Versichert und auf der Warteliste
Von Sherley De Deurwaerder, Mika Lorang, Misch Pautsch Für Originaltext auf Englisch umschaltenDiesen Artikel hören
Nach der Corona-Pandemie ist das nationale psychotherapeutische System mit einem plötzlichen Anstieg der Nachfrage konfrontiert. Die Wartelisten sind lang, erst recht seit der neuen Gesetzgebung zur Kostenerstattung, und der Zugang zu psychotherapeutischer Versorgung ist schwieriger denn je. Wie können wir den Zugang zur klinisch-psychologischen Versorgung erleichtern?
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"Ich habe alles getan, was ich konnte, E-Mails geschrieben, angerufen, alles, aber das war ein kompletter Reinfall. Alles, was ich bekam, war: 'Wir können Sie nicht aufnehmen', 'Laut Warteliste könnten Sie vielleicht bis Juni eine Behandlung bekommen', und so weiter. Und natürlich ist das System überlastet, erst recht jetzt mit der Kostenerstattungsvereinbarung, aber ich habe das Gefühl, dass sie nicht einmal mehr versuchen, neue Leute aufzunehmen."
Diogo ist 21 Jahre alt und sich der kritischen Lage, in der er sich befindet, durchaus bewusst. Nach lebenslanger Erfahrung mit psychiatrischen Fachkräften und mit einer Liste von schätzungsweise 30 Kontakten hat er nicht damit gerechnet, dass er im Februar 2023, als er sich entschloss, professionelle Hilfe zu suchen, nachdem er wochenlang immer wieder mit vergangenen Traumata konfrontiert wurde, vor verschlossenen Türen stehen würde. Wütend, mit vor Enttäuschung triefender Stimme, erzählt er uns: "Jetzt ist es Mitte April und ich bin immer noch weit davon entfernt, die Hilfe zu bekommen, die ich brauche. Ich habe keinen Zugang mehr zu diesen Diensten. Pech gehabt, Diogo, du bist nur ein Paradebeispiel für einen jungen Menschen, der Opfer eines Systems ist, ein junger Mensch, der in ein ironisches Ping-Pong-Spiel verwickelt wurde, bei dem du der Ball bist und die Profis die Spieler sind. Sie zwingen mich zu einem Rückfall, sie setzen mein Leben aufs Spiel, sie spielen mit mir. Muss ich wirklich wieder ins Krankenhaus, um Hilfe zu bekommen, muss der schlimmste Fall eintreten, damit ich die notwendige Behandlung bekomme?"
Eingeschränkter Zugang
Der junge Angehörige der LGTBQ+-Gemeinschaft ist kein Neuling im Umgang mit dem nationalen psychischen Gesundheitssystem. Er war vier Jahre alt, als er von seiner Kindertagesstätte zum ersten Mal zur psychotherapeutischen Behandlung geschleppt wurde, und als er neun Jahre alt war, bestand das Jugendamt auf der Notwendigkeit einer offiziellen Beurteilung der Auswirkungen der missbräuchlichen Bedingungen, in denen er aufgewachsen war, auf seine gesunde Entwicklung. Im Laufe seiner Teenagerjahre wurde er immer suizidgefährdeter und landete regelmäßig bei der Schulpsychologin. Schließlich beschloss er nach dem ersten Lockdown, sich selbständig in psychotherapeutische Behandlung zu begeben.
Entwicklung einer psychischen Krankheit
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Die WHO (Weltgesundheitsorganisation) stellt auf ihrer offiziellen Website die wichtigsten Ursachen für die Entstehung psychischer Erkrankungen dar. Die Manifestation einer psychischen Erkrankung wird in der Regel durch ein komplexes Zusammenspiel von individuellen, sozialen und strukturellen Komponenten ausgelöst. Häufig haben psychische Erkrankungen ihre Wurzeln in der frühen Kindheit, da es sich hierbei um einen entwicklungsbedingt sensiblen Zeitraum handelt. Häufige emotionale und körperliche Misshandlungen, die sowohl im häuslichen als auch im öffentlichen Umfeld erlebt und ausgeübt werden, gelten als einer der wichtigsten Prädiktoren für die spätere Manifestation einer psychischen Erkrankung. Ebenso können ungünstige soziale, wirtschaftliche, geopolitische und umweltbedingte Umstände während des gesamten Lebens der psychischen Gesundheit abträglich sein. Auch die Genetik kann eine Rolle bei der Entwicklung psychischer Erkrankungen und des Substanzkonsums spielen.
