Lösungsorientierter Journalismus - Gerade jetzt

Von Melody HansenLex KlerenMisch Pautsch

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Wir werden immer wieder gefragt: Was genau ist eigentlich konstruktiver Journalismus? In einem Artikel, der erstmals im Sommer 2022 in der Zeitschrift forum veröffentlicht wurde, hat Chefredakteurin Melody Hansen die ganz persönliche Antwort des Journal auf diese Frage zusammengefasst.

Es ist Mitte Juni, und das Coronavirus sorgt immer seltener für Schlagzeilen, dafür sind die Affenpocken in Luxemburg angekommen. Der Klimawandel schreitet mit großen Schritten voran und sorgt für gefährliche Hitzewellen. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten herrscht wieder Krieg in Europa, ein Krieg, von dem niemand weiß, wie lange er noch dauern wird. Weltweit befinden sich über 100 Millionen Menschen auf der Flucht. Rassismus, Inflation und Hunger sind andere Schlagwörter, die die Aktualität beherrschen.

Klingt alles schlimm. Zum Verzweifeln, um ehrlich zu sein. Die Welt steht gefühlt kurz vor dem Untergang, und dagegen unternehmen können wir eh nichts mehr. Was macht es jetzt noch für einen Unterschied, ob ich die Plastikflasche in den Restmüll schmeiße, mit dem Auto statt des Busses zur Arbeit fahre oder das Steak anstelle der Gemüse-Spieße auf den Grill lege.

Die mehrfachen Krisen, in denen die Welt gerade steckt, sind ernst. Es braucht die entschlossene Zusammenarbeit von uns allen, um sie anzugehen. Das Problem: Viele von uns sind gar nicht entschlossen. Stattdessen fühlen wir uns hilflos, verzweifelt und machtlos. Wir kapitulieren gegenüber den Herausforderungen, denen wir uns eigentlich stellen müssten. Es ist ein Teufelskreis: Nachrichten lösen negative Gefühle in uns aus, was dazu führt, dass wir diese vermeiden – und das in einer Zeit, in der gut recherchierter Qualitätsjournalismus für die Aufrechterhaltung unserer Demokratie unabdingbar ist.

Ein Gefühl von Hilflosigkeit

Eine rezente Studie – vom Reuters Institute der Oxfort University durchgeführt – belegt, dass Menschen Nachrichten zunehmend meiden. Sie beruht auf Online-Umfragen des Meinungsforschungsinstituts YouGov, bei denen 93.000 Menschen aus 46 Ländern befragt wurden. Das Ergebnis: Vier von zehn Befragten (38 Prozent) geben an, dass sie manchmal bewusst Informationen meiden. 2017 waren es noch 29 Prozent. Als Hauptgrund gaben 43 Prozent der Teilnehmenden an, dass der Wiederholungscharakter vieler Artikel störe, vor allem bei der Berichterstattung über Corona und Politik. 36 Prozent sagten, dass sie Nachrichten meiden, die ihnen aufs Gemüt schlagen. 17 Prozent wollen den Streit vermeiden, den das Gespräch über Nachrichten hervorrufen könnte, und 16 Prozent wollen auf das Gefühl von Hilflosigkeit verzichten und lesen deshalb weniger negative Schlagzeilen. 29 Prozent ignorieren Nachrichten, weil sie diesen nicht vertrauen.

Daran, dass Menschen sich wegen ihres Nachrichtenkonsums schlecht fühlen, können Medienschaffende etwas ändern. Denn wenn wir nicht mehr nur davon lesen, hören und sehen, wie schlimm alles ist, sondern auch davon, wie es besser gemacht werden kann und zum Teil auch schon wird, hören wir auf, uns hilflos zu fühlen. Die Arbeit von Journalist*innen ist es, die Welt so darzustellen, wie sie ist. Die Wahrheit zu zeigen. Und zur Wahrheit gehört es nun einmal auch, dass es für jedes Problem auch viele Menschen gibt, die daran arbeiten, dieses zu lösen. Unzählige Forscher*innen, Tüftler*innen, Aktivist*innen, Politiker*innen, Freiwillige und Bürger*innen setzen sich täglich mit den Herausforderungen unserer Welt auseinander, kämpfen für Gerechtigkeit, arbeiten an Lösungen und finden sie auch. Sie können uns zeigen, was auch wir tun können, um einen Teil dazu beizutragen, das Gleichgewicht auf der Erde wiederherzustellen.

