Die Lösung ist eigentlich da (Retro 1/12)

Von Christian Block

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Die Journal-Redaktion blickt auf 2021 zurück - Christian Block macht den Anfang. Die vergangenen zwölf Monate waren aufregend, herausfordernd und bereichernd und bedeuten gleichzeitig unseren ersten, digitalen Geburtstag. Zu diesem Anlass hat sich jedes Teammitglied den Beitrag ausgesucht, dessen Recherche oder Produktion sie oder ihn 2021 am meisten geprägt hat.

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Kevin Michels Geschichte ist in aller erster Hinsicht seine eigene, persönliche. Und doch ist sie auch exemplarisch. Am Ende einer Verkettung von Ereignissen und Entscheidungen landet er auf der Straße. Von dort ist der Weg in eine Abhängigkeit oft nicht weit. Solche Lebensunfälle gibt es etliche, auch in Luxemburg. Würde man Drogenabhängige nach ihrem Lebensweg befragen, sie würden unzählige Geschichten über zerrüttete Familien, Leid, Flucht, Gewalt oder psychische Krankheiten erzählen. Oder aber es ist eine außer Kontrolle geratene Abhängigkeit – Alkohol, Glücksspiel, Kokain oder anderes -, die den Preis eines einigermaßen geregelten Lebens mit Familie, Job und Wohnung fordert. Das Ergebnis ist meist dasselbe: Ein täglicher Teufelskreis aus Beschaffungskriminalität, Konsum und die Suche nach einem Ort zum Übernachten. Die Jagd nach dem Rausch verschärft zunehmend die eigene Situation, psychisch, physisch. Gefängnisaufenthalte sind nicht selten.

Kevin Michels konnte diesen Teufelskreis durchbrechen. Seine Geschichte zeigt, dass Housing First, also das Konzept einer niedrigschwelligen Wohnlösung, funktioniert. Über einen sicheren Rückzugsort, ein Zuhause zu verfügen, eröffnet neue Perspektiven zur Verbesserung der eigenen Situation, wie auch der gesellschaftlichen Integration.

Themen wie diesem nachzugehen, sich Zeit für die Recherche und den Vor-Ort-Termin zu nehmen, das hat dieses Jahr beim Journal geprägt.

Doch was Finnland bereits überaus erfolgreich erprobt hat – das Land hat seine Obdachlosenzahlen massiv reduziert –, ist in Luxemburg noch stark ausbaufähig. Das liegt kaum an den gemeinnützigen Vereinigungen, die auf diesem Gebiet aktiv sind – und im Falle der jugend- an drogenhëllef schon lange. Sondern vielmehr an der Politik, die das Konzept zwar schon lange kennt, aber Umsetzungswillen vermissen lässt. Wie sagte die belgische Gastrednerin Caroline Buxant anlässlich einer Konferenz über Housing First im Oktober? Die Überlegung hinter Housing First bestehe darin, als Gesellschaft einfach nicht länger zu akzeptieren, dass jemand auf der Straße lebt. Wer dieses Ziel konsequent verfolgen will, kann sich mit Notunterkünften und Co., dem Verwalten des Problems, nicht zufrieden geben. Doch davon ist Luxemburg noch weit entfernt. Nicht nur stellt sich anhand einer immer angespannteren Lage auf dem Wohnungsmarkt die Frage, ob die wohnungspolitischen Ansätze der Regierung in schnell und in ausreichendem Umfang verfügbaren Wohnraum münden werden. Es ist das Problem schlechthin, wie viele Beiträge des Journal in diesem Jahr zeigten.

Auch sind der Bedarf für und der Bestand von Housing-First-Wohnraum auf nationaler Ebene immer noch nicht erfasst. Doch wie will man ein Problem bekämpfen, über das man nichts weiß? Zwar läuft die Evaluierung des bei sozialen Akteuren wenig bekannten nationalen Aktionsplans gegen Obdachlosigkeit und ist eine Studie über die Obdachlosigkeit in Luxemburg geplant. Doch all das wird wieder viel Zeit kosten.

Themen wie diesem nachzugehen, sich Zeit für die Recherche und den Vor-Ort-Termin zu nehmen, das hat dieses Jahr beim Journal geprägt. Dranzubleiben lautet die Aufgabe für das kommende.