Kauf europäisch! EU-Boom durch US-Spannungen?

Von Misch Pautsch

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Schielst du beim Einkauf mittlerweile auch etwas öfter auf das Herkunftsland? Wegen der Kehrtwende der US-Politik suchen immer mehr Menschen nach europäischen oder luxemburgischen Alternativen zu amerikanischen Produkten. Einfach ist das nicht immer – doch neben bekannten lokalen Angeboten bietet auch eine neue, schnell wachsende Internetbewegung Hilfe. Über die Rückbesinnung auf Lokales.

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"Wir hätten niemals erwartet, dass das Interesse so groß sein würde!" Laura Catz, Mitgründerin der Internetseite "Go European" ist selbst etwas von dem Erfolg des Projekts überrumpelt. Dabei ist das so einfach wie zeitgemäß: Eine Seite, auf der man nach europäischen Alternativen zu den meist bekannteren amerikanischen Produkten suchen kann. Nur gut einen Monat, nachdem die Homepage online ging, registrierte sie nun etwa 20.000 Besucher*innen am Tag. Immer mehr Leute scheinen sich im Lichte der europakritischen Haltung der US-Regierung auf europäische und luxemburgische Produkte zu besinnen.

Wie die junge Rumänin im Telefoninterview erklärt, ist das Projekt das Resultat von viel Frust – und einem Team aus über 60 Freiwilligen quer durch Europa, die sich über das Forum Reddit kennen gelernt haben: "Es war vor allem eine Reaktion auf die Nachrichten und Entwicklungen in der Welt, die bei mir ein Gefühl der Macht- und Nutzlosigkeit auslösten. Mit meinem Job im Marketing war es kaum möglich, etwas zu bewegen, dachte ich. Doch dann habe ich das – damals noch kleine – Subreddit BuyfromEU gefunden, wo über ein Umdenken unserer Kaufgewohnheiten hin zu mehr europäischen Produkten gesprochen wurde. Es wurde in den Diskussionen immer wieder gesagt, dass 'jemand' mal eine Webseite oder Datenbank einrichten müsste, um all die Alternativen, die auf dem Sub (Unterseite des Forums, d. Red.) zusammengetragen wurden – von Waschmaschinen bis hin zu E-Mail-Anbietern."

"Es ist mir sehr wichtig zu sagen, dass es uns mit der Seite nicht darum geht, einen Boykott zu veranstalten. Was wir wollen, ist europäischen Unternehmen mehr Sichtbarkeit zu geben."

Laura Catz, Go European Gründerin

Obschon sie keinen Hintergrund im Web Development hat, bastelt Catz mit anfängerfreundlichen No-Code-Tools im Nu eine erste Version der Seite zusammen, auf der man in einer einfachen Suchmaschine nach Kategorien, Ländern und Schlüsselwörtern nach europäischen Produkten suchen kann. Wenig später postet sie den Link auf Reddit "in der Erwartung, dass vielleicht zwei, drei Leute sagen, dass es eine nette Idee ist"… und seitdem hört ihre Inbox nicht mehr auf, zu klingeln. Denn während die Mitglieder des Subs über die Seite diskutierten, erreichte sie eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen, die allerdings mehr Coding-Wissen verlangen. "Als ich ihnen erklärt habe, dass ich das alleine nicht umsetzen kann, bekam ich innerhalb von drei Tagen zehn Nachrichten von Entwicklern quer durch Europa, die mir ihre Hilfe anboten."

"60 random Leute"

Zwei Wochen später waren etwa 60 Freiwillige aus ganz Europa am Projekt beteiligt, von denen die meisten sich nur über ihre Online-Tags kennen, und über Online-Plattformen kommunizieren. Bis heute haben sie so in ihrer Freizeit und ohne Bezahlung über 1.200 europäische Produkte und Dienstleistungen zusammengetragen und kategorisiert, sowie eine Browser-Erweiterung erstellt, die bei Kaufentscheidungen hilft. In Zukunft, hofft Catz, könnte die Seite auch helfen, Marktlücken für europäische Produkte zu finden.

Der Impuls für die Seite war zwar die internationale Politik und vor allem das abrupte Abwenden der USA von Europa. Trotzdem betont Catz: "Es ist mir sehr wichtig zu sagen, dass es uns mit der Seite nicht darum geht, einen Boykott zu veranstalten. Was wir wollen, ist europäischen Unternehmen mehr Sichtbarkeit zu geben." Der leichten Ironie, dass das Projekt auf einer amerikanischen Plattform gestartet wurde, ist sie sich bewusst. Doch hier müsse man, bis es eine Alternative gäbe, pragmatisch denken.

