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Das Lëtzebuerger Journal feiert bereits seinen zweiten digitalen Geburtstag. Wir haben unseren Platz in der Medienlandschaft gefunden, uns weiterentwickelt und sind bereit für 2023. Das alles wäre ohne die Menschen, die uns ihre Erfahrungen und Sichtweisen schildern, nicht möglich. Zu diesem Anlass hat sich jedes Teammitglied einen Beitrag ausgesucht, dessen Geschichte ihn oder sie in diesem Jahr nicht losgelassen hat.
Treffen sich zwei Landwirte und zwei Vertreter des Naturparks Obersauer bei Harlingen … Was klingt wie der Anfang eines Scherzes, war in Wirklichkeit Ausgangspunkt einer äußerst spannenden Begegnung im Stauseegebiet im November. Denn auch wenn man als Journalist den Umgang mit verschiedenen Standpunkten gewöhnt ist: Im direkten Austausch erlebt man das, abgesehen von Rundtischgesprächen, nicht so häufig.
Dieser Austausch war in mehrerlei Hinsicht spannend. Einerseits, weil es sich bei einem der Gesprächspartner um den ehemaligen Laku-Präsidenten handelte, der zusammen mit drei anderen Landwirten vor drei Jahren das Handtuch geworfen und aus dem Vorstand der Landwirtschaftlech Kooperatioun Uewersauer zurückgetreten war – und einiges zu erzählen hatte. Zweitens, weil er, anders als zwei aktuelle Vorstandsmitglieder, konventionell arbeitet. Außerdem, weil, klar, bei solchen Gelegenheiten auch andere Themen zur Sprache kommen, wie beispielsweise das umstrittene Agrargesetz, die Produktions- und Einkommensbedingungen der Landwirtschaft oder ihr Ansehen …
Nicht zuletzt war der Austausch aber auch deshalb ergiebig, weil Landwirtschaft, Naturpark und Sebes trotz manchmal kleinerer, manchmal größerer Meinungsdivergenzen und Weltansichten versuchen, gemeinsame Interessen zu verfolgen – im Sinne des Trinkwasserschutzes, der uns, insofern wir in Zukunft auf Mosel-Wasser verzichten wollen, allen am Herzen liegen sollte.
„Die Beispiele zeigen, warum es unabdingbar ist, unsere Annahmen über die Welt immer wieder infrage zu stellen.“
Dieses Experiment, diese Kompromissfindung, war allerdings, zumindest in der Vergangenheit, mit Tücken und Widerständen versehen. Zwischen politischer Rückendeckung für einen kooperativen Wasserschutz, der freiwillige Maßnahmen von Landwirt*innen finanziell entschädigen sollte, statt dem Sektor nur Verbote und Auflagen aufzuerlegen, und seiner konkreten Ausgestaltung und Umsetzung klaffte ein Widerspruch, der 2020 in besagtem Rücktritt eskalierte.
Für den Widerspruch zwischen Theorie und Praxis, einer politischen Idee und ihrer Umsetzung, lassen sich viele Beispiele finden. In allen Themenbereichen. 2022 war eine Gelegenheit, einige dieser Themen anzusprechen, zum Teil auch Fragen, die im Großherzogtum bislang kaum oder gar nicht öffentlich zur Sprache gekommen sind, oder sich erst im Laufe einer Recherche ergaben. Wie die Intransparenz, die um die öffentliche Auftragsvergabe und die Umsetzung der Reform von 2018 samt all ihrer vollmundigen Versprechen herrscht. Oder dass es Lücken in der Begleitung von Personen gibt, die von einem Therapieaufenthalt im Ausland zurückkehren. Oder die in Luxemburg wie in Europa immer noch weit verbreitete Praxis des systematischen Kürzens von Ferkelschwänzen -trotz Verbot.
Die Beispiele zeigen, warum es unabdingbar ist, unsere Annahmen über die Welt immer wieder infrage zu stellen. Und dass Journalist*innen Zeit und Präsenz vor Ort investieren müssen (und die nötigen Mittel dazu haben), um Antworten auf ihre Fragen zu finden. Denn: Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Vermutlich entspricht die Ausnahme eher noch der Regel.