Bei den Rechten nichts Neues

Von Misch Pautsch

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"Wokeism", "Genderagenda", Klimaterror": Das Flickwerk aus Stichworten, die sich zum Diskurs rechter Parteien und Bewegungen zusammenfügen, scheint international immer ähnlicher zu werden. Wir haben mit Politologin Dr. Léonie de Jonge darüber gesprochen, wie sich Ideen am rechten Rand ausbreiten – und auch in Luxemburg salonfähig werden.

Irgendwie ist es immer dasselbe Schema: "Verbotsparteien", "Asylmissbrauch", "Ökoterror", "woke". Ideen, die zunehmend von Parteien und Strömungen am rechten Rand auch in Luxemburg aufgegriffen werden, sind meist im Ausland bereits von ihrer Rechten zu – in ihren Augen – "heißen" Eisen erklärt worden. Nicht selten erlaubt ein Blick über die Grenzen oder den Atlantik sogar zu erahnen, welche Themen vermutlich demnächst als "problematisch" aufgegriffen werden. Der Ruck gegen die Drag-Kultur ist so wohl nicht zufällig auch in Luxemburg angekommen, nachdem die Konservativen in den USA sie zu einem "Problem" gemacht haben. Ein Aufruf, der dort folgend häufig zu Gewalt geführt hat.

Dr. Léonie de Jonge ist Assistenz-Professorin für Europäische Politik und Gesellschaft an der Universität Groningen in den Niederlanden. Sie setzt sich vor allem mit rechtspopulistischen Bewegungen auseinander. Für ihre Arbeit zu diesem Thema hat sie 2019 ihr Doktorat an der University of Cambridge erhalten. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, wie rechte Bewegungen voneinander lernen, ihre Ideen entwickeln und anpassen, wie sie den gesellschaftlichen Diskurs beeinflussen, aber die Wortführer*innen hinter ihnen gleichzeitig nach außen hin piekfein wirken.

2019 hast du in deiner Analyse Luxemburgs rechte Parteien als "vergleichsweise moderat" eingestuft. Seitdem hat sich viel getan: Fred Keup ist Parteipräsident der ADR. Déi Konservativ, damals eine Randnotiz, sind immer noch aktiv. Wie hat die Situation sich laut deiner Einschätzung in The Successes & Failures of Right-Wing Populist Parties in the Benelux seither geändert?

So wie man es sich hätte erwarten können. Die moderateren Mitglieder sind eher an den Rand gerückt, wie Gast Gibéryen, und wurden von Leuten mit konservativeren, rechteren Ideologien ersetzt. Das ist nicht ungewöhnlich, das sieht man häufig bei rechtsradikalen und rechtspopulistischen Parteien, dass es moderatere und radikalere Strömungen gibt. Bei Absplitterungen sind es dann meist die Radikaleren, die sich durchsetzen. Das ist ein Trend, den man auch hier sieht.

Die Frage ist natürlich immer, ab wann man etwas als rechtsradikal oder rechtsextrem bezeichnen kann oder muss. Es ist klar, dass die Grenze immer verschwommener wird und dass die Parteien teilweise auch damit spielen. Das sieht man ganz klar auch bei der ADR, wo rechtsextremere Ideen immer wieder auftauchen. Sie greifen zunehmend Themen auf, die man bei Rechtsaußen-Parteien im Ausland auch sieht. Da stellt sich dann irgendwann die Frage, wo man noch einen Unterschied zwischen einer ADR und einer AfD sieht.

Beispiele dafür sind auch Kampfbegriffe wie "wokeism", "Genderagenda," "Klimaterror," "Coronadiktatur" aber auch Kritik an Dragkultur und LGBTQ+-Bewegungen. Diese kennt man lange schon aus dem Ausland aber sie tauchen auch langsam in Luxemburg auf. Das Beispiel Tata Tom zeigt das recht deutlich. Drag-Kultur war nie ein heißes Eisen, bis ihr in Amerika der Kampf erklärt wurde. Es scheint, dass rechtspopulistische Gruppierungen weltweit voneinander abschauen?

