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Die Digitalisierung dringt in immer mehr Lebensbereiche vor. Dabei riskieren viele Menschen, den Anschluss zu verlieren. Digitale Inklusionsarbeit versucht, genau das zu verhindern.
Wie verschicke ich Fotos per Smartphone? Was ist der Unterschied zwischen einem Laptop und einem Tablet? Wie funktioniert ein Videoanruf? Oder ganz aktuell: Wie funktioniert die Covid-Check-App und wie bekomme ich mein Impfzertifikat aufs Mobiltelefon? Fragen wie diese bekommt Mara Kroth oft zu hören. So auch im von GoldenMe organisierten Smartphone Café im vergangenen Dezember in Esch/Alzette.
Mit den zwanglosen Zusammentreffen ist der gemeinnützige Verein eine von inzwischen mehreren Initiativen, die an der digitalen Inklusion arbeiten – und damit jede Menge zu tun haben. „Ich glaube, man kann prinzipiell sagen, dass so, wie wir im Moment fahren, das Gegenteil von digitaler Inklusion ist“, sagt Mara Kroth. Damit meint sie das immer häufigere Ersetzen von analogen Prozeduren durch digitale. Für diejenigen, die damit zurechtkommen, bedeutet die Digitalisierung von Prozessen meistens ein Plus an Komfort und Schnelligkeit, wenn man beispielsweise zur Festlegung eines Termins nicht mehr von den Öffnungszeiten und telefonischen Erreichbarkeit von Mitarbeiter*innen eines Büros abhängig ist. Die Kehrseite: Ein Teil der Gesellschaft kommt mit diesen Umstellungen nicht zurecht. „In dem Moment, in dem man eine bestimmte Gruppe nicht mitnimmt oder den Zugang nicht erleichtert, passiert keine digitale Inklusion.“ Kroth berichtet beispielsweise vom Fall einer älteren Dame, die beim Anruf beim Arzt (per Smartphone) einen Anrufbeantworter am anderen Ende der Leitung erreichte. Die aufgezeichnete Nachricht forderte die Anrufer*innen dazu auf, einen Termin entweder per Mail oder über einen digitalen Anbieter zu vereinbaren. „In so einer Situation muss man sich entweder Hilfe suchen oder man hat ein Problem. Das ist nicht sonderlich inklusiv“, sagt Kroth und sieht deshalb im „Digital Divide“ eine Form von Spaltung der Gesellschaft. Man solle nicht unterschätzen, „was das mit den Menschen macht“, mahnt sie. GoldenMe versucht, eine Brücke über der digitalen Kluft zu bauen und auf diese Weise auch sozialer Isolation vorzubeugen. „Digitale Inklusion bedeutet, Angebote zu schaffen, um die Menschen mitzunehmen, die einfach keine Digital Natives sind und keinen einfachen Zugang haben.“
„In dem Moment, in dem man eine bestimmte Gruppe nicht mitnimmt oder den Zugang nicht erleichtert, passiert keine digitale Inklusion.“
Mara Kroth, GoldenMe
Der Begriff „digitale Inklusion“ hat sich inzwischen im politischen Sprachgebrauch etabliert. Er ist ein Bestandteil der Digitalstrategie der EU-Kommission, „um sicherzustellen, dass jeder zur digitalen Welt beitragen und von ihr profitieren kann“. Seit Oktober 2021 gibt es auch einen ersten nationalen Aktionsplan.
Mara Kroth
Man kann sich dem Thema mithilfe von statistischen Indikatoren annähern. Im Jahr 2020 verfügten laut Statec beispielsweise sechs Prozent der Haushalte über keinen Internetanschluss – laut Eurostat-Schätzung war es 2021 noch ein Prozent. Ein Prozent der Bevölkerung gab 2020 an, noch nie das Internet genutzt zu haben. 13 Prozent der Internetnutzer*innen waren nicht mit ihrem Smartphone im Netz unterwegs. Die Zahl stammt allerdings von 2019 und dürfte nicht mehr aktuell sein. Sechs Prozent verzichten aus Sorge um ihre persönlichen Daten auf digitale Dienste. Bei etwa neun Prozent erklärt sich die Nichtnutzung digitaler öffentlicher Dienstleistungen durch mangelnde Kompetenzen. Vielleicht weniger aussagekräftig ist die Tatsache, dass rund 30 Prozent der Bevölkerung in der Altersklasse zwischen 65 und 74 Jahren nicht täglich das Internet nutzt.
Was die Zahlen nicht offenbaren, ist die große Heterogenität der Profile, die hinter der Digitalisierungswelle auf der Strecke zu drohen bleiben. Das kann der Fall von Arbeitnehmer*innen sein, die sich durch technologische Entwicklungen wie die Automatisierung von Prozessen umorientieren oder weiterbilden müssen. Oder die Angleichung unterschiedlicher Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen. Auch die fehlende Barrierefreiheit von Webseiten und Dokumenten ist eine Facette des Themas. Genderspezifische Differenzen gesellen sich hinzu. Wenn sich beispielsweise der Ehemann immer um die Bankgeschäfte und Verwaltungsangelegenheiten gekümmert hat, dann aber von dem*der Partner*in überlebt wird. Digitale Inklusion kann auch eine materielle Dimension haben. Geflüchtete etwa, die die nicht über die Mittel zur Anschaffung eines PCs verfügen und/oder noch nie mit einem Rechner zu tun hatten.