Ein Zeichen für europäische Kooperation

Während das auch schnell wachsende BuyfromEU-Subreddit mit seinen mittlerweile 191.000 Mitgliedern eine Diskussionsplattform samt Memes und Internethumor bleibt, versucht Go European eine nüchternere Dienstleistungsplattform zu sein. Das setzt neben Logistik auch Arbeitsethik voraus. Denn zu entscheiden, welche der von den Nutzer*innen vorgeschlagenen Produkte als europäisch durchgehen, ist kompliziert, vor allem in einer Welt, in der Besitzverhältnisse weder transparent noch statisch sind, bestätigt Catz: "Unser freiwilliges Datenteam ist bereits sehr groß. Sie überprüfen alle Einträge und stellen sicher, dass die Informationen korrekt sind. Dennoch kommt es manchmal vor, dass Leute Marken vorschlagen, die sie aus ihrer Kindheit kennen und zum Beispiel sehr Deutsch wirken, aber später erhalten wir eine E-Mail, dass diese Firma letztes Jahr von einem amerikanischen Konzern aufgekauft wurde. Daher diskutieren wir intensiv darüber, was 'europäisch' in diesem Kontext bedeutet und wo unsere Grenzen liegen." So warten im Moment dann auch noch rund 1.800 weitere von den User*innen eingereichte Vorschläge darauf, überprüft zu werden.

"Wir möchten den Menschen hinter dem Geschäft sichtbar machen […]. So können wir mehr menschlichen Kontakt herstellen."

Philippe Herremans, Koordinator der Luxembourg for Shopping GIE

Doch jetzt schon ist das Projekt ein Zeichen dafür, dass nicht nur ein wachsendes Interesse an europäischen Alternativen besteht, sondern, wie Catz sagt "ein Haufen 'random' Leute quer durch Europa etwas zusammen aufbauen können, obwohl sie sich nicht kennen. Einfach weil sie motiviert sind, miteinander reden und Lösungen finden. Das ist, denke ich, auch eine wichtige Nachricht an unsere Politik, dass wir als Europäer vereint sein müssen."

Auch luxemburgische Produkte und Dienstleistungen sind auf der Seite zu finden – wenn auch noch relativ wenige. Darunter die Verkaufsplattform Letzshop, aufgelistet als eine Alternative zu Amazon. Ein Vergleich, der Philippe Herremans, Koordinator der Luxembourg for Shopping GIE, die vor allem für diese Plattform bekannt ist, ein Lächeln entlockt. Die 2018 gegründete Seite erfuhr laut Herremans während der Coronapandemie einen explosionsartigen Boom mit Wachstumsraten bis zu 1.000 Prozent. Heute steigen die Userzahlen wieder langsamer, aber dennoch stetig.

Lokalen Läden eine lokale Plattform bieten

Das Hauptziel von Letzshop ist weniger, luxemburgische Produkte hervorzuheben, sondern vor allem lokalen Geschäften zu helfen, eine Onlinepräsenz als zweites Standbein aufzubauen, wo sie ihre Ware aus allen Ecken der Welt verkaufen. Dennoch erkennen auch sie, dass lokale Produkte auf immer mehr Anklang stoßen: "Wir haben darum eine neue Rubrik und Seite online gestellt, die sich dem Thema 'Made in Luxembourg' widmet. Dies dient natürlich dazu, die luxemburgischen Produkte, die luxemburgische Händler verkaufen, stärker hervorzuheben, da die Nachfrage dafür definitiv besteht", bestätigt Herreman. Besonders beliebte luxemburgische Produkte sind, wie könnte es anders sein, Lebensmittel und Getränke, allen voran Schokolade.

Dass "lokal" ankommt, zeigt sich auch an einer Marketingstrategie, die bei den ausländischen Industrietitanen kaum glaubwürdig scheinen würde: Die Verkäufer*innen werben nicht nur mit ihren Produkten… sondern mit ihrem Gesicht! Fotos der Händler*innen und Handwerker*innen in ihren Läden und bei der Arbeit zieren immer häufiger die Onlinepräsenz der Geschäfte. Ein Erfolgsrezept, sagt Herremans: "Wir möchten den Menschen hinter dem Geschäft sichtbar machen, sodass die Kunden im Laden auch die Leute wiedererkennen, die sie auf dem Foto im Internet gesehen haben. So können wir mehr menschlichen Kontakt herstellen. Das erhöht auch das Vertrauen in den Laden, was beim Online-Kauf sehr wichtig ist. Man muss ein gewisses Vertrauen in den Shop haben, bei dem man einkauft."

