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Die geplante Rentenreform betrifft vor allem jene, die heute noch weit vom Ruhestand entfernt sind – also die junge Generation. Doch wie sehr wird sie tatsächlich in die Gestaltung dieses Umbruchs einbezogen? Gianni Di Paoli, Präsident der ACEL, fordert eine Reform mit der Jugend statt über sie hinweg.
Als Ende 2023 die Regierung ankündigte, das Rentensystem analysieren und möglicherweise reformieren zu wollen, hatten sich zu diesem Zeitpunkt vermutlich viele, besonders die junge Generation, wenig mit dem Thema beschäftigt. Bereits hier zeigt sich ein strukturelles Problem, dass wir unsere Schule abschließen, vielleicht studieren, in die Arbeitswelt eintreten und Sozialabgaben zahlen, ohne wirklich zu wissen wofür. Auch wir als ACEL mussten uns erst mit dem Rentensystem und der Ausgangslage vertraut machen: Wo stehen wir? Wohin soll es gehen? Wie kann die Jugend Teil des Prozesses sein?
Wat mengs du?
Es gibt jedoch nicht die eine junge Generation. Ihre Perspektiven variieren je nach Alter, Lebensrealität und Bildungsweg. Es eint sie aber das Bewusstsein dafür, dass das System reformiert werden muss, denn die Ausgangslage ist eindeutig. Die Prognosen der Generalinspektion der Sozialen Sicherheit (IGSS) zeichnen ein düsteres Bild, dass das Rentensystem bereits ab nächstes Jahr defizitär sein soll.
Die junge Generation ist keineswegs naiv und sich durchaus ihrer Verantwortung bewusst. Sie wissen, dass eine Reform Einschnitte mit sich bringt, dass längeres Arbeiten, höhere Beiträge oder eventuell geringere Rentenansprüche auf dem Tisch liegen. Doch das Ziel muss ein Kompromiss im Zeichen der intergenerationellen Gerechtigkeit sein. Denn wer heute einzahlt und die aktuellen Renten finanziert, stellt die gleichen Ansprüche auch an seine eigene Rente. Das heißt aber, dass jeder seinen Beitrag dazu leisten muss, damit das System langfristig finanziell auf stabilen Füßen stehen kann, nicht nur die Jugend.
Gianni Di Paoli
Wie ein zukunftsfähiges Rentensystem aussieht, darüber gehen die Meinungen auseinander, das bestätigt auch eine Umfrage der ACEL. Einig ist man sich, dass es ein sozial gerechtes und sicheres System bleiben soll. Manche fordern neue Finanzierungsmöglichkeiten, andere beschäftigen sich mit der Frage, ob sie länger arbeiten müssen oder wünschen sich Möglichkeiten, den Renteneintritt flexibler gestalten zu können. Die Mehrheit lehnt längeres Arbeiten ab, ist aber realistisch genug einzusehen, dass darüber geredet werden muss. Was weitere Finanzierungsquellen angeht, ist es wichtig, dass die Last von allen getragen wird und nicht einseitig der Jugend oder dem Staat aufgebürdet wird. Gelder aus dem Staatshaushalt, die in das Rentensystem fließen, fehlen an anderer Stelle. Die Konsequenzen treffen langfristig meist wieder gerade die zukünftigen Generationen.
Konsultation oder Stoßrichtung
Die Regierung versprach eine breite Konsultation mit Bürger*innen, Expert*innen und den Vertreter*innen des Sozialbereiches, um eine Reform mit möglichst großem Konsens auszuarbeiten. Als ACEL haben wir uns früh bemüht, die junge Generation in den Prozess einzubinden und ihre Meinung einzubringen. Wir wurden zu Gesprächen eingeladen, konnten unsere Positionen darlegen und wurden gehört.
"Am 9. Juli soll mit Gewerkschaften und Unternehmensvertreter*innen verhandelt werden. Ist dies nun der Moment, in dem Entscheidungen getroffen werden, ohne die Jugend mit einzubeziehen?"
Lange blieb unklar, was die Position der Regierung sei, dies unter dem Vorwand, dass man zuerst zuhören möchte. Als der Premierminister in seiner Rede zur Lage der Nation plötzlich eine "Stoßrichtung" vorgab, überraschte uns das dann doch. Anfang Mai wurde somit im Regierungsrat bereits etwas beschlossen, zwei Monate bevor der Schlussbericht der Konsultationsphase vorliegt.
Wir begrüßen es, dass die Studienjahre beibehalten und flexibilisiert werden, ein zentrales Element für die Attraktivität des Standortes Luxemburg, gegen den Fachkräftemangel und für die Anerkennung des Studiums, unabhängig vom Lebensabschnitt. Gleichzeitig beruht die Reform im Wesentlichen auf zwei Punkten, dem Teilausgleich des Defizits durch Gelder aus dem Staatshaushalt und dem schrittweisen Erhöhen der Versicherungsjahre. Diesbezüglich sprach der Premierminister von jährlich drei zusätzlichen Monaten ab 2030, eine Zahl, die aber wie auch andere Positionen, wenig später durch die Regierung und die entsprechenden Fraktionen wieder relativiert wurde. Hier besteht offenbar noch Klärungsbedarf.
Wer bereits in Rente ist oder kurz davorsteht, wird davon kaum betroffen sein. Somit würde die junge Generation den Hauptteil der Last tragen, was die Regierung nach eigenen Aussagen doch vermeiden wollte. Dabei spielt es keine Rolle, über welchen Zeitraum eine Reform gestreckt wird, die Jugend wird die Reform in ihrer Gänze spüren, weshalb es nur sinnvoll wäre, dass diese schnellstmöglich greifen würde.
Warum die Reform nicht überzeugt
Mitte Juni haben wir das Gespräch mit der Ministerin gesucht und unsere Bedenken dargelegt. Die Regierung will das System auf Sicht von 15 Jahren sichern. Viele haben schon heute beim Renteneintritt mehr als 40 Versicherungsjahre, eine Erhöhung würde daher kurzfristig kaum jemanden real länger arbeiten lassen. Wie also ein zunehmend defizitäres System mit einer Maßnahme, die vielleicht erst in 10 Jahren erste Wirkung zeigt, retten? Gelder aus dem Staatshaushalt allein können diese rapid steigende Lücke in der Finanzierung des Systems wohl nicht schließen, was die Reserven zunehmend schmelzen lassen würde.
Wir appellieren deshalb an die Regierung, die Reformpläne gründlich zu überdenken. Die junge Generation braucht eine Perspektive, auf die sie sich verlassen kann, die den Anspruch hat langfristig nachhaltig zu sein und bei der sie nicht das Gefühl hat, übergangen worden zu sein. Am 9. Juli soll mit Gewerkschaften und Unternehmensvertreter*innen verhandelt werden. Ist dies nun der Moment, in dem Entscheidungen getroffen werden, ohne die Jugend mit einzubeziehen?
Wir wurden gehört, das stellen wir nicht infrage. Doch zwischen "gehört werden" und "berücksichtigt werden" besteht ein Unterschied. Es reicht nicht, über die Jugend zu reden, man muss Reformen mit ihr erarbeiten, nicht für sie. Genau das macht den Unterschied.