Editorial - Reizüberflutung

Von Misch Pautsch

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Luxemburg ist zu laut und zu hell: Das ist ungesund, mental belastend und teuer, ohne dass es greifbare Vorteile gibt. Funktionierende Lösungen für beide Probleme sind bekannt, nur tun sich Entscheidungsträger*innen schwer, sie umzusetzen. Wohl auch wegen mangelnder Nachfrage.

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Jetzt mal ehrlich: Wann hast du dich zum letzten Mal in einer lauen Nacht im Sternenhimmel verloren? Oder im Wald in Ruhe den Vögeln oder Blätterrauschen zugehört? Ungestört vom taghellen Werbeplakat einige Straßen weiter, oder vom Jaulen eines Autos oder Motorrads, das über eine Landstraße rast?

Wahrscheinlich ist es länger her, schließlich ist beides in Luxemburg gar nicht so einfach. Je nachdem, wo du lebst, ist es sogar fast unmöglich. Im Großherzogtum ist es meist laut und hell. Das ist nicht nur ein Herzschmerz-Problem für Romantiker und Hobbyastronom*innen, sondern eine reale Gesundheitsbelastung für hunderttausende Einwohner*innen unseres kleinen Landes. Der Mensch ist nicht für Dauberbeschallung geschaffen, so sehr wir auch glauben, uns daran gewöhnt zu haben.

Dass diese konstante Reizüberflutung durch Licht und Lärm ein Problem darstellt, ist bekannt. Nicht umsonst gibt es eine ganze Reihe Initiativen, um besser (also vor allem weniger) zu beleuchten, und die Lautstärke von menschlicher Aktivität (also vor allem Autos) um wertvolle Dezibel zu senken. Beides hat es nicht nur in den Koalitionsvertrag der schwarz-blauen Regierung geschafft, sondern ist auch mehr oder weniger konkret gesetzlich verankert und durch europäische Richtlinien geregelt.

"Besser beleuchten ist gesünder, umweltfreundlicher, schöner und billiger. […] Mehr Licht als Reaktion auf Kriminalität oder Unfälle ist, im besten Fall, eine kurzschlussartige Notlösung und grenzt, im schlimmsten, an gefährlichen Aberglauben."

Das wirft die Frage auf: Wieso wird es trotz aller Initiativen nonstop lauter und heller? Denn, wie bei so vielen Themen, bei denen "jeder weiß, dass etwas passieren sollte", scheinen wir im Moment mit einem Fuß auf die Bremse zu tippen, während der andere Vollgas gibt. Nun haben wir beim Journal den Anspruch, lösungsorientierten Journalismus zu betreiben: Das heißt aufzeigen, welche Antworten an anderen Orten funktionieren und – kritischerweise – welche die Einschränkungen sind. Immerhin wollen wir keine Zaubermärchen erzählen.

Nun ist es frustrierend schwierig, beim Thema Lichtverschmutzung Einschränkungen zu finden. Es ist … so einfach? "Beleuchten, wo, wann und wie es nötig ist", erklärt Lichtberater Daniel Gliedner. Das ist gesünder, umweltfreundlicher, schöner und – Killerargument - so viel billiger als die massive Energie- und Geldverschwendung, die wir aktuell betreiben. Das klingt fast zu gut, also sucht man als gewissenhafter Journalist nach dem Haken. Nur gibt es in diesem Fall ganz einfach keinen. Nix. Nada. Mehr Licht als Reaktion auf Kriminalität oder Unfälle ist, im besten Fall, eine kurzschlussartige Notlösung und grenzt, im schlimmsten, an Aberglauben. Wie die Bewohner*innen einer Bizzaro-NIMBY-Dimension schreien die Leute danach, dass ihr Backyard eben nicht schöner, nicht gesünder, nicht entspannter wird und sie auch kein Geld sparen. Es ist, ehrlich, verblüffend.

Lärmbelastung ist zugegebenermaßen komplizierter anzugehen, ohne in das Wespennest der offensichtlichen Omnipräsenz des Autos zu treten. Doch auch hier gibt es gute Ansätze, die funktionieren – wenn sie nur umgesetzt werden. Tempo 30-Zonen (deren Vorteile weit darüber hinausgehen), Verkehrsberuhigung, Flüsterasphalt… das alles sind keine neuen Ideen. Doch die mit der größten Liebe zum Detail ausgearbeiteten Lärmkarten und Pläne bringen wenig, wenn sie mit Kniefall Entscheidungsträger*innen vorgelegt werden, die ganz offensichtlich nicht sonderlich daran interessiert sind, sie umzusetzen. Wohl zum Teil, weil ihre Wählerschaft sich über die Jahre so sehr an das Problem gewohnt hat, dass sie nicht wissen, dass sie nach einer Lösung fragen können und sollten.

So kommt man als – nochmal – lösungsorientierter Journalist plötzlich zum Schluss, dass es nicht reicht, erwiesen funktionierende Lösungen aufzuzeigen und die Frage zu stellen, warum diese nicht auch hier umgesetzt werden. Stattdessen muss man den Leuten erklären, dass ein objektives Problem tatsächlich auch ein subjektives ist, nur dass verlernt wurde, es zu erkennen. Lärm- und Lichtverschmutzung sind imminent lösbare Probleme – wir müssen sie nur auch als solche wahrnehmen.