Wenn alle Stricke reißen

Von Sarah RaparoliLex Kleren

Es scheint, als sei noch nie so viel über mentale Gesundheit gesprochen worden als seit Beginn der Pandemie. Bei diesen Diskussionen wird jedoch eine Berufsgruppe oft vergessen: das Gesundheitspersonal. Über Erschöpfung, stressresistente Arbeitnehmer*innen und deren Arbeitgeber*innen, die für das Wohlergehen ihrer Leute kämpfen (sollten).

„Ich weiß nie, was mich erwartet.“ Das erklärt Bea (Name von der Redaktion geändert) zu Beginn unseres Gespräches, und das, obwohl sie bereits seit 21 Jahren im Beruf arbeitet. Bea ist Krankenschwester auf einer Reha-Station. „Verschlechtert sich der Zustand deines Patienten oder nicht? Kommt ein Notfall rein oder nicht? Das kann man im Vorfeld nicht wissen. Natürlich lässt diese Ungewissheit deinen Stresspegel in die Höhe schießen.“ Was hilft ist die Aufteilung der Arbeit, wie sie ausführt. „Das heißt, dass ich nicht alles allein machen muss, um den Patienten wieder gesund zu bekommen. Ich kümmere mich um ihn, bis meine Schicht um ist. Dann kommt jemand anderes und setzt meine Arbeit fort.“ Die letzten Monate hätten ihr dennoch sehr zugesetzt. „Natürlich bin ich stolz auf meine Arbeit. Natürlich war ich froh, als die Menschen abends für uns geklatscht haben, aber alles, was wir an Arbeit mehr getan haben, hat uns im Endeffekt die letzte Kraft geraubt“, erzählt Bea.

Anfangs habe der Stolz überwogen, sie habe nicht wirklich mitbekommen, dass sich ihr mentaler Zustand nach und nach verschlechtert. „Du schläfst nicht mehr, du hast andere Sorgen, wie die eigenen Kinder, die plötzlich im Homeschooling unterrichtet werden. Irgendwann lädt deine Batterie nicht mehr auf.“ Neben den endlos scheinenden Schichten und Stunden im Krankenhaus sei ein Teil der Arbeit besonders schlimm gewesen – das Verbot der Besuche in den Krankenhäusern. „Ich habe gelernt, meinen Job korrekt auszuführen. Ich habe jedoch nicht gelernt, den Menschen zu sagen, dass sie ihre Liebsten nicht besuchen dürfen. Das hat mich seelisch zerstört.“ Sie beschreibt die letzten Monate als einzelne kleine Tropfen, die das Fass irgendwann zum Überlaufen brachten. „Plötzlich geht nichts mehr. Du wirst apathisch.“

Sie erinnere sich an einen Patienten zurück. „Er bekam über einige Stunden ein Medikament. Ich hatte vergessen, dies aufzuschreiben. Das ist eine selbstverständliche Handlung: Du notierst alles. Ich habe mir solche Vorwürfe gemacht, dass ich das einfach vergessen hatte zu machen.“ Dies sei einer dieser kleinen Tropfen gewesen, der sie „stark aus der Bahn geworfen“ habe. Zudem sei ihr etwas aufgefallen, was sie als „besonders krass“ beschreibt: Der Umstand, dass Arbeitskolleginnen immer stärkere Schwierigkeiten hätten, schwanger zu werden. „Das Gesundheitspersonal ist so gestresst“, ist ihre Erklärung. „Das wirkt sich auch auf den Kinderwunsch aus. Es dauert viel länger, bis sie schwanger werden. Dann gibt es auch noch jene, die eine Fehlgeburt haben und damit zurechtkommen müssen, neben all dem anderen Stress, mit dem sie fertig werden müssen.“

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