Kik Schneider, Henri Grethen und Norbert Becker so erzählen, eher Hintergrundinformationen sind und wir ohnedies schon so viel geschrieben haben, fällt dieser Teil des Artikels bescheidener aus, als wir das eigentlich geplant hatten. Egal: Unsere Gesprächspartner, die sich viel Zeit für uns nahmen, werden das bestimmt verstehen.

Eingestellt wurden wir vor über drei Jahrzehnten übrigens von Henri Grethen, der zu der Zeit Administrateur-délégué im Journal war und in Zwischenzeit als Vertreter des Centre d’Etudes Eugène Schaus, dem Mehrheitsaktionär bei den Editions Lëtzebuerger Journal, wieder im Journal-Verwaltungsrat vertreten ist.

Es war dann auch Henri Grethen, der das Journal zusammen mit dem langjährigen Direktor Robert Wiget in den 80er Jahren finanziell wieder auf festere Beine stellte. "Die erste Initiative, die ich ergriff, das war die Montagsnummer abzuschaffen. Da die Druckerei am Wochenende nicht arbeitete, wurde die Zeitung schon freitags gedruckt, sodass alles, was am Wochenende geschah, nicht berücksichtigt wurde. Es hatte also null Sinn, die Zeitung am Montag rauszubringen."

"Das, was ihr momentan macht, das ist exzellent, das finde ich wirklich gut."

Norbert Becker, früherer Vorsitzender des Verwaltungsrats

Jean-Claude Juncker sprach im Pressebriefing dann auch immer von der "Zeitung, die montags nicht rauskommt", wenn er uns in aller Öffentlichkeit mal wieder wegen einem frechen Opgepikt oder einem anderen Artikel, der ihm nicht gefiel, tadelte.

Als Administrateur-délégué musste sich Grethen manchmal auch für Artikel entschuldigen, wenn diese unter die Gürtellinie gingen, wie er uns anvertraut. Besonders in Erinnerung hat er in diesem Zusammenhang die inzwischen legendäre Journal-Ausgabe eines 1. April, in der ein fiktives Interview mit der damaligen CSV-Kammerpräsidentin Erna Hennicot in der Sauna abgedruckt wurde. Zu diesem Zweck wurde der Kopf der CSV-Politikerin einfach auf den nackten Körper eines Erotikmodels montiert. Die Aufregung war gewaltig, der Spaß auch.

Die Entscheidung, auf das Digitale überzugehen, bezeichnet Henri Grethen als richtig, sei die Printausgabe doch auf Dauer finanziell nicht zu halten gewesen, derweil das Digitale den Weiterbestand des Journal ermögliche.

Und was wünscht Henri Grethen unserem Medium zum 75. Geburtstag? "Dass das Journal in 25 Jahren immer noch da ist."

Der Weg ins Digitale

Wir sprachen natürlich auch mit dem aktuellen Vorsitzenden des Journal-Verwaltungsrats, Kik Schneider, der noch ein klein bisschen länger im Journal dabei ist als wir, und der uns begeistert von früheren Konferenzen erzählte, die er gemeinsam mit Rob Roemen organisiert habe. Auch habe er eine Zeit lang regelmäßig Leitartikel für das Journal geschrieben (wie Henri Grethen übrigens auch), und jede Woche eine Stater Säit verfasst.

"Ich habe das Journal über die verschiedenen Etappen begleitet, bis hin zur Digitalisierung. Unsere Werte wie Weltoffenheit, Respekt, Toleranz und Inklusion sind indes immer dieselben geblieben, auch wenn sich die Medien geändert haben."

Kik Schneider war auch dabei, als der damalige Verwaltungsratspräsident Norbert Becker und der seinerzeitige Direktor Marc Hansen 2012 den Relaunch der Zeitung angingen. Parallel zum Relaunch steigt das Journal mit acht Prozent bei Editpress ein, so dass das Journal fortan nicht mehr bei der Imprimerie Centrale, sondern in Esch gedruckt wird.

Norbert Becker erinnert sich: "Das war ein Parcours in vielen Etappen. Es ging um die Finanzen, und der größte Posten waren die Druckkosten." Der Verwaltungsrat habe sich verschiedene Angebote angesehen, aber da das Pressegesetz zu der Zeit nicht erlaubt habe, die Zeitung im Ausland zu drucken, habe man sich für Editpress entschieden.

Was Norbert Becker, der nicht mehr im Verwaltungsrat des Lëtzebuerger Journal ist, in dieser Zeit besonders gut gefallen hat, das war das Gespräch mit der Journal-Mannschaft. "Ich habe es immer gemocht, wenn ich mit der Redaktion sprechen und fragen konnte, an was es fehlt, was gebraucht wird. Ich wünsche mir, dass der Weg ins Digitale, wozu eine gewisse Portion Mut gehört, jetzt weitergeht. Das, was ihr momentan macht, das ist exzellent, das finde ich wirklich gut."

Ein besseres Schlusswort hätten nicht mal wir uns einfallen lassen können …