Für viele der Menschen mit Essstörungen, die in der Clinique de L’Obésité im CHL in Therapie sind, wurde Essen zum Gegner – durch jahrelangen gesellschaftlichen Druck, manchmal auch ausgelöst durch traumatische Erfahrungen.
Der erste Bissen. Bewusst. Langsam. Eine erste Annäherung mit dem „Feind“. Wie schmeckt es? Weiterkauen. Nicht schlucken. Noch nicht. Im „Repas thérapeutique“ geht es darum, Essen wieder zu fühlen. Bissen um Bissen. „Unsere Mission“, sagt Françoise Münster, Psychologin im CHL, „ist es, den enormen Druck zu lindern, der von allen Seiten auf die Leute ausgeübt wird, und ihnen die Werkzeuge mit auf den Weg zu geben, wieder eine normale Beziehung zum Essen aufzubauen. Die Spirale der Schuldgefühle zu verlassen.“ Das könne sehr wohl auch einen Einfluss auf das Gewicht der Leute haben, aber es ist nicht das eigentliche Ziel der Übung. Es geht darum, Genuss wieder zu entdecken. Rund 53 Prozent der Europäer*innen sind übergewichtig oder fettleibig. Luxemburg liegt mit 48 Prozent zwar knapp unter diesem Schnitt, aber auch hier steigen die Zahlen konstant und rapide. Auch unter Schüler*innen: Bereits hier lässt sich ein verzerrtes Selbstbild vieler Schüler erkennen: 34 Prozent der Mädchen schätzen sich selbst als „zu schwer“ ein, obschon nur 16 Prozent es tatsächlich sind. Unter den Jungen ist diese Diskrepanz deutlich weniger ausgeprägt: 22 Prozent sind zu dick, 28 Prozent denken es zu sein. Aber das Bild ist deutlich: Luxemburger*innen werden zunehmend mehr und früher übergewichtig und es fällt vielen nicht leicht, ihre Gewichtslage objektiv einzuschätzen.
„Ich will den Diäten nicht die ganze Schuld daran geben, auch wenn sie definitiv ein Problem sind, weil sie ein falsches Bild davon vermitteln, wo das Problem liegt“, sagt die Psychologin. Oft liege das Problem in der Erziehung, an Ermutigungen, den Teller leer zu essen, obschon Kinder sehr im Einklang mit ihrem Energiehaushalt seien. „Zum Beispiel können Kinder bereits im Mutterleib spüren, wenn ihre Mutter aus Stress isst. Insgesamt spielt die gesamte Lebensgeschichte immer mit. In extremeren Fällen gibt es auch einen Zusammenhang zwischen den Essstörungen und traumatischen Erlebnissen, Missbrauch oder Gewalt. Dann wird Essen plötzlich Bewältigung, Kompensation und Dissoziation zugleich. Dazu kommen später dann noch Diäten, die den Kreislauf weiter bestärken.“
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Wenn Essen zum Feind wird
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