Die Vorhersagekraft der oben genannten Risikofaktoren ist jedoch begrenzt. Psychische Erkrankungen können sich unabhängig von diesen Faktoren entwickeln oder trotz häufiger Exposition gegenüber diesen Faktoren nicht auftreten.
"Es ist das erste Mal, dass ich mich mit Wartelisten konfrontiert sehe", erklärt er. "In meinem letzten Schuljahr, das war 2021, hat mich der SePAS (Service Psycho-Social et d'Accompagnement Scolaires, d. Red.) nach einem Zusammenbruch ins Hôpital Robert Schuman gebracht. Sie wollten mich drei Tage dort behalten – das wollte ich nicht, denn ich konnte meine Familie nicht wissen lassen, in welchem Zustand ich war, das hätte alles nur noch schlimmer gemacht. Der Psychologe vom SePAS konnte einen Deal aushandeln. Ich wurde für ein Semester vom Unterricht freigestellt, damit ich im SDIP (Service de Détection et d'Intervention Précoce, d. Red.) behandelt werden konnte. Nach einigen Monaten überwies man mich an einen Psychotherapeuten, der auf PTBS (posttraumatische Belastungsstörung, d. Red.) spezialisiert war." Seine Behandlung wurde unterbrochen, weil er von zu Hause auszog und mit den nachfolgenden Behördengängen überfordert war. Im April 2022 wies er sich selbst in ein Krankenhaus ein, nachdem er eine schwere psychische Krise durchgemacht hatte. Seitdem hat er keinen Zugang mehr zu den psychotherapeutischen Leistungen, die er so dringend benötigt.
Die Erfahrung von Diogo mit den Wartelisten ist kein Einzelfall. Es scheint offensichtlich, dass Luxemburg derzeit unter einem Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage im psychotherapeutischen Versorgungssystem leidet. Bei einer durchschnittlichen Wartezeit von sechs Monaten und möglichen Sprachbarrieren gleicht die Suche nach einer angemessenen und sofortigen psychotherapeutischen Versorgung der Suche nach der Nadel im Heuhaufen.
"Es ist beängstigend, mit psychischen Problemen und Kampfzuständen, die das Bewusstsein einschränken, ganz allein fertig werden zu müssen."
Diogo, wartet auf eine psychotherapeutische Behandlung
Catherine Richard, praktizierende klinische Psychologin und Vorsitzende der Fapsylux, hat aufgehört, Menschen auf die Warteliste zu setzen. "Jeden Tag rufen zehn neue Leute bei mir an und ich kann nicht jeden Tag zehn weitere Leute auf die Warteliste setzen", erklärt sie. In ihrer Stimme schwingt echtes Bedauern mit. Sie führt den starken Anstieg der Nachfrage zumindest teilweise auf die Erstattungsvereinbarung zwischen Fapsylux und der CNS zurück. Ihrer Meinung nach kann ein*e Psychotherapeut*in vier bis fünf Patient*innen pro Tag behandeln, ohne dass die Qualität der angebotenen Dienste darunter leidet. Alles, was darüber hinausgeht, erweist sich als schwierig zu handhaben. Die Behandlung psychischer Erkrankungen und der Aufbau einer produktiven Beziehung zwischen Patient*in und Psychotherapeut*in erfordern viel Konzentration und Geduld. "Normalerweise muss man als Psychotherapeut vorausdenken, um den Patienten zu einer bestimmten Erkenntnis zu bringen. Man kann nicht einfach mitten in der Sitzung den Fokus verlieren."
