Stresstest für die amerikanische Demokratie
Von Misch Pautsch, Lex Kleren Für Originaltext auf Englisch umschaltenWährend die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA weit über die eigenen Grenzen hinaus Auswirkungen auf die Welt haben werden, wird das "große amerikanische demokratische Experiment" einem Stresstest unterzogen. Das Attentat auf Donald Trump ist nur das jüngste Symptom einer schleichenden Veränderung der politischen Landschaft in den USA.
Schon vor dem Attentat auf den Kandidaten Donald Trump wurden die Schlagzeilen in den USA von politischer Gewalt, umstrittenen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs zur absoluten Immunität des Präsidenten, Fragen zur Eignung von Präsident Joe Biden und "Projekt 2025", einem Plan für eine Regierungsübernahme durch fundamentalistische Konservative, beherrscht. All dies spielt sich vor dem Hintergrund der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen ab, die - unabhängig vom Sieger - weltweite Auswirkungen haben werden. Um die Entwicklungen besser einzuordnen, haben wir mit Professor Robert Harmsen gesprochen, Dekan der Fakultät für Geistes-, Erziehungs- und Sozialwissenschaften an der Universität Luxemburg, Professor für Politikwissenschaften und derzeitiger Inhaber des UNESCO-Lehrstuhls für Menschenrechte.
Das Interview wurde am 11. Juli geführt, drei Tage vor dem Attentat auf Donald Trump. Die Fragen zu dieser neuen Entwicklung wurden schriftlich eingereicht und beantwortet.
Lëtzebuerger Journal: Betrachtet man Vorfälle wie das Attentat auf Paul Pelosi, das Attentat auf Steve Scalise, den Anschlag auf das Kapitol am 6. Januar und nun das Attentat auf Donald Trump, so scheint politische Gewalt, die oft als "stochastischer Terrorismus" bezeichnet wird, eine ernüchternd häufige Realität in den USA zu sein. Wird diese jüngste Eskalation die Gräben vertiefen oder als Weckruf dienen, um sowohl die Rhetorik als auch die damit verbundenen Aktionen von Einzelpersonen und Bewegungen zu mäßigen?
Prof. Robert Harmsen: Ich denke, dass die vorherrschende Reaktion bisher der Versuch war, den Tenor der politischen Debatte zu beruhigen, mit wiederholten Aufrufen zur "nationalen Einheit", wie auch immer definiert. Das ist eindeutig die Linie von Biden und Trump, für die eine solche staatsmännische Haltung nicht nur einem offensichtlichen nationalen Interesse entspricht, sondern auch offensichtliche politische Vorteile mit sich bringt. Trumps Rede auf dem Parteitag der Republikaner in Milwaukee am Donnerstagabend wird in dieser Hinsicht ein echter Lackmustest sein.
Es sind jedoch auch einige Stimmen zu vernehmen, die sich nicht einig sind. Vor allem auf der konservativen Rechten (sowohl in den USA als auch in Europa) wurde versucht, das Attentat zu einem direkten parteipolitischen Vorteil zu nutzen. Eines der bemerkenswertesten Beispiele dafür war Senator J.D. Vance vor seiner Nominierung als Trumps Vizepräsident. In dieser Hinsicht ist die Wahl von Vance durch Trump selbst ein klares Signal für eine Kampagne, die in erster Linie die Basis ansprechen und sich nicht der Mitte zuwenden wird.
Ganz allgemein würde ich, obwohl Vorhersagen immer riskant sind, nicht mit einem Wiederaufflammen der Gewalt während des Wahlkampfes rechnen. Ich würde mir mehr Sorgen über Formen der (mehr oder weniger gewaltsamen) Anfechtung der Ergebnisse im November machen, die nicht ausgeschlossen werden können.
Welche Auswirkungen wird das Attentat Ihrer Meinung nach auf die Wahlkampagnen und die Wahlen selbst haben, wenn überhaupt?
Wie bereits erwähnt, werden die Ereignisse die Wahlkampfdiskussionen wahrscheinlich etwas abschwächen, aber die grundsätzlichen Botschaften auf beiden Seiten nicht verändern. Ich glaube auch nicht, dass dies einen großen Einfluss auf die Ergebnisse im November haben wird. Die Wählerschaft ist stark polarisiert, und die Wählerpräferenzen sind weitgehend festgelegt. Zwar hat das Attentat zweifellos persönliche Sympathien für Trump geweckt und eine bereits stark mobilisierte Basis noch weiter mobilisiert, doch wird es wahrscheinlich nicht viele Stimmen verändern.
Die eigentliche Frage bleibt vielmehr, dass Biden und die Demokraten nun deutlich zurückliegen. Trump hat in den Umfragen sowohl landesweit als auch in den wichtigsten umkämpften Bundesstaaten einen immer noch relativ kleinen, aber konstanten Vorsprung. Es wird immer schwieriger zu erkennen, wie Biden diese Lücke schließen könnte oder wie er ersetzt werden könnte (eine Diskussion, die in den letzten Tagen ebenfalls abgeflaut ist). Wenn die Demokraten keinen Weg finden, diese Dynamik umzukehren, werden sie die Präsidentschaft verlieren – sicherlich im Wahlmännerkollegium, aber möglicherweise auch in der Volksabstimmung (mit Auswirkungen auf eine große Zahl von Wahlgängen im Repräsentantenhaus und im Senat).
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