„Ein Pessimist wird ganz selten Unternehmer“

Von Sarah RaparoliLex Kleren

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Es ist kein Geheimnis: Nicht alle Betriebe in Luxemburg werden die Krise überleben. Wurde der erste Lockdown gerade so verkraftet, stand der zweite unmittelbar bevor. Unternehmer aus allen Branchen leiden unter der aktuellen Situation und hoffen, dass das Licht am Ende des Tunnels endlich heller wird. Dennoch gibt es Erfolgsgeschichten oder solche, die es noch werden könnten. Das Lëtzebuerger Journal hat mit zwei Selbstständigen gesprochen, die laut eigenen Aussagen bislang (gut) durch die Krise gekommen sind.

In der Hauptstadt ist es kalt und nass. Der Skaterladen Olliewood hat erst seit einer knappen halben Stunde geöffnet, füllt sich aber langsam mit Menschen – natürlich unter Einhaltung der bestehenden Hygienevorschriften. Es ist der 24. Dezember, also der letzte Tag im Jahre 2020, an dem die Läden in Luxemburg geöffnet haben, bevor die neue Maßnahmen 48 Stunden später in Kraft treten. Die Stimmung beim Team um Shop-Eigentümer Dan Gantrel ist aber keinesfalls bedrückt. Dem Kunden eine echte „shopping experience“ bieten, lautet das Motto des Skaterladens – auch mit möglich weiteren Lockdowns vor der Tür.

Dan Gantrel - Olliewood, Troublemaker & Stitch

Seit 2010 ist Gantrel Inhaber des Olliewood, Mitte Oktober stand der Umzug in die Rue du Fossé ins Haus. Einen Monat später fand der neue Laden Troublemaker, seinen Platz im alten Gebäude des Olliewood in der Rue des Capucins, nachdem der Shop, spezialisiert auf Street- und Skate-Wear für Kinder, schon im September als Pop-up-Store für Kunden geöffnet hatte. Zur Hälfte gehört ihm auch der Streetwear-Laden Stitch in der Grand-Rue.

Krisenjahr 2020

„Dieses Jahr war knallhart“, meint der 34-Jährige und kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Vielleicht weil er sich gelegentlich selbst fragt, wie er und sein Team in 2020, dem Krisenjahr schlechthin, nicht nur mit dem einen Shop umgezogen sind, sondern auch einen ganz neuen eröffnet haben. Auf die Frage, ob der Unternehmer gut durch die Krise gekommen sei, antwortet er: „Komm, wir lassen das ‚gut‘ bei Seite. Wir sind dadurch gekommen“. Außer Frage stehe, dass der Schock und die vielen offenen Fragen anfangs überwogen haben. Wie geht es weiter? Genügt das Geld, um die Miete für alle Shops zu begleichen? Müssen Mitarbeiter entlassen werden?

Eine Stunde nach der Verkündung des ersten Lockdowns letzten März sei ein Meeting einberufen worden. Einzige Möglichkeit, sich während dieser Zeit über Wasser zu halten, sei der Onlinehandel gewesen. Problem: Bis zu diesem Zeitpunkt existierte keiner der Läden im Netz. Am Anfang der Krise stand das Team also bei null und musste improvisieren. So seien innerhalb von nur zwei Tagen zwei separate Online-Shops entstanden. Laut Gantrel sei der Onlinehandel aber nicht mit dem realen Shopping-Erlebnis zu vergleichen.

Aufgeben? Keine Option!

Auch Felix Fechter musste sich umorientieren. Der 28-Jährige hat mitten in Lockdowns, Ausgangsbeschränkungen und Reiseverboten eine Reiseagentur gegründet. Niemand konnte den Verlauf von 2020 voraussehen, aber für den Gründer sei schnell klar gewesen: Aufgeben ist keine Option. „Ganz am Anfang sollte es weit weggehen. Jetzt habe ich umstrukturiert und biete Reisen in Europa und Luxemburg an.“ Die Kampagne „Vakanz doheem“ hat dem 28-Jährigen in die Karten gespielt. KEA Travel konnte das Angebot an die Kunden bringen, gleichzeitig sei ein nationales Partnernetz aufgebaut worden.

