Obst und Gemüse: Mehr Selbstversorgung um jeden Preis?

Von Christian BlockLex Kleren

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Mit 20 Millionen Euro will die Regierung den Obst- und Gemüseanbau in Gewächshäusern pushen. Mangelnden Pragmatismus kann man ihr nicht vorwerfen. Aus Sicht der Opposition wurde mit dem "Zäregesetz" jedoch eine Chance verpasst, eine nachhaltige Richtung vorzugeben.

Mit einem Biss verschwindet die eben gepflückte Erdbeere in Jean-Claude Mullers Mund. "Schön süß", sagt er. Es ist Mitte Mai. Wir stehen in einem Folientunnel (mit Plastikfolie abgedeckte Konstruktion) im Umland von Contern, wo die Früchte nach und nach abgeerntet werden, sobald sie reif sind.

Der Familienbetrieb Muller-Lemmer baut heute auf rund zehn Hektar Rhabarber, Mirabellen, Äpfel oder auch Kirschen an. Ob er mit seinen 20 Hektar für Salate, Kohlgemüse oder Kürbis der größte Gemüsebetrieb im Land sei, kann (oder möchte) der Betriebsleiter nicht verraten. "Es gibt ein paar andere, die in dieser Größenordnung herumschwirren."

Erdbeeren gehören auch zu jenen Früchten, die laut Muller gute Aussichten darauf haben, in Zukunft in Gewächshäusern aus Glas heranzuwachsen. Mitte Mai hat das Parlament, nur fünf Monate nach dem Depot, das Fördergesetz zum Bau von Gewächshäusern mit 54 Stimmen angenommen. Déi Lénk und déi gréng enthielten sich beim Votum. Konkret nimmt der Staat damit einmalig bis zu 20 Millionen Euro in die Hand, um – so die Hoffnung – den Obst- und Gemüseanbau in Luxemburg im großen Stil anzukurbeln. Würde der Gesamtbetrag abgerufen werden, würde das einer Investition von etwa 50 Millionen Euro entsprechen. Ressortministerin Martine Hansen (CSV) will gegen Jahresende eine erste Ausschreibung vornehmen, danach zwei jährlich für das verbleibende Budget. "Mir wëlle mat dësem Gesetz kucken, dass mir virukommen", sagte sie im Plenum.

"Bedingt durch unsere Lohnkosten werden wir nie Tomaten produzieren können, wie die Niederländer das machen, für 1,50 oder 2 Euro das Kilo in der Saison."

Jean-Claude Muller, Betriebsleiter Haff Muller-Lemmer

Hintergrund ist der seit vielen Jahren bekannte schwache Selbstversorgungsgrad des Landes bei Obst und Gemüse. Bei Erdbeeren, Zwiebeln oder Tomaten beträgt er gerade einmal ein Prozent, bei Gurken bleibt noch ein halber und bei Paprika tendiert er gegen null.

So wie hier im Folientunnel könnte auch der spätere Anbau im Gewächshaus aussehen. Die Pflanzen stehen in mit Erde (ein spezielles Substrat) befüllten Kübeln in einer Art Regenrinne mehr als einen Meter über dem Boden. Aquaponik ist eine Alternative dazu. Dabei gedeihen die Setzlinge, indem sie die Nährstoffe direkt aus dem Wasser aufnehmen. Das Ganze ist dann möglicherweise an eine Fischzucht gekoppelt, so wie das Unternehmen Fësch-Haff das macht.

Treibhäuser aus Glas bieten vor allem aber gegenüber dem Offenlandanbau einige Vorteile. So lässt sich beispielsweise die Versorgung mit Nährstoffen und Wasser genau planen. Und letztere wäre gerade jetzt, nach Wochen anhaltender Trockenheit, sinnvoll. Auf dem Weg zu den Erdbeeren sind wir an Reihen von Salatköpfen entlangspaziert, über die Sprinkler es regnen lassen. Effizienz geht anders - auch wenn der Anbau auf offenem Feld in Zukunft weiterbestehen wird, beispielsweise für Wurzelgemüse wie Karotten. Doch es gibt auch Vorzüge gegenüber Folientunneln. So gelangen Schädlinge bestenfalls gar nicht erst ins Treibhaus und auch die Lüftung lässt sich besser steuern.

