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Sie sind jung, sie sind motiviert und sie sind bereit. Bereit, erneut auf die Straßen Luxemburgs zu gehen und ihren Forderungen Gehör zu verschaffen. Das Journal war im Vorfeld bei den Planungen des Klimastreiks am 24. September dabei und hat sich mit zwei Mitgliedern von Youth for Climate Luxembourg unterhalten.
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Dienstag, der 31. August, kurz vor 17.30 Uhr, Pfaffenthal. Wie jede Woche versammelt sich die Jugendbewegung Youth for Climate Luxembourg (YFCL) im Oekozenter, um mit ihrer Arbeit voranzukommen. Nach einer Periode, während der es eher ruhiger war, aber die Truppe sich weiterhin mindestens einmal pro Woche gesehen hat, steht ein signifikanter Punkt auf der heutigen Tagesordnung: der Klimastreik Ende September.
Anspannung ja, gestresst nein
Begrüßt werden wir von Zohra, die schon zu Beginn der Bewegung recht schnell Teil des „inner circle“ wurde, wie sie dem Lëtzebuerger Journal bereits letzten Mai erzählt hat. Mit dabei hat sie den Beagle-Hund ihrer Freundin, der die nach und nach eintreffenden Mitglieder begrüßt. Von Anfang an fällt auf, dass die Gruppe einen sehr freundschaftlichen Umgang miteinander pflegt und als Außenstehende*r bekommt man nicht den Eindruck, dass in wenigen Minuten ein wichtiges Meeting ansteht. Gestresst scheint niemand zu sein, eine gewisse Anspannung ist dennoch zu spüren. Verständlich, denn auch wenn sie nicht zum ersten Mal einen Streik planen, erfordert ein entsprechendes Event Vorbereitung, Organisation und ein hohes Level an Stessresilienz.
Das Meeting, durch das Zohra die Gruppe von 13 an diesem Abend anwesenden Personen führt, beginnt. Versammlungen im Verein oder Meetings auf der Arbeit – solche Treffen laufen traditionell nach dem immer gleichen Schema ab: Was steht an, was wurde bereits getan, was muss noch geplant werden, wer kümmert sich um was. Bei Youth for Climate Luxembourg ist das anders. Eine der ersten Fragen lautet: „Wie fühlt ihr euch heute?“ Es folgt der kurze Austausch durch eine Vorstellungsrunde. Nicht nur Namen werden genannt, sondern auch die Pronomen, mit denen jede*r Anwesende*r angesprochen werden möchte.
Wöchentliches Meeting in den Räumen des Oekozenter in Pfaffenthal
Anschließend werden die einzelnen Punkte einer sehr langen Liste durchgegangen, denn ein Streik erfordert mehr als lautstarke Jugendliche, die durch die Straßen der Hauptstadt ziehen: Abfallentsorgung, Logistik, Versicherung, Gewährleistung der Sicherheit aller Teilnehmenden, Erste-Hilfe-Team, Person, die mit Megafon und Banner die Masse motiviert und antreibt (auch „entertainer“ oder „energizer“ genannt), Berichterstattung des Streiks über die Social-Media-Kanäle, Fotografen, Flyer. Aufgrund der Pandemie ist ein weiterer Punkt auf der Liste hinzugekommen. „Wir müssen sicherstellen, dass sich an die Hygienevorschriften gehalten wird“, meint Sarah, ebenfalls Mitglied des Kollektivs, während der Gesprächsrunde. Auf dem gesamten Event gilt eine konstante Maskenpflicht.
„Eis steet d’Waasser bis zum Hals“
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Unter dem Motto „Eis steet d’Waasser bis zum Hals“ (deutsch: „Uns steht das Wasser bis zum Hals“) organisiert Youth for Climate Luxembourg am 24. September einen landesweiten Schulstreik. Dieser beginnt gegen 10 Uhr am Hauptbahnhof, um Richtung Oberstadt und Pfaffenthaler Aufzug zu marschieren. Am 24. September ist ebenfalls Weltkrimastreiktag, der Streik soll also auch ein Appell an die Politik sein, „endlich ihrer Verantwortung gerecht zu werden, weitere Katastrophen und Todesfälle zu verhindern und unserer zukünftigen Generation eine lebenswerte Zukunft zu hinterlassen“, so die Jugendbewegung in ihrer Pressemitteilung vom 16. Mai. Zusätzlich werden die rezenten Überschwemmungen in Luxemburg, die Hitzewelle in Kanada, die verheerenden Brände in Griechenland, Russland oder in der Türkei genannt.
