Im vergessenen Teil des Autismus-Spektrums

Von Laura TomassiniLex Kleren

Sie sind die meist ruhigen in der Klasse, jene die im Menschengewühl Panik kriegen und soziale Interaktion meiden: Menschen, die mit dem Asperger-Syndrom diagnostiziert werden, haben es im Alltag oft schwer, denn sie sind anders als andere. Dass besonders weibliche Betroffene unter den Konsequenzen des Nicht-Wissens leiden, liegt vor allem an der Unbekanntheit der Autismus-Variante.

„Aspergirls“, so bezeichnet die amerikanische Autorin Rudy Simone Mädchen und Frauen mit Asperger. Das Syndrom ist eine von vielen Varianten des Autismus und kommt offiziell bei einer weiblichen auf vier männlichen Betroffenen vor, die Dunkelziffer liegt jedoch wahrscheinlich viel höher. Menschen, die daran leiden, leben im sogenannten Spektrum ihrer Eigenart. Wobei „daran leiden“ eigentlich die falsche Aussage ist. Vielmehr leiden Betroffene am Informationsmangel ihres Umfeldes und den daraus resultierenden Reaktionen auf ihre vermeintlich „bizarre“ Person. Sensorische Probleme, Schwierigkeiten im Schul- und Berufsalltag sowie bei der Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen, Depressionen: All dies sind Hürden, mit denen Menschen mit Asperger tagtäglich zu kämpfen haben.

Die Herausforderungen in einer Welt, in der Chaos statt Ordnung herrscht und Reizüberflutungen die besonnene Stille überwiegen, seien für andere besonders bei weiblichen Betroffenen meist nicht sichtbar, für diese jedoch mehr als real, schreibt Simone im Vorspann ihres Aspergirls-Buches. Dass es überhaupt einen Unterschied zwischen der Ausprägung des Asperger-Syndroms bei Männern und Frauen gibt, ist bis dato in der breiten Gesellschaft eher unbekannt. „Viele denken, dass nur Männer Asperger haben, da sie es nicht so gut verstecken können wie wir“, erklärt Marielle. Die 41-Jährige wurde erst 2014 mit dem Syndrom diagnostiziert, bis dahin war ihr Leben gekennzeichnet von Versteck-Spiel und Stresssituationen.

Ein permanentes Versteckspiel

„Ich habe mich bereits in meiner Kindheit anders gefühlt als Gleichaltrige, kannte aber nie den Grund dafür“, so Marielle. Erst im Erwachsenenalter und durch einen Arbeitskollegen erfuhr die Luxemburgerin von der Möglichkeit, dass ihr „besonderes“ Verhalten möglicherweise auf Autismus zurückzuführen wäre. Ein erster Test fiel eher vage aus, erst beim zweiten Anlauf wurde Marielle mitgeteilt: „Sie haben eine Asperger-Störung“. Dass die 41-Jährige heute im Lëtzebuerger Journal über sich und ihr Syndrom reden möchte, ist keine Selbstverständlichkeit, denn trotz Diagnose geht Marielle extremst vorsichtig mit der Preisgabe ihres Wissens um. „Ich habe das Ganze bis jetzt geheim gehalten und nur zwei Handvoll Menschen wissen überhaupt, dass ich Asperger habe“, verrät sie.

Das Resultat: Zahlreiche Zusatz-Krankheitsbilder, ausgelöst durch psychischen Druck und Stress, sowie ein Leben im Zurückgezogenen. Freundschaften hat Marielle nur wenige und auch im Familienkreis ist das Verständnis für ihre Person begrenzt. „Freunde kommen und gehen, denn die meisten Menschen verstehen einen gar nicht oder falsch“, sagt die Frau mit Autismus. Über die Jahre habe sie Tarnstrategien entwickelt und gelernt, das Verhalten anderer zu kopieren, um so selbst nicht als anders aufzufallen – etwas, das fast alle weiblichen Betroffenen gemeinsam haben. „Wir sind eigentlich gar nicht wie wir wirklich sind, sondern so wie es von anderen erwartet wird.“

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