„Dann wird der PC zum Schlüssel zur eigenen Autonomie.“
Patrick de la Hamette, Digital Inclusion
Eine Anlaufstelle für solche Fälle ist Digital Inclusion. In Luxemburg hat der gemeinnützige Verein Pionierarbeit im Bereich der digitalen Inklusion geleistet. Was 2016 klein anfing, ist über die Jahre beachtlich gewachsen. So hat die Organisation inzwischen mehr als 3.500 Rechner an Menschen verteilt, die sich keinen leisten können und beschäftigt 16 Mitarbeiter*innen (elf Vollzeitäquivalente).
Informationstechnologie für alle verfügbar zu machen, ist eines von drei Zielen der gemeinnützigen Organisation. Neben der Bereitstellung der Hardware beinhaltet das auch ein Kursangebot, in dem der Verein Kenntnisse im Umgang mit Bürosoftware, dem Internet, E-Mails oder Behördengängen vermittelt, und das auch in arabischer, spanischer, portugiesischer oder auch tigrinischer Sprache (für Menschen aus Äthiopien und Eritrea). Dass Geflüchtete schon mit Maus und Tastatur zu kämpfen haben, weil sie noch nie mit einem eigenen PC gearbeitet haben, ist keine Seltenheit. Seit 2018 hat der Verein auch mit der Verteilung von und Kursen im Umgang mit Smartphones angefangen. Lag das Augenmerk in der Gründungsphase vor allem auf den Sprach- und Kulturbarrieren von Migrant*innen sowie deren Zugang zur digitalen Welt, hat sich der Fokus, man könnte auch sagen der Bedarf, als größer herausgestellt. Das Angebot von Digital Inclusion richtet sich an alle Menschen, die in prekären Verhältnissen leben.
Patrick de la Hamette
Durch die Zurverfügungstellung nicht nur von Hardware, sondern auch dem nötigen Wissen, betreibt Digital Inclusion „Empowerment“. Die Teilnehmer*innen lernen, wie sie den Computer zu ihrem Vorteil nutzen können, sei es, um Arbeit zu finden oder Sprachen zu lernen. Ein Programm zum Sprachenlernen bietet Digital Inclusion gleich mit an. Das sei ideal für alle, die eine Sprache in ihrem eigenen Rhythmus lernen und denen ihre Kurse nicht regelmäßig genug stattfinden, sagt Digital Inclusion-Mitbegründer Patrick de la Hamette. „Dann wird der PC zum Schlüssel zur eigenen Autonomie.“
„Die Pandemie hat noch einmal bestätigt, was wir seit Jahren sagen: Dass digitale Inklusion wichtig ist und insbesondere im Sozialen ein Ausschlussfaktor sein kann. Genau dieses Phänomen wurde im Lockdown deutlich“, erklärt er. Obwohl die Schulen und die Regierung bemüht waren, Schüler*innen bei der Umstellung auf Fernunterricht mit der nötigen Hardware auszustatten, blieben einige außen vor. Digital Inclusion wurde daraufhin mobil. Mit tatkräftiger Unterstützung lieferten Freiwillige des Lions Club PCs quer durchs Land aus. Insgesamt verteilte Digital Inclusion im Jahr 2020 insgesamt rund 750 Rechner und 175 Smartphones.
Digitale Inklusion, das bedeutet für den IT-Ingenieur auch die Frage aufzuwerfen, ob nicht gerade ein Land wie Luxemburg den Weg zu einem kostenlosen Internetanschluss zuhause gehen sollte. „Seit Corona sehen wir, dass ein Internetanschluss nicht nur eine Dienstleistung ist, sondern ein zentraler Punkt, um seine Rechte als Bürger auszuüben.“ Immerhin einen Schritt in diese Richtung erwägt das nationale Strategiepapier. „Um eine digitale Kluft zu verhindern“, sollen alle Haushalte über „gezielte Hilfsmaßnahmen“ zuhause das Internet nutzen können. Bis 2025 sollte jeder Haushalt die Möglichkeit haben, über eine Anbindung mit mindestens 100 Mbit/s im Downstream zu verfügen.
Genaueres dazu lässt sich heute noch nicht sagen. Auf Anfrage des Journal teilte die Abteilung für Medien, Konnektivität und digitale Agenda des Staatsministeriums mit, zusammen mit dem Familienministerium an „kurz- und mittelfristigen Hilfen“ zu arbeiten, damit sich einkommensschwache Haushalte den Internetanschluss zuhause leisten können. Das wird wohl auf eine Ermäßigung der Abo-Kosten hinauslaufen. Mit weiteren Details ist erst in den kommenden Monaten zu rechnen, da die Entscheidung für einen Mechanismus, der praktisch umgesetzt werden kann, noch aussteht.