Vor allem aber können in gläsernen Gewächshäusern Pflanzen gezüchtet werden wie "Tomaten, Paprika oder Gurken, die draußen schwierig, oder in unseren Breitengraden nur mit Einsatz von wirklich viel Pflanzenschutzmitteln überhaupt möglich sind […] und zwar ganzjährig". Denn als den größten Vorteil von Kultivierungshäusern bezeichnet Muller die Möglichkeit, sie beheizen zu können.

Das erhöht den Ertrag. Ein Beispiel: Wer Mitte Mai Tomaten im Freiland pflanze, könne im Juli/August mit einer Ernte rechnen. Und dann war's das auch schon. "Dafür ist der Aufwand zu groß." Im Folientunnel könnten über den Zeitraum von vier bis fünf Monaten reife Früchte gepflückt werden. "Und im Treibhaus sind es dann neun." Die erste Pflanzung erfolge in der dritten bis fünften Kalenderwoche des Jahres, geerntet wird von Ende März bis in den Dezember von der gleichen Pflanze. Bis zum nächsten Produktionszyklus stehe das Treibhaus dann leer. "Nicht nur erreichen die Temperaturen in dieser Zeit häufig einen Tiefpunkt, sondern auch die Sonne steht tief." Diese Phase kann für Reinigungsarbeiten genutzt werden.

"Das Problem ist: Die Rentabilität eines Gewächshauses steht und fällt mit der Beschaffung der Energie."

Jean-Claude Muller, Betriebsleiter Haff Muller-Lemmer

Gewächshäuser bieten zwar auch von sich aus bessere Anbaubedingungen, weil sie die über die Sonne aufgenommene Wärme auch in kalten Monaten speichern. Warum sie dennoch beheizt werden müssen, hat rein wirtschaftliche Gründe. "Damit sich die Gesamtinvestition rentiert, muss man die ganze Zeit produzieren. Das ist klar", betont der Landwirt.

Kosteneffizient und nachhaltig heizen?

Doch der damit verbundene hohe Energieaufwand ist heute noch der Knackpunkt des Ganzen. "Das ist eine sehr große Herausforderung. Leider Gottes […] ist die billigste Art zu heizen immer noch Erdgas. Das wollen wir aber nicht." Alternativen sind die Nutzung von Biogas oder Holz als nachwachsender Rohstoff. "Das Problem ist: Die Rentabilität eines Gewächshauses steht und fällt mit der Beschaffung der Energie." Denn an den anderen großen Kostenpunkten – die Investition in den Bau und die Entlohnung der Mitarbeitenden – sei kaum etwas zu machen.

Vor diesem Hintergrund versteht man die Kritik besser, der Landwirtschaftsministerin Hansen im vergangenen Monat im Parlament ausgesetzt war. Das "Zäregesetz" sieht zwar vor, wie im Abschlussbericht von Jeff Boonen (CSV) nachzulesen ist, dass die "Auswahl (der als förderfähig erachteten Projekte, d. Red.) auf der Grundlage der Nachhaltigkeit [erfolgt]." Doch einerseits wird sich diese Frage gar nicht erst stellen, sollte sich bei einem Aufruf nur ein*e Kandidat*in melden, wie die Grünen-Abgeordnete Joëlle Welfring im Zuge der parlamentarischen Arbeiten herausgearbeitet hat. Zweitens schweigt das Gesetz zu den Nachhaltigkeitskriterien. Lediglich in den Erläuterungen ist nachzulesen, dass die "globale Nachhaltigkeit" aufgrund von Umwelt-, Wirtschafts- und Sozialkriterien bewertet werden soll, ohne diese genau zu beschreiben.

Aus den Reihen der Opposition wurden daher Zweifel laut, ob es die Regierung mit ihrer pragmatischen Vorgehensweise nicht (wieder einmal?) zu weit treibe, schließlich würden mit Steuergeldern auf viele Jahre "d'Jalone gesat", wie David Wagner von déi Lénk sich ausdrückte. Welfring sprach von einer "verpassten Chance, […] gestalterisch vorzugehen". Und erinnerte die Regierung nicht zuletzt an ihr Versprechen aus dem Koalitionsabkommen, bei der Förderung von "automatisierten und bodenunabhängigen Technologien zur Lebensmittelproduktion […] spezielle Zonen in der Nähe von Gewerbegebieten einrichten" zu wollen, "wobei ein besonderer Schwerpunkt auf der Kreislaufwirtschaft liegt".