Beim Lëtzebuerger Journal versuchen wir gezielt, diesen Menschen eine Stimme zu geben. Denn der Ansatz von konstruktivem Journalismus, wie wir ihn verfolgen, bedeutet keineswegs, die Realität mit rosa Zuckerguss zu überziehen und nur das Gute auf der Welt zu zeigen. Es bedeutet, die Herausforderungen unserer Zeit zu erkennen, sie zu thematisieren und mögliche Lösungen und Auswege aufzuzeigen: damit der*die Lesende am Ende nicht hoffnungslos und verzweifelt zurückbleibt, sondern aufgeklärt und motiviert, weil er*sie das Gefühl hat, etwas an der Situation ändern zu können – sein*ihr Schicksal selbst in der Hand zu haben. Es geht darum, den Menschen das Gefühl von Kontrolle zurückzugeben.

Die Kontrolle zurückerlangen

Das wirkt sich positiv auf die mentale Gesundheit aus. Menschen, denen es gut geht, können anderen Menschen besser helfen. Sie haben die Kraft, anderen die Hand zu reichen. Denn nur gemeinsam können wir mit kleinen Schritten an einer besseren Welt arbeiten. Fortschritt passiert in den seltensten Fällen so, wie Bücher und Filme es uns suggerieren. Dass ein*e Held*in sich eines Problems annimmt, es innerhalb kurzer Zeit löst und dafür gefeiert wird, kommt im echten Leben kaum vor. In der Realität ist Fortschritt langsam und wird von vielen Menschen gemeinsam vorangetrieben. Er ist leise und unauffällig, weil er nach und nach über viele Jahre hinweg passiert. Dinge, die langsam geschehen und keine Held*innengeschichte erzählen, schaffen es nur viel schwerer in die Headlines.

"Die Arbeit von Journalist*innen ist es, die Welt so darzustellen, wie sie ist. Die Wahrheit zu zeigen. Und zur Wahrheit gehört es nun einmal auch, dass es für jedes Problem auch viele Menschen gibt, die daran arbeiten, dieses zu lösen."

Das Lëtzebuerger Journal musste sich neben den vielen positiven Rückmeldungen für seinen konstruktiven Ansatz auch schon öfter Kritik anhören. Wir würden Kuscheljournalismus betreiben und unsere Themen seien nicht politisch, heißt es beispielsweise. Auch, dass konstruktiver Journalismus nur ein Trend sei und es Forschungen gebe, die infrage stellen, dass Menschen sich beim Lesen lösungsorientierter Texte aktiviert fühlen. Dem will ich widersprechen.

Unsere Redaktion thematisiert hochpolitische Dossiers wie den Klimawandel, die Rechte von Minoritäten oder die Konsequenzen von Krieg und Pandemie. In unserem Onlinemagazin finden sich laut traditioneller Definition meist "Gesellschaftsthemen" wieder, doch was ist politischer als unsere Gesellschaft? Wir reden auch mit und über Politiker*innen – aber viel wichtiger noch ist es uns, Menschen zu Wort kommen zu lassen. Diejenigen, die direkt mit den Problemen konfrontiert sind, die Politiker*innen zu verantworten haben. Und wir reden mit denjenigen, die herausgefunden haben, wie man diese Probleme lösen kann und sollte. Auch das Aufzeigen einer möglichen Lösung nimmt Politiker*innen in die Verantwortung: "Seht her, es gibt Lösungen. Warum wendet ihr sie nicht an?" Das Lëtzebuerger Journal ist politisch – eben nur anders.

Wir entscheiden selbst

Ich kann heute nicht sagen, ob eine hoffnungsvollere Weltsicht genügt, um die Herausforderungen, vor denen wir stehen, erfolgreich zu meistern. Was ich jedoch sagen kann: Jede*r Einzelne kann für sich entscheiden, ob er*sie sich bei all dem hilflos oder hoffnungsvoll fühlen möchte. Wir entscheiden selbst, ob wir Medien konsumieren, die ein Machtlosigkeitsgefühl in uns hervorrufen oder solche, die uns aufklären und motivieren. Wenn am Ende doch alles vergeblich sein sollte, haben wir uns dabei wenigstens nicht täglich miserabel gefühlt. Wir können sagen, wir haben alles versucht – und vielleicht sind wir damit gemeinsam erfolgreich.

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