„Die Frage ist, wie viele Menschen und Tiere noch leiden und sterben müssen, bis unsere Regierung endlich merkt, dass sich wirklich etwas ändern muss. Wann versteht die Politik, dass unsere Forderungen kein Wunschdenken sind, sondern die einzige Art und Weise, uns vor den tödlichen Folgen des Klimawandels zu retten.“ Aber nicht nur in Luxemburg wird diesem Unmut Luft gemacht. An besagtem Freitag wird weltweit gestreikt, allein in Deutschland sind laut der Klimabewegung Fridays for Future über 200 Aktionen und Demonstrationen geplant.
Youth for Climate Luxembourg postet unter anderem auf Instagram (@youthforclimatelux) alle wichtigen Updates bezüglich des Streiks.
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Jede*r Schüler*in darf am Streik teilnehmen, ohne dafür mit einem "non-excusé" rechnen zu müssen, wie Youth for Climate Luxembourg zwei Tage vor dem Streik in einer Pressemitteilung und nach Gesprächen mit dem Bildungsministerium bekannt gegeben haben. Im Sekretariat der jeweiligen Schule werden Formulare zur Verfügung gestellt, die bei minderjährigen Schüler*innen von den Eltern unterschrieben werden müssen, volljährige Schüler*innen können diese selbst ausfüllen und unterzeichnen. Das Schreiben muss bis spätestens 9.00 Uhr am Streiktag abgegeben werden. Wird sich nicht an diese Modalität gehalten und trotzdem am Streik teilgenommen, wird das Fernbleiben am restlichen Unterricht nicht entschuldigt. Schüler*innen aus hauptstädtischen Lyzeen können diese nach der zweiten Schulstunde verlassen, alle restlichen können sich nach der ersten Stunde in Richtung Hauptbahnhof begeben.
Das Virus und die damit zusammenhängenden Beschränkungen sind auch in anderen Bereichen eine große Herausforderung. Eigentlich waren Foodtrucks geplant, nach einer Diskussion, der Abwägung aller Pro- und Kontra-Argumente und anschließender Abstimmung beschließt die Gruppe die Idee „vor allem wegen Corona“ verwerfen zu müssen – zu viele Hindernisse lautet der Konsens. Bei allem, was geplant werden muss, sind sie sich ihrer Verantwortung bewusst und möchten kein Risiko eingehen. Der Schutz aller Teilnehmenden, wie auch der Personen, die fester Bestandteil der YFCL-Bewegung sind, hat oberste Priorität. Aus diesem Grund wird für den 24. September ein Deeskalationsteam zusammengestellt.
