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Am 3. Mai, dem internationalen Tag der Pressefreiheit, versammeln sich Medienschaffende des Großherzogtums vor dem Parlamentsgebäude, um für besseren Informationszugang zu demonstrieren. Wir haben mit fünf Journalist*innen darüber geredet, wieso Informationszugang nicht nur für guten Journalismus notwendig, sondern auch für eine gesunde Demokratie eine Voraussetzung ist.
Informationszugang
„Wir haben das Gefühl, dass mit den Pressestellen nur eine Barriere zwischen den Ministerien und der Presse aufgebaut wurde, um zu verhindern, dass zu viel an uns herangetragen wird.“ Claude Zeimetz (RTL) fasst den Eindruck vieler Journalist*innen in Luxemburg in einem Satz zusammen. Denn das Ringen um Informationen hat im Großherzogtum eine lange Tradition, welche die Medienschaffende des Landes nicht länger wünschen, aufrecht zu erhalten. Die von der ALJP (Association luxembourgeoise des journalistes professionnels) einberufene Demonstration am 3. Mai vor dem Parlament soll deutlich machen, dass das Versteckspiel, wie es von vielen Journalist*innen empfunden wird, ein Ende hat.
Claude Zeimetz
Immer wieder lassen sich in der Historie der Informationszugangs-Debatte angedeutete Versprechen nach mehr Transparenz vernehmen, die in der Praxis jedoch im Sand verlaufen. Bereits 2006 wurde den Medien von der amtierenden Juncker-Regierung in der Debatte über die Reform des Pressegesetztes versprochen, das Informationszugangsrecht in dieses einfließen zu lassen. Es blieb beim Versprechen. 2010 wurde das Pressegesetz erlassen, ohne den Informationszugang zu erwähnen. Man werde ein separates Gesetz dazu verfassen, hieß es damals von Seiten der Regierung, nach drei Jahren Debatte. Passiert ist das bis heute nicht. Die Presse sei damit „über den Tisch gezogen worden“ meinte Roger Infalt, der damalige Präsident des Presserates gegenüber Xavier Bettel. Stattdessen sei die Jagd nach Informationen ein ständiges Katz-und-Mausspiel geblieben, wie Véronique Poujol (Reporter) es nennt: „Das uns das Leben unglaublich schwer macht.“ Mit den Dokumenten, die Medienschaffende von Gerichten erhalten sei quasi nichts anzufangen. Sie enthalten keine Namen, keine Zahlen, nichts. Selbst mit erfahrenen Augen könne sie diese kaum entschlüsseln, geschweige als Basis für einen seriösen Artikel verwenden. Dies bedeute monatelange zusätzliche Arbeit. „Es wird Zeit, dass die Leute in den Medien endlich wie erwachsene Menschen behandelt werden und man uns die Brutto-Informationen zukommen lässt, die wir brauchen, um unsere Arbeit zu machen.“
Véronique Poujol
Auch der 2015 deponierte Gesetzesentwurf zum eingeschränkten „Informationszugangsgesetz für Bürger“ – ohne Erwähnung spezieller Regelungen für Medien – erlaube der Presse nicht, ihre Arbeit angemessen zu machen, wie der Presserat in einem Gutachten bezüglich des Textes schrieb. Also solle der Presserat und die Journalistenvereinigungen doch selbst einen Gesetzesentwurf einreichen, hieß es nach einem Gespräch im Jahr 2017 zwischen ersteren und der Medienkommission der Abgeordnetenkammer. Dies passierte. Der Text, den das Parlament laut ALJP „eins zu eins“ hätte übernehmen können, wurde Xavier Bettel vorgelegt… und ignoriert. Wieso dieser Widerstand besteht, kann sich Pierre Sorlut (Lëtzebuerger Land) nicht erklären: „Sie müssen aufhören, Angst vor ihrem eigenen Schatten zu haben. Ich verstehe nicht, warum sie nicht kommunizieren wollen. Es wäre so viel einfacher für die Ministerien, wenn sie transparenter wären: ‚Basierend auf diesen Informationen haben wir diese Entscheidungen getroffen. Hier.‘ Aber das passiert nicht. Es scheint eine permanente Angst zu geben.“
Angst vor dem eigenen Schatten
Die legislative Zurückhaltung der vergangenen Jahre wurde gleichzeitig um nach innen gerichtete Barrieren ergänzt. 2012 verfasste Jean Asselborn (LSAP) ein Schreiben, in dem er die Beamten seines Ministeriums anwies, Informationen nur nach Absprache und ausdrücklicher Genehmigung durch den Minister an die Presse weiterzugeben. Alles andere sei ein Bruch des Dienstgeheimnisses. Es sollte nicht lange dauern, bis der amtierende Premierminister Xavier Bettel (DP) dieses Schreiben 2016 als Blaupause für die unter Journalist*innen als „Circulaire Bettel“ bekannte Memo verwendete. Das Rundschreiben richtete sich an alle Staatsbeamten: Sie hätten sich in Zukunft bei Presse-Anfragen sofort an den*die Pressesprecher*in zu wenden. Selbst zu antworten sei unerwünscht, außer nach expliziter Absprache mit dem Dienstchef.
