Inhalt, Qualität und ein wenig „Girl Power“ (Retro 2/12)

Von Camille Frati Für Originaltext auf Französisch umschalten

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Die Journal-Redaktion blickt auf 2021 zurück - Camille Frati ist dran. Die vergangenen zwölf Monate waren aufregend, herausfordernd und bereichernd und bedeuten gleichzeitig unseren ersten, digitalen Geburtstag. Zu diesem Anlass hat sich jedes Teammitglied den Beitrag ausgesucht, dessen Recherche oder Produktion sie oder ihn 2021 am meisten geprägt hat.

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Wenn ich zurückblicke, empfinde ich eine besondere Verbundenheit zu einem meiner allerersten Artikel für das Journal: Eine Anwältin im Dschungel von Calais. Beschrieben wird der Werdegang von Nora Fellens, einer jungen luxemburgischen Anwältin, die in einer humanitären Organisation tätig ist, die sich für die Exilant*innen in Calais einsetzt. Diese überleben unter mehr als prekären Bedingungen und warten darauf, den Ärmelkanal überqueren zu können, um nach Großbritannien zu gelangen – oft ihre letzte Hoffnung auf einen Neuanfang und ein menschenwürdiges Leben fernab von Krieg oder Armut. Zustände, vor denen sie in ihren Heimatländern geflohen sind. Calais ist die Hölle, vier Autostunden von Luxemburg entfernt.

Dies ist wahrscheinlich das prägnanteste Interview, das ich im Jahr 2021 führen durfte. Auch weil es mir ermöglicht hat, das Gesicht einer Jugend zu enthüllen, die sich engagiert, ohne einem vorgezeichneten Weg zu folgen, ohne sich in materiellem Komfort und der Unbeschwertheit eines vielversprechenden Karrierebeginns zu suhlen. Und dann taucht dieses Thema immer wieder in den Nachrichten auf, wie kürzlich der Untergang eines mit Migrant*innen beladenen Bootes oder die Instrumentalisierung der Geflüchteten durch den weißrussischen Präsidenten in einem schmutzigen Machtkampf mit der Europäischen Union. Calais erinnert uns an unser Glück und unsere Verantwortung gegenüber anderen Menschen in Not.

„Seit nunmehr einem Jahr kann ich mich auf die grundlegenden Themen konzentrieren, die mich schon immer angezogen haben und die an der Schnittstelle von Gesellschaft, Wirtschaft und Justiz angesiedelt sind.“

Dieser Artikel verkörpert auch den Journalismus, den ich anstrebte und weiterhin verfolge, als ich dem Lëtzebuerger Journal beitrat. Qualitätsjournalismus, der den Journalist*innen die nötige Zeit lässt, ein Thema vorzubereiten, einen etwas anderen Blickwinkel zu erhaschen, Kontakte zu knüpfen, ein oder mehrere Interviews zu führen, die passenden Illustrationen auszuwählen und relevante Tonbeispiele anzubieten. Das sind alles Schritte, die man gerne überstürzt, wenn man unter Zeitdruck oder in Eile arbeitet – entweder weil die Nachrichten nicht warten können oder weil eine umfangreiche Liste von Artikeln existiert, die innerhalb kurzer Zeit abgegeben werden müssen.

Seit nunmehr einem Jahr kann ich mich auf die grundlegenden Themen konzentrieren, die mich schon immer angezogen haben und die an der Schnittstelle von Gesellschaft, Wirtschaft und Justiz angesiedelt sind: der neuartige sprachliche Kontext des Großherzogtums und seine Folgen, die juristischen Kämpfe, die Leben verändern und ungerechte Gesetze korrigieren, der Platz Luxemburgs in der Welt, der Kreuzzug der Grenzgänger*innen gegen Diskriminierung, die Hintergründe des Finanzplatzes, die Herausforderungen rund um den Wohnungsbau … Es ist erfüllend und das positive Feedback auf unsere Artikel ist mehr als ermutigend. Ich schätze es auch besonders, für das erste Medium des Landes zu arbeiten, das das Gendern eingeführt hat und in der Geschäftsleitung und im Team eine echte Parität aufweist. Nicht zu vergessen ist die entspannte, konstruktive und angenehme Arbeitsatmosphäre. Sie können sicher sein, dass unsere Ziele und unser Anspruch auch 2022 unverändert bleiben.

Nora Fellens