„Die Welt kann ein wunderschöner Ort sein. Zeige ihn.“ (Retro 3/12)

Von Misch Pautsch

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Die Journal-Redaktion blickt auf 2021 zurück - so auch Misch Pautsch. Die vergangenen zwölf Monate waren aufregend, herausfordernd und bereichernd und bedeuten gleichzeitig unseren ersten, digitalen Geburtstag. Zu diesem Anlass hat sich jedes Teammitglied den Beitrag ausgesucht, dessen Recherche oder Produktion sie oder ihn 2021 am meisten geprägt hat.

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Diese Sätze sind die ersten auf meiner kleinen, aber wachsenden Liste an Leitlinien, die ich versuche zu befolgen, in meiner Arbeit und privat. Meist glaube ich daran. Aber er könnte in keinem krasseren Kontrast zur Funktionsweise vieler Medien stehen. If it bleeds, it leads. Angst, Hass, Titten und der Wetterbericht. Das Leben eines Journalisten ist ein Leben auf der Suche nach dem „Scoop“. Nach dem Außergewöhnlichen, dem Anderen, dem Neuen. Dies lässt sich meist im Schlimmen finden. In Korruption, im Kampf, Missbrauch und im Leid von Anderen.

Zwei Interviews dieses Jahr haben mir Perspektive gelehrt. Kriegsfotografin Ursula Meissner hat über 30 Jahre das Leben und den Konflikt in Afghanistan dokumentiert. Filmemacher Adel Khan Farooq hat über zwei Jahre das Leben eines IS-Rekrutierers begleitet. Ich habe tiefen Respekt vor beiden. Ihre Arbeit ist inspirierend. Und mehr als einmal hat der Gedanke tief gestochen, dass ich über Leute berichte, die selbst wirklich an der Front sind. „Richtige“ Journalist*innen, die die Welt „da draußen“ zeigen, und hier in einem dumpfen Echo widerhallen. Die Welt scheint so weit weg, und Luxemburg so klein und ereignislos.

„Dass es einen berührt, nach Monaten bei einem der Betroffenen nachzufragen, wie es ihm geht, und als Antwort zu bekommen: ‚Nicht gut‛.“

Bis dann doch plötzlich der Himmel einstürzt. In Luxemburg ist keiner gestorben, während der Jahrhundertflut, die vermutlich nicht lange eine bleiben wird. Um Haaresbreite. Aber Leben wurden zerstört. Und dieser Moment, auf den ich insgeheim jahrelang hin gefiebert habe, dieser Moment „in dem etwas passiert“, hat sich furchtbar angefühlt. Dies war vor den Interviews, als Menschen wie Ursula und Adel für mich noch nicht aus Fleisch und Blut bestanden, sondern aus Pixeln auf einem Bildschirm. Als ich ihre Arbeit kannte, aber nicht sie. Hätte ich früher mit ihnen geredet, hätte ich meine Kameratasche mit weniger Enthusiasmus ins Auto geschmissen, um „an der Front“ zu sein – aber mit mehr Pflichtgefühl. Dann hätte ich gewusst, wie es ist, mit Menschen zu reden, die Verlust kennen. Dass eine Kamera zwar ein guter Schild ist, aber die Bilder einen nach Hause begleiten. Dass es einen berührt, nach Monaten bei einem der Betroffenen nachzufragen, wie es ihm geht, und als Antwort zu bekommen: „Nicht gut.“ Ich will mir nicht vorstellen, wie es sich anfühlt, wenn keine Antwort kommt. Adel und Ursula wissen es.

Journalismus ist hier oft kuschelig. Selten schätzen wir die positiven Seiten davon, noch seltener heben wir sie hervor. Wir müssen nach Korruption und Missbrauch suchen, weil er nicht am helllichten Tag passiert, wie an so vielen anderen Orten. Katastrophen schockieren hier, weil sie ungewöhnlich sind. Wir können uns den Luxus erlauben, aus zweiter Hand über Krieg zu reden. Menschen können in den Mittelpunkt gerückt werden, weil sie nicht nur Statistiken sind. Und wir haben die Zeit von denen zu lernen, die mehr gesehen haben als wir. Adel ist seinem Gegenüber mit „Respekt und ohne Verurteilung“ entgegengetreten. Und hat so Bilder gemacht, die sonst niemand bekäme. Ursula hat das Unmenschliche was sie sah „immer so abgelichtet, dass es mit dem Schönen verbunden war“. Welch bessere Lektionen könnte man einer kleinen, aber wachsenden Liste hinzufügen?