Pierre Sorlut
Während laut allen Gesprächspartner*innen die Bereitschaft zu Antworten von Ministerium zu Ministerium abhängt – wie auch ihr Tonfall– ist die Zurückhaltung unter Beamten allgemein groß, sagt Michèle Gantenbein (Wort). Es sei nicht nur ein institutionelles Problem, sondern gefühlt oft auch ein Problem individueller Willkür. „Natürlich kann man nicht alle in einen Topf schmeißen, aber es gibt definitiv einige hohe Beamte, die glauben es sei unter ihrer Würde, der Presse Auskunft zu geben. Das ist in verschiedenen Köpfen schon stark verankert. Beamter sein ist kein Selbstzweck, sie müssen sich bewusst sein, dass sie der Öffentlichkeit Rechenschaft schuldig sind.“ Den „direkten Weg“, also über persönliche Kontakte reibungsloser oder überhaupt an Informationen zu kommen, oder „zu“ gute Beziehungen zu Pressesprecher*innen zu hegen, sei höchstproblematisch. Zu groß sei die Chance, zum unwissentlichen Propagandisten zu werden. „On n’est pas de petits soldats“, bestätigt Poujol. Entweder es geht über den offiziellen Weg oder gar nicht.
Michèle Gantenbein
Bei verschiedenen Verwaltungen, meint Claude Zeimetz, habe man jedoch mittlerweile fast aufgegeben, nach Auskunft zu fragen. Vor allem bei der Polizei, aber auch unter Lehrpersonal, wo –wenn überhaupt– höchstens die Gewerkschaften bereit seien, ihren Kopf aus dem Fenster zu strecken. Exemplarisch für den Respekt, den viele Ministerien vor der Arbeit der Medienschaffenden haben, sei das Herausschneiden der Fragen der Journalist*innen in den Youtube-Uploads der Corona-Pressekonferenzen. Das unter dem Vorwand, es sei „viel zusätzliche Arbeit“, diese Hochzuladen und mit Untertiteln zu versehen. Eine ironisch transparente Ausrede.
Zu systematischen und individuellen Hürden komme, wie Christian Muller (Tageblatt) beschreibt, ein großer Mangel an Datenerhebung. Manchmal stelle sich die Frage, wie manche Institutionen überhaupt funktionieren können, wenn sie scheinbar nicht die grundlegendsten Informationen besitzen, die ihre Gebiete betreffen. „Ich wollte vom Firmenregister wissen, wie viele Firmen es gib, wie diese sich entwickeln und in welchen Sektoren sie sind. Und vom Firmenregister habe ich die Antwort bekommen: ‚Solche Statistiken haben wir nicht‘.“
Christan Muller
Reporter ohne Grenzen hat Luxemburg im Jahr 2021 auf Platz 20 im Pressefreiheits-Index eingeordnet. Dies bedeutet einen Fall um drei Plätze, der einen bestehenden Trend der vergangenen Jahre bestätigt. 2013 noch, war das Großherzogtum auf Platz vier. Problematisch seien heute „die zögerliche Herausgabe von Informationen durch die Gerichte und Ministerien, sowie die Tatsache, dass die Interessen der Medien und die Wirtschaft und Politik in dem kleinen Land häufig aufeinanderprallen“, also genau die Tendenzen, gegen die heute am internaionalen Tag der Pressefreiheit unter dem Banner „Informatiounszougang elo!“ demonstriert wird.
Wir haben uns mit Pierre Sorlut des Lëtzebuerger Land, Michèle Gantenbein des Luxemburger Wort, Véronique Poujol von Reporter, Claude Zeimetz vom RTL und Christian Muller des Tageblatt darüber unterhalten, welche Erfahrungen sie im Alltag machen, wenn sie unbequemere Fragen stellen – oder auch nur grundlegende Informationen anfragen.