Denn auch wenn sich die vorigen Regierungen vermutlich kaum auf die Fahne schreiben können, den Gartenbau groß vorangebracht zu haben, so spielten in den seit den 1990er Jahren diskutierten, aber nie umgesetzten "zones horticoles" gerade Überlegungen hinsichtlich einer nachhaltigen Energieversorgung eine tragende Rolle. Ziel war es, CO₂ bzw. Abwärme der Industrie in Gewächshäusern zu nutzen. Nur war nach Einschätzung Mullers "der Sektor damals noch nicht bereit". Auch wenn das nicht die einzige Hürde war. Ein aktuelles Projekt dieser Art ist dem Journal bekannt. Die Post Group bestätigte uns gegenüber, Abwärme eines Datenzentrums in einem Gemüsetreibhaus nutzen zu wollen. Details nannte das Unternehmen nicht, erklärte aber, auf der Suche nach einem "Partner" zu sein, um das Projekt umsetzen zu können. "Es liegt jetzt an den interessierten Partnern, ein konkretes Projekt auszuarbeiten, das technisch umsetzbar und finanziell tragbar ist."

Inzwischen stehen wir mit Jean-Claude Muller in der prallen Sonne am Rand eines Feldes, auf dem Kohlrabi-Pflanzen aus der Erde lugen. Der Praktiker sieht die Diskussion um Nachhaltigkeitskriterien mit gemischten Gefühlen. "Wir befinden uns hier in einem Wasserschutzgebiet und das Wasserwirtschaftsamt ist nicht immer top amused, dass ich hier Gemüse anbaue, weil das Risiko von Auswaschungen (von Nitrat, d. Red.) bestünde. Ich habe sie dann gefragt, ob sie denn hier mit dem Bau eines Gewächshauses einverstanden wären." Ein Gewächshaus trägt zwar einerseits zur Bodenversiegelungsproblematik bei, verhindert dafür aber problematische Auswaschungen. Dann aber versickert auf einer Fläche von möglicherweise mehreren Hektar überhaupt kein Regenwasser mehr, einfach, weil dieses zur Bewässerung drinnen benötigt wird, und steht der Erneuerung der Grundwasserkörper nicht zur Verfügung.

"Bis jetzt haben wir noch keine kleinen Gewächshäuser aus Glas subventioniert."

Das Landwirtschaftsministerium mit Blick auf die letzten fünf Jahre

Für Muller ist das heute bestehende Instrumentarium aus Restriktionen und Kontrollen wie Rückstandsanalysen von Pflanzenschutzmitteln ausreichend. Und das Potenzial der Kopplung an die Industrie schätzt er als gering ein. "Wir haben hier im Land nicht die große Industrie, die riesige Mengen an Abwärme zur Verfügung stellen würde."

Der Vorsitzende des Landesuebstbauveräins sieht das Vorhaben der Regierung insgesamt als eine Chance, die Landwirtschaft breiter aufzustellen. Wenn einerseits der Viehbestand reduziert werden soll, um den Methan- und Ammoniak-Ausstoß zu verringern, dann müssten dem Sektor auch Alternativen angeboten werden.

Von Marktanteilen und der Preisfrage

Doch Muller mahnt auch zur Vorsicht. Denn trotz niedrigem Selbstversorgungsgrad sei das Vermarktungspotenzial von einheimischer Ware gleichzeitig auch begrenzt. "Bedingt durch unsere Lohnkosten werden wir nie Tomaten produzieren können, wie die Niederländer das machen, für 1,50 oder 2 Euro das Kilo in der Saison." Zudem sind auf dem Luxemburger Markt zahlreiche Supermarktketten und Discounter, mit ihren eigenen Zulieferketten, fest etabliert. Und das alles bei tagsüber maximal einer Million potenziellen Verbraucher*innen im Land. Beim Obst gibt Muller außerdem den hohen Verzehr von Zitrusfrüchten und vor allem Bananen zu bedenken, der einen hohen Selbstversorgungsgrad verhindere. Auch in einem Land wie Deutschland mit einer fortgeschritteneren Obst- und Gemüseproduktion liegt der Selbstversorgungsgrad für den Obstbedarf übrigens bei lediglich 20 Prozent. Beim Gemüse sind es 38 Prozent.