Ja. Allerdings würde ich da nicht mehr von Rechtspopulismus sprechen, sondern von rechtsradikalen Ideen. Diese Entwicklung ist ein Resultat des Mainstreamings, oder "Normalisierung". Oft ist es schwer, genau zu klassieren, wo die Ideen herkommen, aber besonders beim Gender-Diskurs hat man schon vor fünf, sechs Jahren online Anzeichen gesehen. Das fängt meist mit Memes an, Witzen, auf 4Chan oder ähnlichen online Message-Channels. Hier werden die Ideen vorgestellt und irgendwann werden diese durch größere Akteure aufgegriffen. Rechtsradikalismus und Rechtspopulismus sind keine Phänomene, die sich primär oder einzig in der Parteilandschaft ansiedeln, sondern vor allem in sozialen Bewegungen, in denen auch viele nicht-politische Akteure aktiv sind. Aber die politischen Gruppen greifen diese Themen und Ideen danach auf und versuchen, sich in diesen neuen Themengebieten zu profilieren. Das haben wir während der vergangenen Jahre bei Corona gesehen. Dort sind klassische Themen wie Immigration in den Hintergrund geraten und wurden von neuen ersetzt. Gender und Klima sind die neuen Lieblingsthemen von Rechtsextremisten, dort überschneiden sie sich fast alle. Das ist schon alleine deshalb interessant, weil es ja klassisch nationalistische Bewegungen sind, die aber immer internationaler werden. Die Ideen werden sehr einfach von Akteuren in anderen Ländern aufgegriffen.

© KNAW

Léonie de Jonge

Ironisch, dass ausgerechnet die klassisch nationalistischen, autoritären Gruppierungen sich plötzlich fast zu einer internationalen Bewegung zusammengefunden haben.

Das ist einerseits strategisch. Sie können beispielsweise Profit daraus schlagen, zu beobachten, was zum Beispiel für Donald Trump funktioniert und wie er elektoral abschneidet und sich von diesen Ideen mitreißen zu lassen. Aber auf der anderen Seite ist es wirklich ideologisch. Sie finden international Leute, die ihre Weltansicht teilen. Sie können untereinander ihre Ideen, Vorstellungen, aber eben auch Strategien austauschen. Demnach ist es nicht verwunderlich, dass in vielen Ländern das Gleiche zu sehen ist; ihnen liegt die gleiche Ideologie zugrunde. Etwas, was in Polen funktioniert, kann auch hier funktionieren. Sie lernen voneinander. Teilweise sehen wir das dann, wenn Ideen fast copy-pasted werden. Das ist etwas, was auch in Luxemburg immer häufiger vorkommt, wie das Beispiel der ADR zeigt.

Können wir diese Internationalisierung auch bei Programmpunkten und politische Fragen beobachten, nicht nur bei einzelnen Schlüsselwörtern?

Ja, und ich denke, das ist auch logisch. Wir sind ein enorm kleines Land und natürlich auch keine Insel. Es liegt auf der Hand, dass die politischen Diskussionen in Nachbarländern auch einen Effekt auf uns haben. Das sieht man bei allen Parteien und ist, denke ich, auch ganz normal und teilweise sehr gesund, dass wir nicht nur nach innen schauen, sondern auch um uns herum. Diese Themen werden ja auch viel in den Medien diskutiert, in den sozialen Medien. Und natürlich wird so auch ein Teil der Agenda der Politik festgelegt. Haben wir diese Frage schon behandelt, oder müssen wir das auch hier thematisieren? Vor allem, wenn Wahlen sind und Wahlprogramme geschrieben werden, orientieren sie sich sicherlich an Themen im Ausland. Ideen machen sicher nicht vor Grenzen Halt machen, ganz besonders heute nicht. Und es ist ganz logisch, dass sich das auch in der nationalen Politik spiegelt.

Wenn diese Ideen sich auf diese Weise so erfolgreich weiterverbreiten, haben und brauchen unsere "lokalen" rechten und rechtsextremen Bewegungen und Parteien überhaupt noch eigene Ideen? Reicht es nicht, nur zu "copy-pasten"?

