Wie ist es möglich, dass Menschen in einer von Rationalität und Wissenschaft dominierten Welt noch zum Glauben finden? Das Lëtzebuerger Journal hat sich mit einem Philosophieprofessor und dem Generalvikar von Luxemburg unterhalten. Ein Aufeinandertreffen zweier Welten.
Dies ist der zweite Teil der Artikelreihe rund um das Thema Glaube in unserer heutigen Gesellschaft. Er ergänzt ein generationsübergreifendes Porträt vom Leben Gläubiger in unserer schnelllebigen Welt.
Warum Menschen heutzutage noch in unserer rationalen Welt glauben, darauf hat Dietmar Heidemann, Professor für Philosophie an der Universität Luxemburg, eine Antwort. In der Aufklärungsphilosophie sei es laut Kant so, dass die Idee an ein höheres Wesen zu glauben rational unvermeidbar sei und es sich um eine logische Konsequenz unseres Denkens handele. "Da die Menschen autonom denken und über unsere Welt reflektieren, stoßen wir in unserem Reflexionsprozess automatisch und unvermeidlich auf die Idee Gottes als höchstes Wesen, mit dem ganze Inhalte, wie Allmächtigkeit, Ewigkeit, Gerechtigkeit und andere moralische Werte verbunden sind." Laut Kant sei also die Idee Gottes durchaus ein Gedanke des Transzendenten, der unvermeidbar sei, auch wenn er nicht beweisbar ist. Der Philosoph des 18. Jahrhunderts stellt somit weder die Religion noch die Existenz eines höheren Wesens in Abrede. Jedoch lässt sich der Glaube niemals beweisen. "Ich musste also das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen", so Immanuel Kant. Für den Menschen sei die Idee Gottes etwas, an das geglaubt wird, wo Wissen jedoch keinen Platz hat. Demzufolge erklärt Professor Heidemann, dass Kant unterstrich, dass der Glaube eine aktive Entscheidung ist: "Die Philosophie ist, wie die anderen Wissenschaften, nicht in der Lage, Beweise für die Existenz Gottes zu liefern. Was daraus folgt, ist, dass wir unser Wissen bei Seite lassen müssen, um zu glauben." Für Kant sei der Glaube also eine aktive individuelle Entscheidung und eine nicht rational erfassbare kognitive Einstellung. Der Glaube sei eine individuelle Entscheidung, die stark von der Sozialisation und dem Umfeld beeinflusst wird. Familie und Bildung spielen dabei eine wichtige Rolle, obwohl der Glaube weder biologisch noch genetisch erklärt werden kann.
Auch der Generalvikar von Luxemburg, Patrick Muller, erklärt: "Der Glaube ist mehr als eine rein rationale Denkweise. Vieles beruht auf einer Vertrauensbasis." Man könne eben nicht alles erklären, so sei der Glaube eine Art "Sprung ins Ungewisse".
Wissenschaft und Religion – unvereinbare Phänomene
Für Professor Heidemann unterscheidet sich der Glaube grundlegend von wissenschaftlichen Erkenntnissen, man glaube nur, weil man nicht wisse. "Der Glaube kann keine Wissenslücken füllen, man kann eben nur glauben, jedoch nicht wissen. Ich kann also nicht wissen, ob Gott existiert. Und weil wir nicht wissen, so glauben wir." Der religiöse Glaube wäre somit sozusagen ein Nichtwissen. Jedoch kann die Überzeugungskraft des Glaubens so stark sein, dass er den Anschein des Wissens hat, besonders wenn Menschen an Indizien für das Wirken Gottes in der Welt, wie beispielsweise Wunder, glauben. So sei der Glaube für die Wissenschaft immer etwas Außerweltliches und etwas nicht Erklärbares. Kein*e Naturwissenschaftler*in könne die Auffassung vertreten, dass sich die Existenz Gottes beweisen lässt. "Jeder kausale Eingriff in die Welt muss für einen Physiker prinzipiell erklärbar sein. Religion lebt jedoch davon, dass sie sich nicht wissenschaftlich erklären lässt." Jedoch sei es die private Angelegenheit von Naturwissenschaftler*innen, an Gott zu glauben.
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