Planen, planen, planen
Nach den einzelnen Gesprächen und Abstimmungen – Zustimmung wird mit der entsprechenden Geste der Gebärdensprache signalisiert – muss eine weitere Aufgabe abgehakt werden. „Wir müssen Minister Meisch oder vielleicht auch den Schuldirektionen schreiben“, meldet sich Jerry zu Wort. Es geht darum, ob die Schüler*innen, die am Streik teilnehmen, offiziell entschuldigt werden oder mit einem „non-excusé“ rechnen müssen. Ohnehin müsse im Vorfeld ein Meeting mit dem Minister stattfinden, um alle Details zu klären, so Zohra: „Ich möchte nicht, dass erneut Mitglieder von uns angerufen werden.“
Dass die Gruppe die Streiks nur während der Schulzeit organisieren würde, um dann nicht am Unterricht teilnehmen zu müssen, ist ein anhaltender Kommentar, der unter fast jedem Artikel die Gruppe, die Streiks oder sonstige Klimaaktionen betreffend, zu finden ist. „Wir geben unser fundamentales Recht auf Bildung auf, um streiken zu gehen. Das ist keine Entscheidung, die wir auf die leichte Schulter nehmen“, erklärt Jonny bei einem persönlicheren Gespräch nach dem Meeting der Gruppe. Natürlich gebe es Ausnahmen, „wenn du jedoch nur teilnimmst, um den Unterricht zu schwänzen, ist dies keine intelligente Entscheidung.“ Dem stimmt Olga zu und ergänzt: „Solche Aussagen sind eine Taktik, um von dem abzulenken, was wir wirklich sagen.“
Olga ist 19 Jahre jung, hat rezent ihre Abschlussprüfungen erfolgreich bestanden und legt eine einjährige Auszeit ein, um sich darüber bewusst zu werden, was sie später machen möchte. Sie ist seit dem ersten Streik, der am 15. März 2019 organisiert wurde, dabei. Der 16-jährige Jonny trat vor zwei Jahren bei und besucht aktuell die Europaschule in Mamer. Beide sind solche Negativkommentare mittlerweile gewohnt, „wenn man jedoch so viel Kraft und Arbeit in das Ganze steckt, ist es frustrierend“, so Olga. Hasskommentare sind die weniger erfreulichen Momente, die mit ihrem Engagement einhergehen. „Nach dem Streik lese ich mir alle Artikel durch, die online gehen. Ich muss dann nur ein wenig zu weit im Text scrollen und sehe diese negativen Aussagen.“
Eine Art Ekstase
Zusätzlich sei es traurig mit anzusehen, wie das Energie-Level einiger Aktivist*innen mit der Zeit abnehmen würde. „Es kann sehr stressig werden. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass man teilweise von einem Aktivismus-Burn-Out sprechen kann. Sie geben und geben und geben und bekommen nichts zurück.“ Manchmal müsse man sich selbst eingestehen, wenn eine Pause nötig ist. Als Aktivist*in würde diese ständige Auseinandersetzung mit der Thematik und dem Wissen der schlimmen Folgen von Klimawandel und Erderwärmung Angst machen, meint Jonny. Trotz dieser Sorgen, aller Kritik und negativen Reaktionen seien es andere Momente, die überwiegen. „Das Gefühl, bei einem Streik auf der Straße zu sein, ist wie eine Art Ekstase“, beschreibt er diesen Moment aus seiner Sicht. „Du siehst die vielen glücklichen Menschen um dich.“ Menschen, die wahrgenommen werden. „Um ehrlich zu sein, ist es unglaublich zu sehen, wie am Ende alle Puzzleteile ineinanderpassen.“
„Die Botschaft war deutlich. Das Land möchte nicht, dass sich junge Menschen miteinbringen.“
Olga über das Resultat des Referendums von 2015
Für beide seien es vor allem die kleinen Momente innerhalb der Gruppe, die sie glücklich machen. „Wir sind Freunde. Wie eine kleine Familie, die über die letzten Jahre zusammengewachsen ist.“ Sie würden sich nicht nur für ihre wöchentlichen Meetings sehen, gemeinsame Essen nach ihren Treffen seien auch keine Seltenheit. Sich bei einer Klimabewegung zu engagieren ist zudem mit großen Herausforderungen verbunden. Die wenigsten unter ihnen seien im Vorfeld mit den verschiedenen administrativen Prozessen vertraut gewesen, denn die Streiks, Veranstaltungen und sonstigen Aktionen müssen von offizieller Seite genehmigt werden. „Plötzlich musst du Anträge und Formulare ausfüllen“, meint Olga „und E-Mails an Organisationen und Vereine schreiben“, ergänzt Jonny. Er sehe diese Arbeit als Lernmöglichkeit, um sich als Person weiterzuentwickeln. „Du wirst sehr schnell selbstständig und lernst ungemein dazu.“