Der Preis, den die Kundschaft für diese Nähe zahlen muss, ist meist etwas höher als auf ausländischen Plattformen, gibt der Koordinator zu. "Doch viele Leute sind bereit, das hinzunehmen, um die lokale Wirtschaft zu unterstützen, und auch weil es ökologisch und oft ethisch sinnvoller ist." Ob auch bei Letzshop ein Trend hin zu mehr europäischen und luxemburgischen Produkten zu beobachten ist, sei laut Herremans aus den Statistiken nicht herauszulesen. "Doch wenn wir bemerken, dass es die Nachfrage bei genug Kunden gibt, bestimmte europäische Produkte zu finden, wäre es durchaus möglich, dass wir einen Filter hinzusetzen, um dies einfacher zu machen. Da richten wir uns nach der Nachfrage."

"Die Leute schauen beim Einkauf eindeutig auf lokale und regionale Produkte. Trotzdem spielt der Preis natürlich immer noch eine ausschlaggebende Rolle."

Gilles Reding, Handwerkskammer

Dass diese Nachfrage im Ausland eindeutig besteht, ist vor allem in Amerikas einst vertrautestem Nachbarland zu sehen: Kanada. Hier werden nicht nur von immer mehr Läden amerikanische Produkte entfernt oder von Kund*innen kopfüber gedreht, um über ihre Herkunft zu informieren, sondern vor allem auf kanadische Produkte klar sichtbar die ikonische nationale Ahornblatt-Flagge gedruckt.

Die kleine, aber beliebte Krone

Das luxemburgische Äquivalent dazu ist die "Made in Luxembourg"-Krone. Das Label, das vergangenes Jahr seinen 40. Geburtstag feierte, genießt laut Gilles Reding, Directeur Conseils et Services bei der Handwerkskammer und Clémence Higel, die dort für seine Vergabe verantwortlich ist, hohes Ansehen. Über 1.800 luxemburgische Unternehmen dürfen sich heute damit zieren, und die Anfragen steigen jährlich weiter. Laut Reding ein Zeichen dafür, dass die Unternehmen im "positiven Image der Krone" einen Mehrwert erkennen, da sie klar als Luxemburgisch identifizierbar zu sind, sowohl für Privatkund*innen als auch für andere Unternehmen. Rund 85 Prozent der Unternehmen, die das Siegel anfragen, erhalten es auch – die (regelmäßig vor Ort kontrollierte) Hauptvoraussetzung ist dabei, dass der Sitz in Luxemburg liegt und hier auch unter anderem "substanzielle" Arbeitsschritte ausgeführt werden.

Clémence Higel, Gilles Reding

"Der Auslöser für diese starke Nachfrage war definitiv die Pandemie, und dieser Trend konnte sich halten, natürlich auch wegen des steigenden Wertes, der Nachhaltigkeit zugemessen wird. Die Leute schauen beim Einkauf eindeutig auf lokale und regionale Produkte. Trotzdem spielt der Preis natürlich immer noch eine ausschlaggebende Rolle", so Reding. Um über die Effekte der jüngsten außenpolitischen Entwicklungen bei der Wertschätzung des Logos zu sprechen, sei es im Moment noch zu früh.

Während das Siegel zwar "nur" ein Zeichen für die Herkunft des Produktes oder der Dienstleistung ist, und nichts direkt über die Qualität aussagt, so impliziert es dennoch laut Clémence Higel, dass es wegen der luxemburgischen Gesetzgebung unter guten Arbeitsbedingungen und nach hohen Qualitätsstandards hergestellt wurde. Gleichzeitig, "werden den Kunden kurze Kommunikationswege und Lieferwege immer wichtiger" und diese sind, der Größe des Landes geschuldet, mit dem Siegel quasi garantiert.

Während der Trend, sich auf lokale Produkte und Dienstleistungen zurückzubesinnen, seit der Pandemie beständig wächst, bleibt abzuwarten, ob die schwer belasteten EU-US-Beziehungen ihn langfristig noch stärken werden, sei es aus ideologischen oder ethischen Gründen – oder schlichtweg, weil verschiedene Produkte riskieren, durch Zölle teurer zu werden. Doch die Beteiligten beobachten die Entwicklungen mit Argusaugen und würden eine Kundschaft, die noch mehr lokal einkauft, mit offenen Armen empfangen. Noch leichter wäre das, wenn die vielen luxemburgischen Produkte auf Go European aufgelistet wären. Hier kann jede*r Alternativen hinzufügen.