„Bei Digital Literacy geht es nicht nur darum, Funktionen oder Prozesse zu erklären, sondern ein generelles Verständnis dafür zu schaffen, wie alles miteinander zusammenhängt.“
Mara Kroth, GoldenMe
Selbstbefähigung ist auch ein Stichwort für GoldenMe. Wer sich von Enkel*innen dieses oder jenes am Smartphone einstellen lässt, hat zwar eine Hürde überwunden, steht das nächste Mal aber wieder vor dem gleichen Problem. „Bei Digital Literacy geht es nicht nur darum, Funktionen oder Prozesse zu erklären, sondern ein generelles Verständnis dafür zu schaffen, wie alles miteinander zusammenhängt“, sagt Mara Kroth und nennt als Beispiel die Funktionsweise einer Cloud.
Der Informationsbedarf ist in der Pandemie noch einmal gestiegen. Kroth spricht von einem „Weckruf“ für alle, die bis dahin die Auseinandersetzung mit dem Computer oder Smartphone scheuten. „Sie müssen sich zu einem gewissen Teil damit beschäftigen. Sonst haben sie in Zukunft ein Problem“, sagt Kroth. Dass digitale Prozesse in Zukunft wieder analog werden, sei unwahrscheinlich. Gut wäre es deshalb, den Leuten immer auch eine Alternative anzubieten.
Denn alle Menschen mit Angeboten wie dem Smartphone Café erreichen zu wollen, ist unrealistisch. GoldenMe versucht es beispielsweise mit Flyern und der Präsenz in Zeitschriften. Gleichzeitig setzt der Verein auf die Zusammenarbeit mit Institutionen wie dem Informationsbüro für spezifische Bedürfnisse und Senior*innen (BiBSS) in Esch/Alzette. Der persönliche Kontakt beispielsweise von Sozialarbeiter*innen erweist sich als ein zentraler Faktor, wenn es darum geht, die eigene Hemmschwelle zu überwinden, um jemanden um Rat zu fragen.
Doch gibt es eben auch Menschen, die eine Hilfestellung von vornherein ablehnen. Männer seien da oftmals zurückhaltend. Zudem gibt es auch Grenzen, zum Beispiel, wenn Senior*innen spezifische Fragen zum Onlinebanking ihrer Bank haben. Hier liegt für Kroth die Verantwortung bei den Banken selbst, den Kund*innen zu helfen. Immerhin: Einen Grundlagenkurs zum E-Banking, ausgearbeitet von der ErwuesseBildung, der Maison des Associations und GoldenMe, gibt es bereits.
Den ersten nationalen Aktionsplan begrüßt Kroth ausdrücklich und nennt ihn einen „Schritt in die richtige Richtung“. Es sei wichtig, sich einen Überblick über die bestehenden Angebote zu schaffen und weiteren Bedarf zu ermitteln. Luft nach oben gebe es aber immer.
Kroth begrüßt beispielsweise die Pläne des Ministeriums für Digitalisierung zur Schaffung eines interdisziplinären Forums. Einen Austausch zwischen den Akteuren gebe es zwar heute schon. Doch eine Plattform ermögliche eine strukturiertere Zusammenarbeit.
Digitale Inklusion ist auch für Erik Goerens ein Thema. Der von ihm geleitete Service Formation Adultes (SFA) im Bildungsministerium ist mit der Ausarbeitung einer Art digitalen Grundbildung beauftragt. Die Kurse sollen den Umgang mit Tablets, Laptops und Desktop-PCs vermitteln sowie gängige Schritte wie das Ausfüllen von Formularen, das Schreiben von Mails, die Websuche und eine Sensibilisierung für die Gefahren im Internet beinhalten. Es gehe darum, den Leuten im Umgang mit informatischen Geräten „die Angst zu nehmen“, so Goerens.
Diese Kurse sollen, so wie die Grundbildung im Lesen, Schreiben und Rechnen, kostenlos sein. Geplant sei, die digitale Grundausbildung ab September anzubieten. Wichtig sei es, „die Leute dort abzuholen, wo sie wohnen“. Regionale Angebote sind hier das Stichwort. Für die bestehenden Grundbildungskurse arbeitet der SFA bereits mit verschiedenen Lyzeen zusammen, um deren Räumlichkeiten nutzen zu können. Auf die Gemeinden, mit denen heute schon Konventionen bestehen, wird der Service Formation Adultes zugehen, sobald das Programm steht, versichert Goerens. In Zukunft soll die Abteilung dann auch stärker mit der ErwuesseBildung zusammenarbeiten, um Synergien zu bilden.
Weiterführende Digitalisierungskurse sind ebenfalls im Angebot, werden hingegen kostenpflichtig sein. Der reguläre Tarif soll sich auf drei Euro pro Stunde belaufen. Asylbewerber*innen oder Revis-Empfänger*innen können für einen reduzierten Tarif von zehn Euro pro Kurs infrage kommen.
Eine bestimmte Zielgruppe für die digitale Grundbildung gibt es indes nicht. Die Kurse richten sich an „jeden Erwachsenen, der hier im Land lebt“. Da sei an Altersklassen und sozialen Milieus alles dabei.