„Ich habe nicht die Verpflichtungen wie jemand, der schon seit 15 Jahren arbeitet – Familie, Kredite, Miete.“

Felix Fechter, Gründer von KEA Travel

„KEA Travel soll nicht das herkömmliche Reisebüro aus der Einkaufsstraße sein“, erklärt Felix Fechter. Sein individuelles Angebot soll begeistern und überzeugen. Die Herausforderung sei, den Menschen die Lust am Reisen wieder beizubringen, ihnen die Angst zu nehmen. Besonders während Krisenzeiten sei eine organisierte Reise sicherer. Gibt es Probleme bei Buchung oder Rückerstattung, ist es Fechters Job, sich darum zu kümmern.

Felix Fechter - KEA Travel

Knackpunkt in den kommenden Monaten seien jedoch die Quarantänbestimmungen der einzelnen Länder. Der junge Unternehmer ist sich bewusst, dass sich seine Branche in einer tiefen Krise befindet. Anstatt den Kopf in den Sand zu stecken, fokussiert er sich auf die positiven Aspekte. „Ich habe nicht die Verpflichtungen wie jemand, der schon seit 15 Jahren arbeitet – Familie, Kredite, Miete.“ Aktuell bezieht er ein Co-Working-Space in Bereldingen, die Nebenkosten seien somit gering. Natürlich hoffe er noch in Zukunft von den staatlichen Subventionen profitieren zu können. Da wegen der rezenten Gründung die Umsatzzahlen vom vorherigen Jahr fehlen, konnte er bis jetzt keine der Corona-Beihilfen in Anspruch nehmen. Im Januar wurde Unternehmern eine weitere Unterstützung zugesagt. Er hoffe nun, dass er diese anfragen kann.

„Wir haben nun acht Monate Erfahrung und sind wir ehrlich, vieles hat sich nicht getan.“

Dan Gantrel, Eigentümer von Olliewood, Troublemaker und Stitch, in Bezug auf die staatlichen Beihilfen

Dan Gantrel stört sich an den Bestimmungen der finanziellen Unterstützung. Für ihn seien die Beihilfen weder durchdacht noch fair. „Wir haben nun acht Monate Erfahrung und sind wir ehrlich, vieles hat sich nicht getan.“ Vor diesem Hintergrund sei es für ihn nicht verwunderlich, dass viele Betriebe vor dem Ruin stehen. Besonders aus der Horeca-Branche würden Bekannte berichten, dass sie nicht mehr lange durchhalten würden. Er fordert eine Auslegung der Hilfen, welche jede betroffene Person miteinbezieht und niemanden vergisst. „Damals wurde gesagt: ‚Es kostet, was es kostet‘ – das sollte sich die Regierung endlich zu Herzen nehmen.“ Als Besitzer von drei Läden gab es bis jetzt nur für einen davon die staatliche Finanzspritze. Eine weitere Ungereimtheit, die wohl nicht nur Gantrel betreffe und neu analysiert werden müsse.

Hürden meistern

Eine weitere Hürde: Pandemiebedingt sei es bei den Lieferungen zu Verspätungen gekommen, der Kindershop Troublemaker habe vier Monate später als geplant offiziell eröffnet. „Als Unternehmer musst du immer wieder Probleme bewältigen.“ Die Shops hätten nicht nur selbst die Waren ausgeliefert. Während der Lockdowns habe auch das Angebot bestanden, dass die Kundschaft ihre Bestellungen eigenständig in den Läden abholt. So oder so, laut Gantrel bleibt der direkte Kontakt zu und der persönliche Austausch mit den Käufer*innen eine Priorität.

Neben dem entgegenbrachten Vertrauen und der Solidarität sei die Motivation des 25-köpfigen-Teams von Anfang an treibende Kraft gewesen. „Eine Familie, die zusammenhält. Jeder wird als Mensch wertgeschätzt.“ Die Sicherheit der Mitarbeiter*innen stünde immer an erster Stelle. Der Shop-Eigentümer grinst - in solchen Situationen komme der geschulte Erzieher zum Vorschein. Die Ausbildung, um selbstständig zu werden, habe er vor über zehn Jahren eher aus Spaß gemacht. Noch eine Gemeinsamkeit, die er mit Felix Fechter teilt.

