Nachrichtenvermeidung - eine Gefahr für die Demokratie

Von Misch Pautsch Für Originaltext auf Englisch umschalten

Mit dem 24-Stunden-Nachrichtenzyklus Schritt zu halten, ist oft mental und emotional anstrengend. Während das für manche Menschen ohnehin nie eine Option war, wenden sich andere bewusst ab: Sie werden zu Nachrichtenvermeider*innen. Um dieses Phänomen zu verstehen, haben wir mit der Expertin für Nachrichtenvermeidung, Dominika Betakova, gesprochen.

Wenig ist so dazu geeignet, Ihre Stimmung zu verderben, wie durchgehend den 24/7-Nachrichtenzyklus zu verfolgen. Was einst darauf beschränkt war, die Zeitung zu durchblättern, für einige Minuten das Radio einzuschalten oder die Abendnachrichten zu schauen, hat sich in einen ständigen Angriff von Eilmeldungsbenachrichtigungen verwandelt. Oft decken sie immer wieder die gleichen Themen ab, verdoppeln die Negativität, um den Leser „gebunden“ zu halten, auf Kosten eines Gefühls von Überwältigung und Machtlosigkeit. Aber das Thema Nachrichtenvermeidung hält mehr bereit, wie uns Dominika Betakova in einem schriftlichen Interview erzählt. Derzeit ist sie Doktorandin an der Universität Wien und spezialisiert sich auf Nachrichtenvermeidung und politische Kommunikation. Sie spricht mit dem Lëtzebuerger Journal über den sozialen und wirtschaftlichen Hintergrund des Phänomens, die Bedeutung des Geschlechts und die Rolle der Nachrichten als Torwächter für gesellschaftlichen Wandel. Zu guter Letzt sprechen wir über Versuche, die Menschen, die das Gefühl haben, dass die Nachrichten „einfach nichts für sie sind“, wieder einzubeziehen.

Lëtzebuerger Journal: Wie definieren Sie Nachrichtenvermeidung, und wie weit ist sie verbreitet? Gab es im Laufe der Zeit bemerkenswerte Veränderungen?

Dominika Betakova: Aus der Forschung wissen wir, dass Nachrichtenvermeidung ein vielschichtiges Phänomen ist. Zum einen gibt es die bewusste Vermeidung von Nachrichten, d. h. eine bewusste Entscheidung einer Person, z. B. den Fernseher auszuschalten, wenn die Nachrichten laufen, oder Freunden nicht mehr zu folgen, die Nachrichten online teilen. Die zweite Form der Nachrichtenvermeidung wird von einigen Forschern als Nichtkonsum von Nachrichten oder als geringer Nachrichtenkonsum bezeichnet. Dies könnte das Ergebnis einer bewussten Entscheidung sein oder auf bestimmte Vorlieben wie Gewohnheiten, Zeitmangel oder strukturelle Gründe zurückzuführen sein. Wir kennen auch andere Dimensionen der Nachrichtenvermeidung – zum Beispiel die situationsbedingte oder vorübergehende Nachrichtenvermeidung. Diese beiden sind jedoch die, auf die sich die aktuelle Forschung am häufigsten konzentriert.

Eine Umfrage, die wir im Sommer 2021 in Österreich durchgeführt haben und die im Jänner 2024 in Mass Communication & Society veröffentlicht wird, hat gezeigt, dass etwa 15 Prozent der Österreicher als hochintentionale Nachrichtenvermeider eingestuft werden können. Ähnlich viele, nämlich 16 Prozent der Österreicher, konsumieren zu wenig Nachrichten. Interessanterweise scheint es sich dabei nicht um die gleichen Personengruppen zu handeln.

Das mag nicht hoch erscheinen, aber wir sprechen hier von Menschen, die sich an den Enden des Spektrums befinden. Wenn wir uns ansehen, wie viele Personen angaben, dass sie die Nachrichten zumindest manchmal meiden, kommen wir auf etwa 70 Prozent. Dies deutet auf eine allgemeine Unzufriedenheit mit einigen Aspekten der Nachrichtenberichterstattung hin.

Die weltweiten Zahlen unterscheiden sich sehr stark, je nachdem, was gemessen wird. Ein jährlich veröffentlichter Digital News Report des Reuters Institute zeigt, dass in 46 untersuchten Ländern 36 Prozent der Befragten im Jahr 2023 die Nachrichten manchmal oder oft absichtlich meiden, das sind sieben Prozentpunkte mehr als 2017. Dem Bericht zufolge werden 2022 die höchsten Zahlen in Brasilien (54 Prozent) und die niedrigsten in Japan (14 Prozent) verzeichnet.

Was ist die Motivation für dieses Verhalten? Ist es eine aktive Entscheidung?

Das hängt davon ab, über welche Art von Nachrichtenvermeidung wir sprechen. Wenn wir uns die Ergebnisse des Digital News Report 2022 über absichtliche Nachrichtenvermeidung ansehen, geben die meisten Menschen in 46 Ländern, die aussagten, dass sie manchmal oder oft Nachrichten meiden, an, dass es zu viel Politik und Covid-19 gibt, dass sich Nachrichten negativ auf ihre Stimmung auswirken oder dass es einfach zu viele Nachrichten im Allgemeinen gibt. Andere geben an, dass die Nachrichten nicht vertrauenswürdig oder voreingenommen sind oder dass die Beschäftigung mit den Nachrichten zu Streit mit anderen führt. Schließlich sind einige der Meinung, dass die Menschen nichts mit den Informationen aus den Nachrichten anfangen können und sie sich hilflos fühlen.

Du willst mehr? Hol dir den Zugang.

  • Jahresabo

    185,00 €
    /Jahr
  • Monatsabo

    18,50 €
    /Monat
  • Zukunftsabo für Abonnent*innen im Alter von unter 26 Jahren

    120,00 €
    /Jahr

Du hast bereits ein Konto?

Einloggen