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Das Lëtzebuerger Journal feiert bereits seinen zweiten digitalen Geburtstag. Wir haben unseren Platz in der Medienlandschaft gefunden, uns weiterentwickelt und sind bereit für 2023. Das alles wäre ohne die Menschen, die uns ihre Erfahrungen und Sichtweisen schildern, nicht möglich. Zu diesem Anlass hat sich jedes Teammitglied einen Beitrag ausgesucht, dessen Geschichte ihn oder sie in diesem Jahr nicht losgelassen hat.
Negative Nachrichten sind überall, sie sind laut und es ist fast unmöglich, ihnen aus dem Weg zu gehen. Positive Nachrichten sind dagegen schwer zu finden. Heißt das, dass auf der Welt nur Schlechtes passiert? Nein. Aber warum Fortschritte es nur viel schwerer in die Medien schaffen, will ich anhand eines persönlichen Beispiels erläutern.
Rückblick: 2018 schrieb ich einen Artikel über eine Stillberaterin. Eine von hunderten täglichen Mails in meinem Postfach hatte sich meine Aufmerksamkeit ergattert: Es ging um den Weltstilltag und um den Beruf der Stillberatung. „Aha, was ist das denn?“, dachte ich und meldete mich mit der Bitte um ein Interview.
Es folgte ein interessantes Gespräch, die Veröffentlichung eines Artikels über den Beruf der Stillberaterin … und ein wütender Anruf der Association Luxembourgeoise des Sages-Femmes (ALSF). Die Hebammen seien nicht glücklich darüber, dass mein Artikel es so darstellte, als seien sie nicht fähig dazu, Mütter beim Stillen zu beraten und zu unterstützen. Sie luden mich einige Tage später zu ihrer Generalversammlung ein.
Dort lernte ich, wie sehr die Hebammen in Luxemburg seit Jahren um Anerkennung kämpfen, dass sie zu der Zeit kaum Leistungen erbringen durften, die von der Gesundheitskasse rückerstattet wurden und die wenigsten Frauen ihre Schwangerschaft, Geburt und das Wochenbett von einer Hebamme begleiten lassen würden. Mein Besuch bei der ALSF war im Oktober und sie erzählten mir vom Roses Revolution Day und worum es dabei geht. „Was, Gewalt in der Geburtshilfe? So etwas gibt es?“, fragte ich fassungslos und war schockiert darüber, dass ich davon noch nie gehört hatte.
„Es ist ein besonderes Gefühl, eine Problematik über Jahre zu verfolgen, mit den verschiedensten Menschen über ihre Sichtweisen zu sprechen und zu beobachten, wie sich etwas tut.“
In den darauffolgenden Jahren führte ich Interviews mit Müttern, ihren Partner*innen, Hebammen, Doulas, Ärzt*innen und Psycholog*innen – dabei ging es um Gewalt in der Geburtshilfe, aber auch darum, dass Frauen in Luxemburg keine Wahl hatten, wo und wie sie ihr Kind zur Welt bringen wollen. Die Klinikgeburt war die Regel, einige wenige konnten die Geburt mit der Hilfe von Martine Welter – damals der einzigen Hebamme, die Hausgeburten durchführte – bei sich zuhause erleben. Wieder andere nahmen den Weg nach Merzig oder Namur auf sich, um ihr Kind auf eigene Kosten in einem Geburtshaus zu kriegen. Ich erinnere mich daran, wie ich sagte: „Wenn ich in meiner Laufbahn als Journalistin dabei sein kann, wenn ein Geburtshaus in Luxemburg eröffnet wird, dann bin ich zufrieden.“ Dabei hätte ich gedacht, dass das frühestens in zwanzig Jahren möglich wäre.
Seitdem ist viel passiert: Hebammen haben eine neue Nomenklatur und neue Tarife bekommen, Martine Welter ging in Rente und Hausgeburten werden wieder von mehreren Hebammen in Luxemburg durchgeführt. Inzwischen wird im Parlament über die Eröffnung eines Geburtshauses gesprochen und Hebammen haben die Gebuertshaus Lëtzebuerg asbl gegründet.
Und ich war irgendwie dabei. Es ist ein besonderes Gefühl, eine Problematik über Jahre zu verfolgen, mit den verschiedensten Menschen über ihre Sichtweisen zu sprechen und zu beobachten, wie sich etwas tut. Denn allzu oft haben wir das Gefühl, dass sich eben nichts tut, dass sich alles zum Schlechten entwickelt. Meine Erfahrung ist das beste Beispiel dafür, dass es eigentlich kaum Held*innengeschichten gibt. Fortschritt ist leise und unauffällig, er passiert über Jahre und wird von vielen Menschen gemeinsam vorangetrieben. Wenn es dann endlich so weit ist, ist es umso schöner, einen Schritt zurückzugehen und zu bewundern, was alles geschafft wurde. Wir dürfen nur nicht vergessen, das auch zu tun.