Ich weiß nicht, ob das wirklich noch eine relevante Frage ist. Den Bewegungen liegt eine Ideologie zugrunde: Nativismus und Autoritarismus. Das resultiert in einem zweiten Schritt in xenophoben und exkludierenden Ideen. Wenn man die Gesellschaft als hierarchisch ansieht und Ungleichheiten als natürlich versteht, dann kann das natürlich schnell zu Sexismus, Rassismus, Antisemitismus und Anti-LGBTQ-Vorstellungen werden. Natürlich hat jedes Land dazu noch seine eigene Interpretation von diesen Themen, der dem Kontext und der Gesellschaft angepasst ist und sein muss. Da denke ich zum Beispiel an den Versuch des ADRenalin-Präsidenten, diesen Waffen-Wirrwarr einzuführen. Das ist offensichtlich aus den USA und der Schweiz importiert, aber es passt einfach nicht in den luxemburgischen Kontext. Dass die Jugendparteien etwas radikaler sind, das merkt man jedoch bei jeder Partei. Leute wie Fred Keup verpacken und vermarkten das cleverer, sodass es den luxemburgischen Geschmack trifft. Aber generell sieht man, dass in dieser Rhetorik einfach viel Lärm gemacht wird, viel ausprobiert wird, bis dann irgendetwas hängen bleibt. So wird die Grenze wieder etwas weitergeschoben.

Ein Beispiel dafür findet sich auch in einer Rede von Joé Thein von déi Konservativ, der in einem einzigen Satz einen kompletten Rundumschlag vorführte: "Gréng Politik steht neben Ökoterror, Klimasozialismus, auch noch für Massenwanderung, Asylmissbrauch, Arbeitsplatzvernichtung, Wohlstandszerstörung, Betrug, Umweltsünden, Bevormundung, Verbotspolitik, Verordnungen, Enteignung, Kontrolle des Privatlebens, Steuererhöhungen, Mieten- und Kaufpreissteigerungen, Konsumdiktatur, Flächenverbrauch, Spritpreiskrise, Strompreisexplosionen, Autohetze, Tempolimit, Elektrozwang, Müllflut, Insektenvernichtung, Gender-Unsinn, Heimatfeindlichkeit, Planwirtschaft."

Bietet dieses Importieren und Anpassen von Narrativen nicht auch Angriffsfläche? Immerhin können politische Strateg*innen und Mainstream-Parteien sich mit den Ideen im Vorfeld auseinandersetzen und Gegenstrategien vorbereiten?

Ja. Wir wissen, dass das funktionieren kann. Aber nur, wenn Mainstream-Parteien, die Zivilgesellschaft und die Medien mitgehen und dieses Thema auch aufgreifen. Das haben wir beim Thema Migration gesehen. In den 80er Jahren wurde dieses Thema in den Niederlanden politisch wenig aufgegriffen, und wenn, dann als ökonomisches, nicht aber als kulturelles Thema. Dann haben die zentrum-rechten Parteien es plötzlich als kulturelles Thema aufgegriffen, um einige Stimmen zu gewinnen und ihre Agenda auszuweiten. Das hat das Feld für rechtsextreme und rechtsradikale Parteien vorbereitet, die "Issue-Ownership" für diese Themen übernehmen konnten. Wenn also von der ADR ewig über "woke" und "Gender" und ihre "Gefahren" gesprochen wird, wartest du nur darauf, dass eine CSV das Thema auch irgendwann in ihre Agenda aufnimmt. Dann wird immer mehr in den Medien darüber gesprochen, bis irgendwann jeder tatsächlich daran glaubt, dass eine reale Gefahr besteht. Dann ist es ein Thema. Dann ist es eine politische Frage. Und die Parteien, die früh "Issue-Ownership" übernommen haben – sowohl dafür als auch dagegen, haben einen Vorteil. Eine Partei, die sich zum Beispiel früh als pro-LGBTQ etabliert hat, kann dieses Thema auch für sich geltend machen.

"Generell sieht man, dass in dieser Rhetorik einfach viel Lärm gemacht wird, viel ausprobiert wird, bis dann irgendetwas hängen bleibt. So wird die Grenze wieder etwas weitergeschoben."

Dr. Léonie de Jonge

Dieser Kampf um "Issue-Ownership", also Besitzergreifen von kontroversen Themen, tobt international. Rechtspopulistische Figuren sind weltbekannt: Politiker*innen wie Trump, Influencer*innen wie Andrew Tate, politische Strateg*innen wie Steve Bannon … ADRenalin-Präsident Maksymilian Woroszylo hat vor kurzem ein Foto gepostet, auf dem er dem selbsternannten "Populisten" Gavin Wax, Präsident des "trumpistischen" New York Young Republican Clubs, für eine – leicht ironisch wirkende – "starke Kooperation gegen sich ausweitende Globalisierung" unter "Nationalpatrioten" dankt. Du argumentierst in deinem Buch, dass rechtspopulistischen Bewegungen lange charismatische Figuren und Organisationen gefehlt haben. Sind Figuren wie Trump de facto Leader hiesiger Rechtspopulist*innen geworden? Anders gefragt: Wählen Leute die ADR, weil sie Andrew Tate mögen?