Catherine Richard
Aber warum ist das psychotherapeutische System so überlastet, sowohl in Luxemburg als auch auf internationaler Ebene, und warum gibt es kein ausreichendes Angebot an psychotherapeutischen Anlaufstellen? Catherine Richard führt uns durch den Prozess der Approbation als Psychotherapeut*in. Fünf Jahre Universitätsstudium, dazu noch einmal vier bis fünf Jahre Ausbildung. "Praktika werden nicht bezahlt. Nach meinem Masterabschluss habe ich eineinhalb Jahre gearbeitet, und das wurde nicht vergütet. Als Psychologin zu arbeiten ist etwas, das man wollen muss, man muss wirklich mit dem Herzen dabei sein. Es erfordert viel Zeit und Geduld und es wird am Ende selten gut bezahlt. Wir opfern viel für unsere Arbeit." Der Beruf klinischer Psycholog*innen erfordert offensichtlich viel Durchhaltevermögen und Hingabe.
Ein neues internationales Modell
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Am 1. September 2020 hat Deutschland eine Gesetzesreform für die Psychotherapeutenausbildung verabschiedet, um das Gesetz an die Qualifikation der Psychotherapeut*innen anzupassen und die Ausbildungsbedingungen für den Beruf zu verbessern – und damit mehr zukünftige Psychotherapeut*innen zu gewinnen. Anders als in den anderen europäischen Ländern beginnt die psychotherapeutische Fachausbildung in Deutschland bereits während des Hochschulstudiums und schließt mit einer Approbationsprüfung nach Abschluss eines Masterstudiums der Psychologie oder Psychotherapie ab, d.h. die Ausbildung wird im Direktstudium absolviert. Psychotherapeut*innen in Ausbildung müssen in Deutschland wie Arbeitnehmer*innen bezahlt werden, und die Ausbildungsinstitute müssen mindestens 40 Prozent der Krankenkassenbeiträge übernehmen. Die Gesetzesreform ist insofern fruchtbar, als die Ausbildung nicht auf einen Masterabschluss folgt, sondern in diesen integriert ist – und finanziell honoriert wird. Die psychotherapeutische Berufsbezeichnung kann schneller erlangt werden und damit der Einstieg in die Berufswelt schneller erfolgen, allerdings auf eine sorgfältig geregelte Weise.
Catherine Richard und Prof. Dr. Claus Vögele, Leiter des Masterstudiengangs in Psychotherapie an der Universität Luxemburg und approbierter Psychotherapeut, sind sich einig: Die Zahl der angebotenen psychotherapeutischen Leistungen korreliert nicht mit der Nachfrage nach Hilfe, die Nachfrage wird weiter steigen, und es besteht Handlungsbedarf. Die Lösung scheint auf den ersten Blick einfach: Neue Stellen schaffen, grenzüberschreitende Arbeitskräfte gewinnen und in die psychotherapeutische Versorgung investieren.
Prof. Dr. Vögele schüttelt den Kopf. "Wenn man mit den Leuten von der CNS spricht, dann haben die ein bestimmtes Budget, und das müssen sie auch einsetzen. Sie können das Budget nicht einfach aufstocken", gibt er zu bedenken. Der Verlauf einer psychischen Störung ist nicht einheitlich, sodass eine genaue Planung der Ausgaben schwierig ist. Einige Patienten benötigen mehr Sitzungen als andere, sodass einige das CNS mehr kosten werden als andere. Die Eröffnung zusätzlicher psychologischer Einrichtungen muss sich als lukrativ erweisen und erfordert eine sorgfältige Planung.
"Es gibt Studien in Deutschland, die zeigen, dass für jeden Euro, der in die Bereitstellung von psychotherapeutischen Leistungen investiert wird, langfristig vier Euro gewonnen werden."
Catherine Richard, Psychotherapeutin und Vorsitzende der Fapsylux
Trotz dieser Bedenken schlägt der Professor einen Ansatz vor, der an den freien Markt erinnert. "Ich habe mit Leuten aus verschiedenen Teilen der Gesellschaft diskutiert, die sagten: 'Oh, ihr werdet eine riesige Anzahl von Psychotherapeuten hervorbringen, die ohne Arbeit sein werden, weil es nicht genügend Stellen gibt.' Das ist kein marktwirtschaftliches Denken, denn wenn man einen Moment lang marktwirtschaftlich denkt und tatsächlich die Nachfrage nimmt, dann müsste eine größere Anzahl neuer Stellen geschaffen werden, die die Nachfrage widerspiegelt." Beide Fachleute argumentieren, dass ein besserer Zugang zu psychotherapeutischen Diensten sowohl für die Gesellschaft als auch für die Berufswelt von wirtschaftlichem Nutzen wäre. Sie würde die Fehlzeiten und Frühverrentungen deutlich verringern und die Produktivität steigern.
