Der Notruf der Tierärzt*innen

Von Melody Hansen

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Online-Bashing, Gewalt, mentale Belastung: Tierärzt*innen kämpfen nicht nur für Tiere, sondern zunehmend um ihre eigene seelische Gesundheit. Der luxemburgische Berufsverband AMVL warnt: Wenn der psychische Druck weiter steigt, gefährdet das nicht nur einzelne Existenzen – sondern auch die tierärztliche Versorgung im Land.

Veterinär*in ist ein Beruf mit außergewöhnlich hoher Suizidrate. Darüber hatte Sarah Raparoli im Mai 2021 mit der luxemburgischen Tierärztin Dr. Caroline Mousel gesprochen. Heute, vier Jahre später, hat die Association des Médecins Vétérinaires du Grand-Duché de Luxembourg mit einer Pressemitteilung auf die angespannte Situation aufmerksam gemacht: "Vor allem in Kliniken arbeiten wir Tag und Nacht für das Wohl der Tiere und sind immer häufiger mit Angriffen vor allem in sozialen Netzwerken konfrontiert", heißt es. Schlimmer noch, Kolleg*innen würden zum Teil auch mit verbaler oder sogar körperlicher Gewalt konfrontiert.

Die Vereinigung macht auf die schwerwiegenden Konsequenzen für die mentale Gesundheit aufmerksam, die das zur Folge haben kann. Das wirke sich schlussendlich auch auf die Qualität der Tierpflege aus. "Wir haben angesichts dieser Situation ein Gefühl der Ohnmacht und Ungerechtigkeit." In der Pressemitteilung wird von Druck durch die Forderungen des Besitzers, vorschnellen Urteilen und Drohungen gesprochen, die Tierärzt*innen darin beeinträchtigen, ihren Beruf nach bestem Wissen und Gewissen auszuüben.

Die AMVL stellt fest, dass das Online-Bashing auch neue Tierärzt*innen davon abhalten würde, in den Beruf einzusteigen oder darin zu bleiben. Das in einem Job, dessen Selbstmordrate weit über der, der Allgemeinbevölkerung liegt.

"Jeder Tierarzt kennt einen anderen, der entweder Suizid begangen hat oder eine schwere Zeit durchmacht", sagte Dr. Caroline Mousel 2021. Sie selbst kannte damals in Luxemburg zwei Veterinär*innen, die ihrem Leben ein Ende gesetzt haben. Wie in verschiedenen Studien untersucht, war auch die Ärztin der Meinung, dass der einfache Zugang zu entsprechenden Medikamenten ein erheblicher Grund für die erhöhte Suizidrate sei. "Wir sind im Besitz von Medikamenten, die bei Einschläferung der Tiere genutzt werden und wir wissen, wie sie angewandt werden."

Niemand schläfere gerne ein Tier ein, so Dr. Mousel. Angehende Tierärzt*innen müssten sich bewusst sein, dass ein solcher Vorgang eine große Belastung sein kann – nicht nur für die Besitzer*innen, auch für die behandelnden Ärzt*innen. "Ich denke, dass die Menschen, die sich für diesen Beruf entscheiden, emotional ergriffen sind. Diese Menschen bringen sehr viel Mitgefühl auf, sie möchten den Tieren helfen." Von einem psychologischen Standpunkt aus seien Personen mit viel Mitgefühl verletzlicher als andere, ergänzte die Tierärztin.

"Jeder Tierarzt kennt einen anderen, der entweder Suizid begangen hat oder eine schwere Zeit durchmacht."

Dr. Caroline Mousel, Tierärztin

Die AMVL ruft zu einer kollektiven Bewusstseinsbildung auf, um einen konstruktiven und respektvollen Dialog über tierärztliche Praxis zu fördern. Tierbesitzer*innen sollen Fragen stellen, Bedenken äußern und ihre Veterinär*innen um Aufklärung bitten, "anstatt vor jeder Diskussion selbst mit Fachleuten die vierte Gewalt in unserer Demokratie, nämlich die Medien, zu nutzen".

In der Veterinärmedizin fehle es an qualifizierten Fachkräften. Während laut OECD im Schnitt 3,8 Humanmediziner*innen auf 1.000 Einwohner kommen, liegt der europäische Durchschnitt in der Tiermedizin laut FVE bei nur 0,43 pro 1.000. In Luxemburg sind es etwa 0,75 pro 1.000 tierische Patienten – eine Zahl, die durch viele Teilzeitstellen vermutlich zu positiv erscheint. Die wenigen, die da sind, garantieren die nächtlichen tierärztlichen Notdienste und Krankenhausaufenthalte in Luxemburg – doch diese werden laut AMVL "immer dünner". "Wenn diese Einrichtungen und ihre Tierärzte letztendlich unter dem psychologischen Druck, den Tierbesitzer in welcher Form auch immer ausüben, zusammenbrechen, wird der gesamte nächtliche Notdienst in Luxemburg zusammenbrechen."