Das ist eine interessante Frage. Ich denke nicht, dass das eins zu eins übertragbar ist. Aber was solche Figuren wie Tate machen, ist, diese Ideologie zu normalisieren und zu verbreiten. Was vor Jahren obskur und marginal war, steht heute im Zentrum. Dadurch wird es immer schwerer, diesen Figuren ihre Plattform zu entziehen. Wir finden zunehmend Ideen, die am äußeren Rand der rechtsextremen Bewegungen zu finden waren, im Alltag wieder. In der Pop-Kultur, an Orten, an denen wir sie nicht erwarten. Online, wo wir es mittlerweile kennen, aber auch in Kampfsportarten, teilweise in der Esskultur.

Man sieht, wie Ideen an neuen Orten auftauchen. Sie sind längst nicht mehr auf ihre eigenen Kreise beschränkt. Das ändert allerdings nichts daran, dass die Medien immer noch eine sehr wichtige Rolle dabei spielen, genau wie die Mainstreamparteien. Sie helfen immer noch dabei zu entscheiden, was legitim und "normal" ist, und wie weit die Toleranz für Intoleranz in einer liberalen Demokratie gehen soll. Diese Verantwortung haben sie immer noch.

Moment, wir müssen einen Schritt zurück machen: Essen?

Absolut! Essen ist par excellence ein Thema, das viele Ideen und Werte beinhaltet: Nationalkultur, Zugehörigkeitsgefühl, Nationalgefühl. Mit Essen kann man ausgezeichnet kommunizieren, wer "dazugehört" und wer nicht. Das sieht man beispielsweise in Frankreich, wo Le Pen vorgeschlagen hat, in Schulen kein Halal-Essen mehr anzubieten. In Italien gab es eine Polemik, weil in ganzen Städten nur noch italienisches Essen verkauft werden sollte. Der Effekt war, dass alle Kebab-Läden schließen mussten. Und wer besitzt die? Naja, meist Leute, die nicht aus Italien kommen. Mit Essen kann man sehr viele andere Ideen kommunizieren. Und das ist nur im rechtsradikalen Bereich. Im rechtsextremen Bereich sieht man das noch deutlicher ausgeprägt. In Deutschland gibt es zum Beispiel bestimmte Nipster-Bewegungen (Nazi-Hipster, Anm. d. Red.), die viel vegan essen. Das ist super interessant, weil man das nicht unbedingt miteinander assoziieren würde. Aber der rechtsextreme Rand wird immer heterogener und umwirbt ein immer wachsendes Publikum. Man schaut eine "normale" Kochsendung im Internet und plötzlich hört man: "Das ist, um unser weißes Volk zu ernähren." Solche Ideen schleichen sich dann langsam ein. Eigentlich klicken die Leute wegen der Esskultur auf die Videos, aber sie stolpern über rechtsextreme Ideen. Auch in dieser Andrew Tate-Szene ist Essen wichtig, weil sein Content sich sehr viel darum dreht, was man mit seinem Körper macht, seine Auswirkungen auf Männlichkeit und Spermienproduktion.

Die Leute gehen generell nicht auf diese Kanäle, weil sie rechtsextrem sind. Sie gehen hin, weil diese Person eine Philosophie über Essen hat, darüber, was Maskulinität ist, Stärke … So kommen die Leute indirekt in Kontakt mit rechter Ideologie, indem sie über andere Ideen hineinrutschen. Es ist wie ein Trojanisches Pferd, das diese Ideen miteinschleust.

 

"Wir finden zunehmend Ideen, die am äußeren Rand der rechtsextremen Bewegungen zu finden waren, im Alltag wieder."