Auch er hatte ein anderes Ziel vor Augen: Sportlehrer. Während des Studiums wurde ihm jedoch klar, dass dies nicht die Endstation sein soll. Nach ersten Erfahrungen in der Reisebranche stand die Entscheidung der eigenen Gründung fest. Ein großer Schritt, der geplant sein muss. Neben einem Berg an Papierkram, einer benötigten Bankgarantie und weiteren administrativen Etappen muss er sich einen wichtigen Aspekt der Selbstständigkeit immer wieder vor Augen halten: nicht aufgeben. Wie Dan Gantrel erklärt, sei es kein regulärer 40-Stunden-Job. „Du musst es leben – gerade am Anfang muss viel Zeit und Herzblut investiert werden.“

Natürlich habe jede*r Angst, besonders in solchen Extremsituationen. Er meint aber auch, dass die Zeiten niemals einfach sind. Wäre es nicht Corona, würden Baustellen das Geschäft erschweren. Wären es nicht Baustellen, müssten andere Hürden gemeistert werden. Unternehmer*innen müssten auf jede erdenkliche Situation eingestellt sein und immer wieder Probleme von Neuem angehen. „Es gibt einen Plan A, aber du musst Plan B, C und D immer bereit haben.“ Das Leben waschechter Unternehmer*innen also.

„Die Branche wird sich langsam erholen, aber sie wird sich erholen.“

Felix Fechter, Gründer von KEA Travel

Gantrel schaut auf zehn Jahre Erfahrung zurück, Felix Fechter steht noch am Anfang. Er ist dennoch überzeugt, dass die Krise eine gute Schule gewesen sei und die kommenden Monate nicht anders würden - ein Risiko bestünde immer. „Die Branche wird sich langsam erholen, aber sie wird sich erholen. Sie wird sich anpassen, genau wie ich es gemacht habe.“ Unternehmertum würde mit einer gewissen Risikobereitschaft Hand in Hand gehen. Wenn eine Krise solchen Ausmaßes hinzukommt, könnten die genannten Voraussetzungen abschreckend wirken und Menschen von der Selbstständigkeit abhalten. „Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass jederzeit ein weiterer Lockdown entschieden werden kann.“

Sich differenzieren

Lähmt die Pandemie die Gründungen in Luxemburg? Nachgefragt bei Tom Baumert, Direktor Entrepreneurship bei der Handelskammer, war dessen Antwort eher optimistisch. Es sei für ihn nicht so, dass Gründer durch Schließungen von Läden von ihrer Vision abgebracht würden. Wer gründen möchte, habe dies eben einige Monate später getan. „Betroffene Unternehmer haben viel dazugelernt, sie wissen sich zu differenzieren und Neues auszuprobieren.“ Sei es möglich, solle also nach Ideen gesucht werden, seinen Betrieb in eine andere – der Krise und den Einschränkungen angepasste Richtung zu lenken. Das würde sich ebenfalls an den (Nach-)Fragen zeigen, die sich neben Corona auch um Gründungsangelegenheiten drehen würden.

Die Niederlassungsgenehmigung

Er möchte die Situation allerdings auf keinen Fall schönreden. Es sei für alle Bereiche ein enormer Eingriff, ein Einschnitt, den die meisten wohl noch nie zuvor erlebt haben. „Ich kann mich nicht erinnern, dass Betrieben jemals gesagt wurde: ‚Ihr dürft jetzt drei Monate nicht arbeiten‘ – und das jetzt schon zum zweiten oder dritten Mal in kürzester Zeit“, so Baumert, ergänzt jedoch: „Ein Pessimist wird ganz selten Unternehmer“.

Gründungen seien in Luxemburg schwer zu messen. Ein Indikator könne die Anzahl an Niederlassungsgenehmigungen („autorisation d’établissement“) sein. Solch eine ist für jede professionelle und wirtschaftliche Tätigkeit in Luxemburg nötig. Während des Lockdowns sei die Zahl der Anfragen verständlicherweise gefallen, so der Experte. Für den Monat März 2020 seien demnach noch mehr Anfragen registriert worden als im April und Mai.

