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Eine Schule für alle? Vor rund sechs Jahren wurde das Prinzip der schulischen Inklusion gestärkt. Doch findet sie auch überall Akzeptanz, reichen die Mittel zu ihrer Umsetzung und werden sich letztlich die Bildungs- und Berufsperspektiven von Schüler*innen mit besonderem Förderbedarf verbessern? Für Christian Block war es das am meisten behandelte Thema in diesem Jahr – auch wenn etwas unfreiwillig.
Man kann es als journalistische Binsenwahrheit bezeichnen: Auf komplexe Fragen gibt es in der Regel keine einfachen Antworten. So erging es auch dem Autor dieser Zeilen, als er entschied, sich Anfang des Jahres folgender Frage anzunehmen: Was sind die spezifischen Herausforderungen der schulischen Inklusion in der Sekundarschule? Schließlich folgt das "Lycée" eigenen Gesetzen: Wechsel in eine Schule mit einer größeren Schulpopulation, höhere Autonomieanforderungen an die Schüler*innen, die ihre Hausaufgaben, Prüfungsvorbereitungen, Stundenpläne oder auch den Wechsel des Klassensaals zunehmend selbst verwalten müssen. Ganz zu schweigen von der Komplexität der Materie.
Im April gingen die ersten Interviewanfragen raus. Anfang Juni folgte der Termin im Nordstad-Lycée. Und allmählich wurde immer klarer, was man insgeheim weiß, aber vorübergehend verdrängt: All diese Fragen und Informationen werden den Rahmen eines Artikels um ein Vielfaches sprengen. Also heißt es irgendwann: umplanen, die Fragestellungen präzisieren, das üppige Interview- und Recherchematerial neu gliedern. Dabei herausgekommen sind vier Artikel und ein Leitartikel.
Und reichlich Erkenntnis. Wenn knapp 20 Prozent der Schüler*innen an einer Sekundarschule einen mehr oder weniger stark ausgeprägten, bereits diagnostizierten Förderbedarf haben, dann ist das zunächst einmal eine Hausnummer. Und mit diesen Jugendlichen an ihren Problemen zu arbeiten, benötigt Fachpersonal, das nicht immer die erforderlichen Spezialisierungen aufzeigen kann, sowie Platz in den Schulen. An beidem fehlt es. Denn parallel dazu gewährt die CAR-Kommission immer mehr Schüler*innen einen (immer noch missverstandenen) Nachteilsausgleich, der ihnen zum Beispiel ermöglicht, länger an einer Klassenarbeit zu schreiben. Eine weitere Erkenntnis, die eigentlich nicht überrascht: Viele Jugendliche wissen nicht, wie sie dieses Mehr an Zeit am besten nutzen können. Es fehlt an "Life"-Skills, den Fertigkeiten zur Selbstorganisation. Wird/muss das zunehmend eine Aufgabe der Schule werden? Vor allem, um die Vision Realität werden zu lassen, dass eine inklusive Schule der gesamten Schule zugutekommen soll?
Die Recherche hat auch ergeben, dass schulische Inklusion bislang vor allem nach dem Prinzip "viel hilft viel" umgesetzt wurde. Doch diese Bedürfnisse statistisch besser zu erfassen, ist unumgänglich, um den Ressourceneinsatz einerseits rechtfertigen zu können, ihn aber auch bewerten zu können. Oder die Frage zu beantworten: Passen die Profile des Personals auch auf die Bedürfnisse?
"Bei schulischer Inklusion geht es nicht nur darum, gut auf dem Papier dazustehen."
Das alles sind keine Lappalien. Bei schulischer Inklusion geht es nicht nur darum, gut auf dem Papier dazustehen, sondern bessere Resultate hinsichtlich der Bildungs- und Berufslaufbahn aller Schüler*innen zu erreichen sowie Inklusion als gewinnbringend für die ganze Schulgemeinschaft zu verstehen.
Diese Prozesse kritisch zu begleiten ist nicht nur, aber eben auch Aufgabe von Journalist*innen. Sie befinden sich in einer privilegieren Situation, weil sie Zugang zu Orten und Personen erhalten können, die normalerweise nur einer eingeschränkten Personengruppe offenstehen. Und mit Privileg geht eben auch eine Verantwortung einher.