
Diesen Artikel hören
In einer komplexen Welt voller Unsicherheit gewinnen nicht Titel oder Mandate an Bedeutung, sondern die Fähigkeit, Resonanz zu erzeugen. Wer Menschen emotional berührt, Halt und Orientierung bietet, prägt die Zukunft – sei es durch Vertrauen oder Spaltung.
Wat mengs du?
-
Einmal im Monat geben wir einer Stimme Raum – jemandem, der oder die Expert*in auf einem Gebiet ist. Das kann ein Studium, ein Beruf oder auch persönliche Erfahrung sein: Expert*innen des Alltags, einer Krankheit, einer besonderen Lebenslage – oder einfach einer klaren Meinung.
Du hast etwas zu sagen? Dann schick uns deine Idee für einen Meinungsbeitrag an journal@journal.lu.
Politische Institutionen verlieren weltweit an Handlungsfähigkeit und Vertrauen. Während Regierungen mit Krisenmanagement und parteiinternen Machtkämpfen beschäftigt sind, wächst die gesellschaftliche Frustration über die Unfähigkeit, tragfähige Lösungen zu schaffen. Die Globalisierung hat klassische Machtstrukturen ausgehöhlt, digitale Vernetzung und technologischer Fortschritt beschleunigen wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen. Politische Entscheidungen wirken oft zögerlich und unzureichend – während die Herausforderungen immer komplexer und globaler werden.
Der Druck auf Entscheidungsträger steigt: Politiker*innen müssen heute "schneller als ihre Systeme" funktionieren – in einem Klima, das Komplexität kaum duldet und auf unmittelbare Wirkung und Deutung drängt. Die Beschleunigung gesellschaftlicher und medialer Dynamiken steht dabei oft im Widerspruch zur Langsamkeit demokratischer und bürokratischer Prozesse. Statt vorausschauend zu handeln, verharren viele Regierungen im Reaktionsmodus – sie verwalten oder gestalten Krisen, statt neue Visionen zu entwickeln. Die Folge ist ein schleichender Verlust an politischer Legitimität und ein wachsendes Gefühl der Entfremdung – ein Nährboden für Apathie, populistische Strömungen und gesellschaftliche Spaltung.
Gleichzeitig prasselt eine ständige Reizflut auf die Menschen ein: geopolitische Spannungen, Wirtschaftskrisen, Klima- und Gesundheitsbedrohungen, technologische Umbrüche. Diese permanente Überforderung führt zu wachsender Orientierungslosigkeit, Angst und Isolation. In einer Welt, die immer unvorhersehbarer wird, wächst das Bedürfnis nach Verbindung, Klarheit und Halt. Genau hier setzt Resonanz an: Menschen folgen nicht, weil man es ihnen sagt – sondern weil etwas in ihnen emotional mitschwingt und das Thema für sie relevant ist. Wer es schafft, diese Verbindung herzustellen, bietet mehr als nur Führung – er gibt Halt in einer unsicheren Welt. Resonanz wird zur neuen Währung von Führung: In Zeiten, in denen klassische Autorität und institutionelle Macht an Bedeutung verlieren, wird die Fähigkeit, emotionale Verbindung herzustellen, zum entscheidenden Faktor.
Die neuen Akteure: Wer heute wirklich führt
Einzelakteure, die es verstehen, Menschen emotional zu erreichen und Orientierung zu bieten, gewinnen an Einfluss. Leadership verschiebt sich von gewählten Amtsträger*innen und eingesetzten Führungskräften hin zu jenen, die Resonanz erzeugen – unabhängig von offiziellen Titeln oder formaler Macht.
Ob Popstars, Unternehmer*innen, Sportler*innen, Politiker*innen oder Aktivist*innen – wer heute Resonanz erzeugt, beeinflusst gesellschaftliche Narrative weit über das eigene Fachgebiet hinaus.
Giny Laroche
-
Giny Laroche ist Expertin für Leadership mit einem interdisziplinären Hintergrund in Politikwissenschaft, Strategie, Unternehmensberatung und Innovation. Sie begleitet Führungspersönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik, Gesellschaft, Sport und Kultur in Transformationsprozessen und verbindet gezielt Soft Skills wie Empathie, emotionale Intelligenz, Resilienzfähigkeit und Kommunikationsstärke mit strategischer Weitsicht und Innovationskraft, um nachhaltige Veränderungen zu gestalten.
Taylor Swift prägt mit ihrer Nahbarkeit nicht nur die Musikindustrie, sondern auch den gesellschaftlichen Diskurs. Ihre Konzerte beeinflussen ganze Volkswirtschaften, Universitäten analysieren ihre strategische Markenführung, und ihre Haltung zu sozialen und politischen Themen prägt die öffentliche Meinung.