Die Vorteile der Rückerstattungsvereinbarung
Die neuen Rechtsvorschriften über die Kostenerstattung für psychotherapeutische Leistungen stellen sowohl für potenzielle Patient*innen als auch für psychotherapeutisch Tätige eine unbestreitbare Erleichterung dar. Catherine Richard erläutert den deutschen Einfluss auf diese Vereinbarung.
Erstattung der Kosten für psychotherapeutische Leistungen
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Wie auf der offiziellen Website der Gesundheitskasse erläutert, können die Kosten für psychotherapeutische Leistungen ab dem 1. Februar 2023 erstattet werden. Erwachsene sind zu 70 Prozent krankenversichert, versicherte Minderjährige erhalten 100 Prozent der Kosten erstattet. Eine Erstattung für unterstützende und erweiterte unterstützende Psychotherapie ist nur möglich, wenn eine ärztliche Verordnung bescheinigt, dass keine somatische Erkrankung die Ursache für die psychische Störung ist. Die Erstattung kann nur beantragt werden, wenn die Behandlung innerhalb von 90 Tagen nach Ausstellung der Verordnung begonnen wird. Für die einleitenden Psychotherapiesitzungen, die auf drei Sitzungen begrenzt sind, ist kein ärztliches Abonnement vor Beginn der Sitzung erforderlich, aber es muss innerhalb von 90 Tagen nach der ersten Sitzung ausgestellt werden. Die Erstattungshandlungen sind zeitlich begrenzt: Die Patient*innen können die Erstattung von drei einleitenden psychotherapeutischen Sitzungen und 24 unterstützenden psychotherapeutischen Sitzungen alle fünf Jahre beantragen, gerechnet ab dem Ausstellungsdatum der ursprünglichen ärztlichen Verordnung. Bis zu 120 erweiterte unterstützende psychotherapeutische Sitzungen alle zehn Jahre können von der Krankenkasse übernommen werden, sofern für alle 24 Sitzungen eine neue ärztliche Verschreibung vorliegt.
"Das deutsche Gesundheitssystem erstattet Psychotherapien seit Anfang der 1990er Jahre. Der Beruf ist also schon viel länger anerkannt, und mehr Menschen sind daran interessiert, als Psychotherapeuten zu arbeiten. Wir wollten diese Idee in unser nationales System übernehmen." Sie ist zuversichtlich, dass sich dies positiv auf die Arbeitsbedingungen im nationalen Bereich auswirken wird. In Zukunft sollten mehr Fachleute für die Arbeit in diesem Bereich gewonnen werden, da er jetzt lukrativer ist. Erleichtert zeigt sich auch Prof. Dr. Vögele. "Wir müssen das Wohl unserer Patienten in den Mittelpunkt unseres Handelns stellen. Und wir müssen ethisch handeln, und zu den ethischen Anforderungen gehört, dass wir unsere Leistungen jedem anbieten." Die Kostenerstattungsvereinbarung hebt die bisherige Grenze zwischen Arm und Reich auf und entthront die Psychotherapie von ihrem Status als Dienstleistung, die ausschließlich denjenigen zur Verfügung steht, die sie sich leisten können.
Körperliche versus psychische Krankheit – ein langjähriger Kampf?
Was sich als Fortschritt darstellt, ist jedoch in der allgemeinen Stigmatisierung des Erlebens und der Behandlung von psychischen Erkrankungen verankert. Das Vorliegen einer ärztlichen Verschreibung ist die wichtigste Voraussetzung für die Kostenübernahme: Wie auf der offiziellen Website der CNS nachzulesen ist, müssen "alle von einem Psychotherapeuten erbrachten Leistungen von einem Arzt verschrieben werden, der bescheinigt, dass keine medizinischen Kontraindikationen für eine Psychotherapie vorliegen", um für eine Kostenerstattung durch die CNS oder den zuständigen öffentlichen Fonds infrage zu kommen. Prof. Dr. Claus Vögele lacht ungläubig. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass bei psychischen Problemen eine Überweisung durch einen Allgemeinmediziner oder einen anderen Arzt notwendig ist." Die CNS behandelt die Psychotherapie als eine zusätzliche paramedizinische Behandlung und treibt einen Keil zwischen die psychisch Kranken und die Psychotherapeut*innen. "Das schafft nur zusätzliche Hürden für die Menschen." Ärzt*innen bewachen die Pforten der Psychotherapie – und das, ohne dass sie unbedingt über die notwendigen Qualifikationen für eine angemessene klinische Beurteilung verfügen.