Dr. Léonie de Jonge

Eine der Strategien dabei ist, sich nicht explizit zu positionieren, sondern öffentlich zweideutige Antworten zu geben, aber nach innen klare Zeichen zu senden. Nachdem Alain Vossen sich wegen Fotos von ihm mit Nazi-Insignien von der ADR-Liste zurückgezogen hat, nannte diese das in einem Schreiben "zum Teil mit Photoshop aus dem damaligen Kontext gerissen". Vossen "bereut seinen damals unbekümmerten Umgang mit den sozialen Medien und distanziert sich konsequent von seinem damaligen Post". Die Ideologie und Symbolik selbst werden nicht kritisiert. In Interviews sagen Parteigrößen zwar, dass sie "mit Rechtsextremismus nichts zu tun haben wollen", nennen Vossens Verhalten aber selbst explizit nicht "rechtsextrem". Stattdessen findet man Spekulationen über visuelle Ähnlichkeiten zu Logos von Sportmarken und "Kontext" … Die Implikation: "Wir distanzieren uns von einem hypothetischen anderen Rechtsextremismus, aber das ist nicht Rechtsextremismus" …

Die Herangehensweise ist wohl strategisch. Sie passen sehr auf Details auf. Diese Herangehensweise heißt ‘calculated ambivalence’, wo man genau weiß, wo man zweideutig sein kann und wie man das einsetzen kann, um eine Nachricht an den rechtsextremen Rand zu schicken, ohne das klar auszudrücken, zum Beispiel, indem man diesen nicht klar ausschließt. Gleichzeitig hält man das Bild aufrecht, dass du selbst nicht so bist. Du lässt diesen Zweifel. Das passiert oft durch scheinbar belanglose Ausdrücke. Im Europaparlament hat vor kurzem ein Politiker der Vlaams Belang (eine rechtsextreme, separatistische Partei in Belgien, Anm. d. Red.) das White-Power-Zeichen gemacht. (Ein Zeichen, das dem "Ok"-Zeichen ähnelt. Die Fingerposition deutet die Buchstaben "WP" an, was für "White Power" stehen kann, d. Red.) Das wurde auf Facebook gepostet, woraufhin die Medien natürlich reagieren mussten und die Frage aufwarfen, was das denn nun genau bedeuten soll. Er sagte natürlich, er habe das nicht gewusst und auch nicht so gemeint, er wolle nur sagen, es sei 'alles okay'. Das passt genau ins Drehbuch. Dann können sie sich selbst als Opfer von negativem Framing darstellen, was zu diesem rechtspopulistischen Perpetuum Mobile führt: Man macht etwas, es gibt skandalisierte Reaktionen, die Medien stürzen sich darauf, es wird ewig darüber diskutiert. Dann hat der Rechtspopulist die Chance, alles zu verneinen, eine Opferposition einzunehmen und haut sofort den nächsten Skandal raus. Dadurch bist du einerseits konstant in den Medien, andererseits dreht die Maschine weiter.

Besonders das "White Power", das die meisten Personen als harmloses "Ok"-Zeichen sehen würden, wurde ja bewusst pervertiert, mit dem angestrebten Ziel, Zweifel zu säen. Häufig werden "normale" Ausdrucksweisen so kooptiert.

Das ist ein Phänomen, das wir häufig sehen. Das "Pepe the Frog"-Meme, verschiedene Kleidungsstücke, Zahlen wie 1488 , "14 Words" – es gibt enorm viele solcher rechtsextremen Symbole, die man erst einmal kennen muss, um sie zu sehen. Und die Leute in diesen rechtsextremen Kreisen kennen sie. Das nennen wir dann eine Dog Whistle: Wenn rechtsextreme Politiker plötzlich Worte, Ziffern oder Kleidung benutzen, um Nachrichten an ihre Anhänger zu senden, die sie genau verstehen, aber gleichzeitig in den Medien verneinen können.

Ein weiterer wichtiger Indikator für den Erfolg rechtspopulistischer Parteien sind die ökonomischen Umstände. Im Schnitt geht es den Luxemburger*innen aktuell recht gut. Rund die Hälfte der Wähler*innen sind Staatsbeamt*innen, also in einer Art "Marché protégé", wie er in deinem Buch genannt wird, zu dem de facto nur Luxemburger Zugriff haben, und in dem ihnen niemand damit drohen kann, dass "Ausländer ihnen ihre Jobs wegnehmen". Trotzdem müssen aktuell viele Leute kürzertreten. Macht dir das Sorgen?

Ich sehe aktuell keinen Grund, warum sich das grundsätzlich ändern sollte. Das ist allerdings nur ein Faktor. Das heißt auch nicht, dass wir immun sind vor rechtsradikalen und rechtsextremistischen Ideen und Tendenzen. Auch in Luxemburg werden solche Strömungen immer mehr salonfähig. Das ist durchaus besorgniserregend.