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Die Journal-Redaktion blickt auf 2021 zurück - Laura Tomassini ist dran. Die vergangenen zwölf Monate waren aufregend, herausfordernd und bereichernd und bedeuten gleichzeitig unseren ersten, digitalen Geburtstag. Zu diesem Anlass hat sich jedes Teammitglied den Beitrag ausgesucht, dessen Recherche oder Produktion sie oder ihn 2021 am meisten geprägt hat.
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Direkt im ersten Semester im Studiengang der Medienwissenschaft lernten wir sie an der Uni Trier kennen: die Nachrichtenwertfaktoren, auf Englisch Elemente der „news value“. Bereits in den 1920er Jahren identifizierte der amerikanische Journalist Walter Lippmann zehn Eigenschaften, die ein Event nachrichtenwürdig machen – darunter auch die Negativität. Je mehr Drama, Schaden und Katastrophen, desto mehr Klicks, denn genau das wollen die Menschen ja lesen. Aber tun sie das wirklich? Brauchen wir negative Nachrichten, Medien, die uns mit all dem Schlechten der Welt bombardieren und dies – danke digitales Zeitalter! – von früh bis spät?
Mit einem erst schüchternen, mittlerweile jedoch bestimmten Räuspern wage ich zu sagen: Nein. Nein, wir wollen und brauchen nicht nur Negatives, vor allem nicht nach fast zwei Jahren Corona. Natürlich muss es investigativen und fingerzeigenden Journalismus geben, schließlich spielen Medien in der Gesellschaft eine wichtige Rolle. Doch es muss auch Platz zum Aufatmen geben, Berichte, die nicht nur verzweifeln lassen. Unter dem Titel Where is the love? sangen 2003 schon Black Eyed Peas von allem, was durch Menschenhand schiefläuft und fragten nach der einen Sache, die uns alle verbindet: der Liebe. Wo sind all die schönen Geschichten, die Stories vom Miteinander, die, die uns beim Lesen ein kleines Lächeln herbeizaubern? Na, genau hier, man muss nur hinsehen und zuhören.
„Doch ein kleiner Moment des Schmunzelns, ein Hauch von ‚Das Leben ist doch eigentlich schön‘, ein Video mit verliebten alten Menschen hinterlassen so viel mehr, als jede Drama-Berichterstattung.“
Während eines Interviews vor ein paar Jahren sagte die Dame, bei der ich zuhause am Küchentisch saß und deren Ratschläge zu Erkältungs-Hausmitteln ich lauschte, etwas, das mir auch Monate danach nicht mehr aus dem Kopf ging: „Mein Mann war die Liebe meines Lebens und wenn ich heute an ihn denke, wird mir immer noch ganz warm ums Herz.“ Wow, Pipi-in-den-Augen-Moment. Julie Biedas Liebeserklärung an ihren verstorbenen Mann musste ich mit viel Mühe mit einem Blinzeln und starken Schlucken vorbeiziehen lassen, denn sonst hätte ich auf der Stelle mein Interview abbrechen müssen.
Zu meinem Neustart beim Lëtzebuerger Journal nahm ich mir vor, Geschichten zu erzählen. Geschichten von einfachen Menschen, ihrem Alltag und dem, was sie bewegt. Julie Bieda hatte mich bewegt und so berichtete ich während eines unserer Redaktionsmeetings von meiner Idee, zu Valentinstag eine Videoreportage über Liebesgeschichten zu drehen. In den darauffolgenden Wochen besuchte ich Julie Bieda also zum zweiten Mal, ich sprach mit Maria Grober übers Verliebtsein in ihrer Jugend und begleitete Anny und Jean Leon Erpelding durch die Erinnerungen ihrer Liebe, die nun schon seit über 50 Jahren hält.
Weshalb gerade ältere Menschen? Weil sie mir das Gefühl vermitteln, dass es die wahre Liebe gibt und weil sie, zumindest manche von ihnen, die Tiefen des Lebens mit etwas Abstand betrachten und zu schätzen wissen, was sie dennoch an Positivem erleben durften. Die Resonanz in den Sozialen Medien sollte meiner Hypothese vom Anfang Rechnung tragen: 25,1 Tausend Aufrufe, 749 Likes, 165 Mal geteilt und hunderte an Kommentaren darüber, wie schön eine solche Liebe doch ist. Wollen die Menschen wirklich nur negative Nachrichten? Wahrscheinlich ein bisschen, Sensationsgier steckt halt in jedem von uns. Doch ein kleiner Moment des Schmunzelns, ein Hauch von „Das Leben ist doch eigentlich schön“, ein Video mit verliebten alten Menschen hinterlassen so viel mehr, als jede Drama-Berichterstattung. Sie hinterlassen ein Gefühl, das bleibt und nicht einfach vom nächsten und nächsten und abernächsten News-Flash überrollt wird, dessen bin ich mir sicher.