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Der Jahreswechsel ist eine passende Gelegenheit, auf das Jahr zurückzublicken, das hinter uns liegt. Für das Journal-Team bedeutet das: zurückschauen auf mehr als 600 veröffentlichte Artikel und Podcasts sowie mindestens dreimal so viele geführte Interviews. Jedes Teammitglied hat den Beitrag ausgewählt, der ihn oder sie im Jahr 2023 am meisten geprägt hat.
Als ich das Lyzeum besuchte, ich muss ungefähr 16 Jahre alt gewesen sein, fragte mich jemand, ob ich nicht mal ein Praktikum bei der Zeitung machen wolle. "Warum eigentlich nicht", dachte ich mir – schließlich fand ich Karla Kolumna, die rasende Reporterin aus den Hörgeschichten von Benjamin Blümchen, immer schon sehr cool. Ich ergriff also die Chance, auch eine rasende Reporterin zu werden und saß kurze Zeit später ich in einer echten Redaktion und lernte echte Journalist*innen kennen. Irgendwie war das alles ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte, dennoch und vielleicht gerade deshalb, war ich überzeugt. Das waren ganz schön coole Socken, diese Journalist*innen – und die machten den ganzen Tag ganz schön coole Sachen.
Zugegeben, meine ersten Reportagen, wenn man sie so nennen kann, waren hingegen nicht die allercoolsten: Generalversammlung des Ping-Pong-Clubs, Jahresfeier der Feuerwehr, Sportler*innenehrung im kleinen Dorf. Trotzdem hat es mir Spaß gemacht. Denn selbst wenn es nur eine kleine lokale Veranstaltung war, sprachen die Menschen, die ich interviewte, mit Leidenschaft darüber. Sie waren dankbar, dass jemand sich für die Dinge interessierte, dem sie einen großen Teil ihres Lebens widmen und erzählten zwischen den eher weniger spannenden Fakten und Zahlen immer auch Anekdoten, die meine Artikel am Ende ausmachten.
Ungefähr zehn Jahre lang blieb ich beim Lokaljournalismus. Die Geschichten wurden größer und spannender, die Orte, an denen sie sich abspielten, blieben klein. Gegen Ende dieser Zeit berichtete ich knapp zwei Jahre lang nur über Esch. Alles, was die Minettmetropole beschäftigte, beschäftigte auch mich. Ich kannte die Menschen dort und die Menschen kannten mich. Eigentlich wie eine Langzeitrecherche, bei der man alle Involvierten über einen langen Zeitraum kennenlernt, so gegenseitiges Vertrauen entsteht und man die Situation besser einschätzen kann.
Das alles, um zu sagen: Ich mag Lokaljournalismus. Ich habe ihn jahrelang verteidigt, wenn Kolleg*innen aus den Ressorts Politik, Wirtschaft und Internationales sich wichtiger genommen haben und Chef*innen diesen Ressorts mehr Gewicht zugeteilt haben. Also habe ich überlegt, wie man Lokaljournalismus auch beim Lëtzebuerger Journal unter dem Leitspruch "Get the bigger picture" fördern kann. Die Frage wurde dringlicher, als die Gemeindewahlen anstanden. Das Team streckte die Köpfe zusammen, um eine Antwort darauf zu finden – und fand sie.
"Wie damals, als ich den Präsidenten der lokalen Feuerwehr interviewte, sprachen die Menschen mit Leidenschaft über das, was sie für ihre Gemeinde tun und waren glücklich darüber, dass sie davon erzählen durften."
Die Antwort ist De Gemengepodcast. 100 Gemeinden, 100 Folgen, so die Idee. In jeder Folge besucht ein*e Journalist*in eine Gemeinde und spricht mit Menschen, die dort arbeiten, leben und Politik machen. Was sind ihre lokalen Sorgen? Was macht ihre Gemeinde besonders? Was machen sie, um ihre Gemeinde nach vorne zu bringen? Und wie damals, als ich den Präsidenten der lokalen Feuerwehr interviewte, sprachen die Menschen mit Leidenschaft über das, was sie für ihre Gemeinde tun und waren glücklich darüber, dass sie davon erzählen durften. Das Schöne am Podcastformat: Das kann man sogar hören, denn Emotionen werden hier ganz anders vermittelt als in Texten.
Ich habe 2023 zwei Folgen von De Gemengepodcast aufgenommen, in Remich und Junglinster, und habe mich wieder wie Karla Kolumna gefühlt: Den ganzen Tag an einem Ort unterwegs, um herauszufinden, wie die Stimmung ist und was die Menschen beschäftigt. Neben meiner persönlichen Rückkehr zum Lokaljournalismus war es aber auch die Teamarbeit an diesem Projekt, die mich in diesem Jahr besonders geprägt hat. Alle haben mitgemacht und das obwohl sich bis dato nicht jede*r aus dem Team vor einem Mikrofon wohlgefühlt hat. Gemeinsam haben wir uns ein Konzept überlegt, die Folgen geplant, Interviews geführt, Menschen fotografiert, den Schnitt geplant und durchgeführt … Sogar das Aussuchen einer Titelmusik war ein besonderer Moment. Das alles innerhalb weniger Wochen, mit einem Team von zehn Personen, die ihren Job lieben. Das spürt man jeden Tag, und dafür bin ich dankbar.