Andrew Tate erreicht mit seinen Botschaften von männlicher Dominanz und toxischen Rollenbildern über 10,7 Millionen junge Männer auf X (Stand: März 2025). Er bietet Orientierungslosen ein Identifikationsmodell für eine vermeintlich verlorene Männlichkeit – mit weitreichenden Folgen: Schulen müssen weltweit mit "Anti-Tate-Kursen" auf einen Anstieg sexistischer Verhaltensweisen und Gewalt gegen Frauen reagieren.
Greta Thunberg prägte mit einem einfachen Schulstreik den globalen Klimadiskurs. Ihre Fähigkeit, die Dringlichkeit der Klimakrise emotional zu vermitteln, mobilisiert bis heute Millionen junger Menschen. Ihre Authentizität und Unerschrockenheit machten sie zur Symbolfigur einer Generation, die nach Veränderung strebt.
Elon Musk beeinflusst gesellschaftliche Debatten nicht nur durch seine Unternehmen, sondern auch durch seine strategische Medienpräsenz und die Fähigkeit, komplexe Themen in emotionale Narrative zu übersetzen. Technologische Visionen wie Tesla und SpaceX erzeugen globale Aufmerksamkeit, sein polarisierender Kommunikationsstil macht ihn zur Reizfigur mit politischer Wirkung.
Auch in der Weltpolitik zeigt sich, dass emotionale Verbindung und Reichweite wichtiger sind als klassische Machtstrukturen. Politische Führung basiert heute weniger auf institutioneller Autorität, sondern zunehmend auf der Fähigkeit, Resonanz zu erzeugen – sei es durch Hoffnung und Orientierung oder durch Angst und Spaltung. Entscheidend ist nicht mehr allein die inhaltliche Ausgestaltung politischer Programme, sondern die emotionale Wirkung auf das Volk.
Resonanz durch emotionale Intelligenz: Die unsichtbare Macht hinter Leadership
Resonanz ist keine direkt kontrollierbare Strategie – aber die Bedingungen, unter denen Resonanz entsteht, lassen sich gezielt gestalten. Menschen folgen nicht, weil sie dazu aufgefordert werden, sondern weil etwas in ihnen emotional zum Schwingen gebracht wird. Menschen reagieren auf das, was sie berührt und als relevant empfinden.
"Menschen folgen nicht, weil man es ihnen sagt – sondern weil etwas in ihnen emotional mitschwingt und das Thema für sie relevant ist."
Der Schlüssel zu Resonanz ist emotionale Intelligenz. Emotionale Intelligenz ist die Fähigkeit, eigene Emotionen und die anderer zu erkennen, zu verstehen und gezielt zu nutzen – sowohl zur Selbstregulation als auch zur sozialen Einflussnahme. Resonanz selbst ist wertfrei – sie kann sowohl für konstruktive Verbindung als auch für manipulative Spaltung genutzt werden. Emotional intelligente Führungspersönlichkeiten erkennen emotionale Reaktionen, verstärken sie gezielt und lenken sie in eine bestimmte Richtung – zum Guten oder zum Schlechten.
Unternehmen wie Google haben erkannt, dass emotionale Intelligenz trainierbar ist und fördern sie systematisch in ihren Leadership-Programmen. Doch nachhaltige Führung erfordert mehr als nur emotionale Intelligenz – sie setzt ein wertebasiertes Fundament und strategische Klarheit voraus.
Leadership der Zukunft: Wer wird die Zukunft prägen?
Die entscheidende Frage lautet nicht mehr, wer führen darf, sondern wie Führung gestaltet werden muss, damit sie nachhaltig wirkt. Leadership ist heute nicht mehr an Ämter oder Titel gebunden – jede*r kann eine Führungspersönlichkeit werden. Doch wenn Resonanz der Schlüssel zu moderner Führung ist – wie müssen wir als Gesellschaft darauf reagieren?
Führungspersönlichkeiten der Zukunft brauchen den Mut, nicht nur zu berühren, sondern auch zu verbinden. Sie müssen erkennen, wie Resonanz bewusst gestaltet werden kann – nicht, um zu manipulieren, sondern um Vertrauen und Orientierung zu schaffen. Am Ende wird nicht entscheidend sein, wer die größte Reichweite hat – sondern wer Menschen wirklich erreicht und echte Verantwortung für diese Verbindung übernimmt.
Wenn die Fähigkeit, Menschen emotional zu erreichen und Orientierung zu bieten, zur neuen Grundlage von Leadership wird, braucht es ein neues Verständnis von Führungskompetenz.
Sind wir als Gesellschaft bereit, die Voraussetzungen dafür zu schaffen?
Bildungsinstitutionen, Unternehmen und politische Systeme sollten gezielt Fähigkeiten wie emotionale Intelligenz, Empathie, Resilienz, Achtsamkeit und strategische Klarheit fördern. Nachhaltiges Leadership ist keine Frage von Mandaten oder Macht – sondern von Haltung und Kompetenz. Genau deshalb tragen wir als Gesellschaft die Verantwortung, diese Fähigkeiten systematisch zu fördern, damit die neue Generation von Leadern Orientierung bietet und die Zukunft mit Verantwortung und Weitblick gestaltet.