Editorial - Lydie Polfers liberaler Umgang mit der Wahrheit

Von Misch Pautsch

Die Diskussion um die "Maulkorb"-Klausel des Vertrags zwischen der Gemeinde Luxemburg und der ASBL HUT, gefolgt von Lydie Polfers Versicherung, das sei alles nicht so gemeint, offenbaren ein bedenkliches Muster. Es ist nach dem Bettelverbot bereits das zweite Mal, dass sie versucht uns alle zu lehren, der Erkenntnis unserer eigenen Augen und Ohren nicht zu trauen.

Am 16. November 2024 hat der Gemeinderat der Stadt Luxemburg unter Enthaltung der Opposition für den Vertrag mit der neuen ASBL HUT (Hellëf um Terrain) gestimmt, die Aufgaben der Caritas übernehmen wird. Hier ein neuer Ausschnitt, der im Caritas-Vertrag noch nicht stand, aber für die HUT hinzugefügt wurde: "Jede Kommunikation der Assoziation mit der Presse über das vorliegende Projekt muss in Absprache mit der Stadt Luxemburg passieren." ("Toute communication à la presse par l’association concernant le présent projet devra être faite en concertation avec la Ville de Luxembourg".) Hier nun ein Satz aus dem von Bürgermeisterin Lydie Polfer unterschriebenen Brief an den Presserat, in dem sie vier Tage später Zensur-Vorwürfe schlichten wollte: "Für uns ist klar, dass die genannte Klausel nicht das Ziel hat, die ASBL "Hëllef um Terrain" zu verpflichten, für jede Kommunikation mit der Presse die Genehmigung der Stadt Luxemburg zu bekommen." ("Pour nous, il est évident que la clause susmentionnée n'a pas pour objet d'obliger l'association sans but lucratif "Hëllef um Terrain" à obtenir l'accord de la Ville de Luxembourg pour toute communication faite à la presse.")

Aufmerksamen Leser*innen mag auffallen, dass beide Aussagen sich nicht nur widersprechen, sondern manifest das Gegenteil voneinander bedeuten. Muss die HUT nun "jede Kommunikation" mit der Presse mit der Gemeinde "absprechen" oder nicht? Die Antwort ist eindeutig: Ja, sie muss, so steht es im Vertrag, dessen einzige Aufgabe ist, die Spielregeln glasklar und bindend zu definieren. Daran ändert Polfers Dementi nichts. Was "Ziel" des Abschnitts sein soll, ist vollkommen irrelevant.

Würden potenzielle Whistleblower diesen Abschnitt ebenso locker interpretieren? Zweifelhaft. Wäre die Caritas-Affäre überhaupt ans Licht gekommen, wenn diese Klausel in ihrem Vertrag gestanden hätte? Redet ein*e Mitarbeiter*in der HUT (selbst anonym) ohne "Absprache mit der Gemeinde" mit der Presse, wäre dies ein potenzieller Vertragsbruch. Und neue Assoziationen, die Aufgaben von anderen, problematisch gewordenen, übernehmen, sind – wie wir alle gesehen haben – schnell gegründet.

Genau wie beim Bettelverbot versucht die Bürgermeisterin uns hier ein zweites Mal weiszumachen, dass auf dem Papier andere Worte stehen, als wir alle mit unseren eigenen Augen lesen können. Beim "Bettelverbot" ging es, wie sie in Interviews nicht müde wurde zu betonen, nur um "aggressive und organisierte Bettelei", während auf dem Papier für jeden lesbar "jede Form der Bettelei" stand. Diesen Widerspruch hat auch schon die Menschenrechtskommission festgestellt. Warum im Gemeindereglement "jede Form der Bettelei" schwarz auf weiß aufgeführt wurde, obschon es nie um sie ging, wird sich unserem kollektiven Verständnis wohl für immer entziehen. Doch es steht bis heute immer noch da – obschon, wie eindeutig zweideutig gesagt, selbstverständlich etwas ganz anderes gemeint ist.

Du willst mehr? Hol dir den Zugang.

  • Jahresabo

    185,00 €
    /Jahr
  • Monatsabo

    18,50 €
    /Monat
  • Zukunftsabo für Abonnent*innen im Alter von unter 26 Jahren

    120,00 €
    /Jahr

Du hast bereits ein Konto?

Einloggen