Jonny, sei zwei Jahren bei Youth for Climate Luxembourg dabei
Für die beiden Jugendlichen sei dies der beste Weg, um ihrer Stimme Gehör zu verschaffen und damit etwas in der Welt zu verändern. Sie sind jedoch auch der Meinung, dass sich die Jugend nicht genügend mit dem Thema Klimaschutz befasst. „Ich denke aber, dass dies nicht ihre Schuld ist“, entgegnet Olga. „In der Schule werden die Auswirkungen des Klimawandels, der Erderwärmung und der Klimaschutz viel zu wenig thematisiert und falls doch, dann mit fehlender Dringlichkeit. Als sei es etwas rein Wissenschaftliches und hätte nichts mit Politik zu tun.“ In diesem Kontext habe das Referendum von 2015 eine erhebliche Rolle gespielt. „Die Botschaft war deutlich. Das Land möchte nicht, dass sich junge Menschen miteinbringen. Dass es an der Motivation hapert, ist also wenig verwunderlich.“
Sie meint, dass sich die generelle Haltung der Politik ändern müsse. „Die Regierung redet immer wieder vom gesellschaftlichen Konsens, der vorhanden sein muss, damit die Politik ambitionierter sein kann. „Ich befürworte eine verstärkte Demokratie und Bürgerteilnahme, aber während der Pandemie war dies auch nicht der Fall – berechtigt. Wir hatten eine Krise, die unser Leben bedroht hat. Deshalb mussten schnell Entscheidungen getroffen werden.“ Jonny ergänzt, dass „wir während der Pandemie realisiert haben, dass beide Krisen (Gesundheits- und Klimakrise, d. Red.) gleich wichtig sind, aber die Antwort der Regierung war in beiden Fällen sehr unterschiedlich“.
Olga, seit 2019 Mitglied bei der Jugend- und Klimabewegung
Seit die Jugendbewegung 2019 das erste Mal auf der Straße war, habe sich einiges geändert. Schaut man sich jedoch den rezenten Bericht des Weltklimarats („Intergovernmental Panel on Climate Change“) an, würden die gesetzten Luxemburger Klimaziele nicht reichen, obwohl sie mittlerweile ehrgeiziger seien. Auch nach den rezenten Überschwemmungen in einigen Teilen des Landes sei Jonny nicht überzeugt, dass die Menschen verstanden haben, in welcher Situation wir uns befinden, differenziert jedoch. „Die Schuld wird dem einzelnen Individuum zugewiesen. Einige möchten dies verdrängen oder sagen sich: ‚Ich mache mein Bestes, ich kann nicht noch mehr tun.‘ Dass aber 100 Unternehmen für gut 70 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich sind, wird nicht in den Schulen unterrichtet. Weil dies möglicherweise zu politisch ist.“ Er betont aber, dass diese Statistik erst rezent veröffentlicht wurde.
„Wir geben unser fundamentales Recht auf Bildung auf, um streiken zu gehen. Das ist keine Entscheidung, die wir auf die leichte Schulter nehmen.“
Jonny über Kritik, dass Streiks nur dem Schulschwänzen dienen würden
Ein Moment sei für ihn besonders frustrierend. „Bei Gesprächen mit Politikern, wenn diese uns in die Augen schauen und meinen: ‚Ja, wir tun genug.‘ Nein, tut ihr nicht. Die Wissenschaft sagt etwas anderes. Wir haben Klimaexperten mit jahrelanger Erfahrung und auf diese muss endlich gehört werden.“ Die Jugend und nächsten Generationen seien diejenigen, die betroffen sein werden und den Status quo zu bewahren sei ein „entmutigender Gedanke“. Youth for Climate Luxembourg hat diverse Forderungen, unter anderem Klimaneutralität bis 2030, die Jugendlichen seien jedoch keine Expert*innen, welche gezielte Maßnahmen vorschlagen können. „Die konkreten Pläne müssen von der Politik kommen.“ Auch wenn die Entscheidung, Maßnahmen zu ergreifen, nicht in ihren Händen liegt, werden sie nicht aufhören und sich weiterhin Gehör verschaffen. Die jungen Klimaaktivist*innen werden weiter auf die Straßen gehen, weiter streiken, weiter fordern, sich weiter einsetzen. Bis auch die letzte Person mitbekommen hat, dass es ihnen nicht um einige freie Schulstunden geht.