Das Vertriebspotenzial zu vergrößern ist dem Sektor ein großes Anliegen. Die Supply4Future-Plattform von Restopolis eröffne "Möglichkeiten". Und vielleicht sei der Sektor in ein paar Jahren auch so aufgestellt, dass er sich stärker am Schulobstprogramm beteiligen könne. Die Umweltschutzorganisation Mouvement écologique hatte 2024, wenn auch nicht zum ersten Mal bemängelt, dass weiterhin "kaum Bio- und regionales Obst" in die Luxemburger Schulen gelangen.

Doch bis die erste Ernte überhaupt eingefahren werden kann, müssen noch ganz andere Herausforderungen gemeistert werden. Eine davon: Ein Gewächshaus zu errichten kostet richtig Geld. Die hohen Investitionsausgaben stehen am Ursprung der Forderungen des Sektors nach einer staatlichen Unterstützung. "Der Invest für Gewächshäuser übersteigt die Möglichkeit der aktuellen Betriebe", sagt Muller. Das Agrargesetz sieht zwar Zuschüsse auch für Gewächshäuser vor. Doch investieren die infrage kommenden Betriebe durchgehend, sodass die gesetzlich beschriebene Obergrenze von zwei Millionen Euro auf sieben Jahre immer ausgereizt sei. Das Landwirtschaftsministerium gab auf Journal-Anfrage an, in den vergangenen fünf Jahren 26 Folientunnel subventioniert zu haben, allerdings keine Gewächshäuser aus Glas. Die gesetzlich verankerten Subventionen können seit 2008 abgerufen werden.

Jean-Claude Muller selbst plant ein Gewächshaus von einem Hektar, das erweiterbar wäre. Dieses Projekt, schätzt er, werde mit fünf bis sechs Millionen Euro zu Buche schlagen. Er ist einer von vier heute bekannten potenziellen Anwärter*innen auf die gesetzlich eingeführte Investitionsbeihilfe. Ein anderer ist der Lebensmittel-Großhändler La Provençale, der ein solches Projekt zusammen mit zwei Landwirt*innen andenkt, wie Georges Eischen dem Land gegenüber sagte.

"Mir wëlle mat dësem Gesetz kucken, dass mir virukommen."

Martine Hansen, Landwirtschaftsministerin

Bedenken hinsichtlich der Baugenehmigung und die Abstimmung mit den Umweltbehörden trüben das Bild aktuell allerdings auch. Den Zusagen der Regierung, für den Bau in der Grünzone Steine aus dem Weg rollen zu wollen, traut Jean-Claude Muller erst dann, wenn der Bau des ersten Gewächshauses in trockenen Tüchern ist. Er befürchtet, dass sich die Projekte im Austausch mit den Verwaltungen des "Environnement" unnötig in die Länge ziehen werden.

Von der grundsätzlichen Notwendigkeit, mehr Obst und Gemüse selbst anzubauen, bleibt Muller jedenfalls überzeugt. Doch warum eine höhere Lebensmittelautonomie anstreben, wo doch freier Warenverkehr in Europa herrscht? Jean-Claude Muller erinnert sich noch genau an den 13. März 2020, ein Freitag. Einen Tag zuvor hatte die Regierung eine Vielzahl an Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 beschlossen, die wenige Tage später den ersten Lockdown einläuten sollten. "Das war Wahnsinn. Wir haben an jenem Freitag ich weiß nicht wie viele Zentner Kartoffeln verkauft", erinnert er sich. Es waren Panikkäufe. Bei den Erdäpfeln deckt die einheimische Produktion allerdings auch bis zu 40 Prozent des Verbrauchs.

Und in Zeiten wie diesen, die von geopolitischen Unsicherheiten geprägt sind, schadet ein gewisses Maß an "Civil preparedness", wie es im Verteidigungsjargon heißt, wohl nicht. So legt beispielsweise auch die NATO ihren Mitgliedern nahe, für "belastbare Versorgungssysteme" für Nahrung und Wasser zu sorgen. Erdbeeren für den Ernstfall, gewissermaßen.