"Psychische Störungen müssen nach dem neuesten Stand der Wissenschaft beurteilt werden, andernfalls werden Entscheidungen bereits an der ersten Kreuzung falsch getroffen."
Prof. Dr. Claus Vögele, Leiter des Masterstudiengangs in Psychotherapie an der Universität Luxemburg und approbierter Psychotherapeut
Dieses Spannungsverhältnis zwischen körperlicher und seelischer Störung hat eine sehr lange Geschichte, die sowohl Catherine Richard als auch Prof. Dr. Claus Vögele beschäftigt. "Kürzlich war ich im Urlaub und wir sprachen über eine kranke Person, eine Person, die an Depressionen litt. Und jemand sagte: 'Ach so, ich dachte, es sei Krebs.' Die Menschen müssen erkennen, wie tödlich eine Depression sein kann. 15 Prozent überleben eine Depression nicht, weil sie am Ende Suizid begehen." Catherine Richards Blick erweicht sich. "Eine Depression ist wirklich etwas Schreckliches, und sie könnte so einfach durch Psychotherapie behandelt werden." Eine weitere Verstärkung der Trennung zwischen körperlichen und psychischen Störungen könnte sich als problematisch für die allgemeine Verbesserung des Systems erweisen.
"Nicht nur schönreden" – warum psychologische Betreuung wichtig ist
Jeder der Befragten betont die Bedeutung einer angemessenen Behandlung psychischer Erkrankungen und die Notwendigkeit, diese anzubieten und zugänglich zu machen. "Man kann eine psychische Erkrankung nicht allein bewältigen." Diogos lebenslanger Kampf mit einer psychischen Erkrankung hat ihn nicht gegen deren schädliche Auswirkungen auf seinen Alltag und sein Denken immunisiert.
Im Juni 2020 führte seine erste selbst gewählte Begegnung mit einer psychiatrischen Fachkraft entgegen seinen eigenen Erwartungen zu der sofortigen vorläufigen Diagnose MDD (Major Depressive Disorder) und der Verschreibung von Antidepressiva. Diogo war enttäuscht. "Ich habe Medikamente abgelehnt. Pillen können meinen Kopf nicht nur reparieren. Ich will ein besseres Leben führen können und nicht durch Drogenkonsum dem Schmerz entkommen. Das würde das Problem nur verschlimmern."
Catherine Richard und Prof. Dr. Vögele gehen auf die Stellung von Psychotherapeut*innen im Leben von Patient*innen ein. Einfühlsam beschreibt Richard ihren Beruf als einen Weg, eine psychische Erkrankung zu verstehen und mit ihr zu leben, als einen Weg in die soziale Reintegration. Eine übermäßige Abhängigkeit von Medikamenten behindert die tatsächliche Verarbeitung der individuellen psychischen Krankheitserfahrung. Die Psychotherapie initiiert eine Reise zum Kern der tiefer liegenden Probleme. Um zu diesem Kern vorzudringen, braucht man Zeit und muss in Zukunft einen gesunden Umgang mit seinen Gefühlen finden. "Medikamente betäuben den Schmerz, den man empfindet, wenn man einen Stein im Schuh hat – Psychotherapie entfernt den Stein."