Laut Baumert hat sich die Entwicklung im Juni normalisiert, im Juli letzten Jahres sei wiederum ein Anstieg entsprechender Anfragen verzeichnet worden, „sodass ganz deutlich ist, dass weitere Selbstständige den Schritt wagen“. 2020 seien 11.184 Niederlassungsgenehmigung beantragt worden (Stand: 19. Januar 2021). Umfassendere Zahlen stammen von 2019. Insgesamt seien 12.014 „autorisations d’établissement“ angefragt worden, davon 7.905 im Handel, 3.507 im Handwerk und 602 von Freiberufler*innen, sagt Baumert.

„Wenn man motiviert ist, kann man alles erreichen.”

Dan Gantrel, Eigentümer von Olliewood, Troublemaker und Stitch

Die Wissenschaft unterscheide zwischen zwei Kategorien von Unternehmertum. Einerseits existiert das „entrepreneuriat d'opportunité“, anderseits das „entrepreneuriat de nécessité“. Zweite Kategorie heiße, dass beispielsweise sonst keine Alternative besteht oder die Selbstständigkeit die einzige Option für den Unternehmer darstellt. Hier werde wohl in naher Zukunft ein Anstieg verzeichnet werden. „Dies wurde auch während der Finanzkrise vor über zehn Jahren beobachtet“, unterstreicht Baumert.

Troublemaker

Das House of Entrepreneurship der Handelskammer sei in den meisten Fällen erste Anlaufstelle für Unternehmer. Das Team arbeite ebenfalls mit Partnern zusammen, um alle Bereiche abzudecken und eine umfassende Hilfe anbieten zu können. Neben administrativen Prozeduren werde auch das Businessmodell analysiert. „‚One size fits all‘ gibt es nicht. Gründer suchen sich das aus, was sie brauchen.“ So gehe aus einer nicht repräsentativen Umfrage hervor, dass von 250 Unternehmer*innen, die 2019 gegründet haben, sich um die 80 Prozent beim House of Entrepreneurship gemeldet haben, sagt Baumert. „Die meisten Gründer kommen irgendwann einmal mit uns in Kontakt.“

Mit den Großen mithalten

So auch Felix Fechter. Neben Beratungen von offizieller Seite solle ebenfalls der Austausch mit Personen gesucht werden, die den Sprung ins Unternehmertum schon gewagt und einen realen Einblick in die Praxis vermitteln können. Fechter meint, dass Menschen, die dem Traum vom Gründen verwirklichen wollen, sich nicht entmutigen lassen sollten. „Luxemburg ist ein Land, welches Start-ups pushen möchte.“ Dieser Traum soll jedoch nicht von der Realität ablenken. „Die Kosten einer Gründung sollten immer im Hinterkopf behalten werden. Man muss auf jede Situation gefasst sein und richtig reagieren können – die richtigen Partner finden und auf Familie und Freunde bauen, die einen unterstützen.“ Dieser Optimismus solle dazu führen, dass KEA Travel sich in naher Zukunft einen Namen in der luxemburgischen Reisebranche macht, „um mit den Großen mithalten zu können“.

„‚One size fits all‘ gibt es nicht. Gründer suchen sich das aus, was sie brauchen.“

Tom Baumert, Direktor Entrepreneurship bei der Handelskammer

Nach einem Jahrzehnt im Business kann Dan Gantrel dies wohl von sich selbst behaupten. Olliewood und Stitch hätten sich etabliert, das Gleiche erhoffe man sich natürlich auch beim neusten Laden Troublemaker. Die Krise habe aufs Neue gezeigt, wie schnell sich der Alltag um 180 Grad drehen kann. Die Läden durften am 11. Januar wieder öffnen und Gantrel hoffe, dass sie die nächsten Monate geöffnet bleiben. Dennoch sei im letzten Jahr deutlich geworden, was alles möglich ist. „Du musst deinen ganzen Mut zusammennehmen, mit jedem bestehenden Risiko vor Augen. Wenn man motiviert ist, kann man alles erreichen.“