Prof. Dr. Claus Vögele
Prof. Dr. Vögele betont, dass sich das Gehirn im Wesentlichen durch das Lernen und Verlernen von psychischen Prozessen selbst heilt. Ein*e Psychotherapeut*in weist den Menschen darauf hin, seine eigenen gesunden Ressourcen zu mobilisieren. "In meiner Rolle als Psychotherapeut bin ich nur die Krücke, an der der Mensch beginnt, wieder laufen zu lernen, und ich werde weggeworfen, wenn es geschehen ist." Die Mauer, die durch die landläufige Wahrnehmung des psychotherapeutischen Berufs als zwangloses Geplauder zwischen einem körperlich gesunden Patienten und einem professionellen Therapeuten errichtet wurde, muss niedergerissen werden.
"Psychische Störungen müssen behandelt werden, und wir haben die Mittel dafür. Es liegt in der Verantwortung jeder Gesellschaft mit einem anständigen Gesundheitssystem, sich darum zu kümmern."
Prof. Dr. Vögele
Befinden wir uns in einer ausweglosen Situation – werden wir nie in der Lage sein, die Nachfrage mit dem Angebot zu kompensieren? Wird die Psychotherapie immer als minderwertig gegenüber anderen paramedizinischen Berufen angesehen werden? Der allgemeine Konsens: Nein, aber es gibt noch viel zu tun, sowohl in der Gesellschaft als auch in der Gesetzgebung. Die Deckung durch die Krankenversicherung ist ein wichtiger erster Schritt in die richtige Richtung, trotz der Überweisungsproblematik. Dieses Hindernis könnte durch eine Zusammenarbeit zwischen Psychotherapeut*innen, Psychiater*innen und Ärzt*innen überwunden werden, argumentiert Prof. Dr. Vögele – eine Aufgabe, die das nationale Gesundheitsministerium befürwortet. Ein nationaler Plan für psychische Gesundheit ist derzeit in Arbeit. "Ich denke, es ist höchste Zeit, dass wir das tun. Und ich denke, eine der Hauptaufgaben dieses nationalen Plans für psychische Gesundheit ist es, die psychiatrischen Dienste zusammenzubringen, die bisher nebeneinander existierten, ohne notwendigerweise voneinander zu wissen, ganz zu schweigen von der Zusammenarbeit miteinander."
Die Ligue Luxembourgeoise d'Hygiène Mentale
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D'Ligue Luxembourgeoise d'Hygiène Mentale will psychische Erkrankungen entstigmatisieren, indem sie die Bevölkerung für psychische Erkrankungen, deren Behandlung, Häufigkeit und Intervention sensibilisiert. Ihr Bildungsprogramm richtet sich an besonders betroffene Personen, ihr unmittelbares Umfeld und Fachleute aus dem sozialen und medizinisch-psychosozialen Bereich, steht aber allen offen. Die Fortbildungsprogramme finden an zwei aufeinanderfolgenden Tagen in französischer oder luxemburgischer Sprache statt. Zusätzlich zu diesen Programmen informieren Konferenzen und Diskussionsworkshops unter anderem über die präventive Erkennung von Suizidkrisen und weisen auf das Verständnis und die angemessene Reaktion auf und die Prävention von Depressionen, Angstzuständen, posttraumatischen Belastungsstörungen und Süchten hin.
Prävention – ein weiterer Begriff, der von unseren Gesprächspartner*innen häufig verwendet wurde. Mehr Fachkräfte für psychische Gesundheit werden dringend benötigt, ja, aber die Eindämmung der Manifestation schwerer psychischer Erkrankungen sei eine gesellschaftliche Aufgabe. Prof. Dr. Vögele weist immer wieder auf die entscheidende Rolle von Aufklärung und entsprechender Schulung hin. Was sind psychische Störungen? Wie erkennen wir frühe Symptome? An wen wenden wir uns, wenn wir bei unseren Nächsten, bei denen, die wir erziehen und unterrichten, deutliche Veränderungen im Verhalten und in der Emotionalität feststellen? Spoiler: Es sollte nicht in erster Linie der*die Allgemeinmediziner*in sein.
Dieser Artikel ist im Rahmen des praktischen Workshops "Working in the Media" an der Universität Luxemburg entstanden. Die Studierenden Sherley De Deurwaerder und Mika Lorang sind die Autor*innen des Textes und erhielten einen umfassenden Einblick in den Arbeitsalltag von Journalist*innen. Bei der Arbeit an ihrem ersten journalistischen Artikel wurden sie von Melody Hansen, Chefredakteurin, betreut.