Editorial - Die französische Demokratie als Geisel

Von Camille Frati Für Originaltext auf Französisch umschalten

Über die Irrungen und Wirrungen der französischen Politik kann man nicht mehr lachen. Das Land ist seit fast zwei Monaten ohne gewählte Regierung und wartet darauf, dass sein Präsident seinen gefährlichen Machenschaften ein Ende setzt.

Frankreich überschreitet am Mittwoch den 52. Tag ohne Regierung – ein Rekord, der nicht einmal die für ihre Instabilität berüchtigte Vierte Republik (1946-58) erreichte. Und vor allem ist es eine Anomalie für die Fünfte Republik, die gerade dazu geschaffen wurde, den Wechsel von Regierungen aufgrund der wechselnden Stimmungen der in der Nationalversammlung vertretenen Parteien zu verhindern. Im Geiste der Fünften Republik stehen sich zwei Blöcke gegenüber, wobei der Block mit den meisten Stimmen die absolute Mehrheit im Parlament erringt und fünf Jahre lang regiert. Das Verhältniswahlrecht, das als für die Zersplitterung der Nationalversammlung verantwortlich galt und im Verdacht stand, den Extremen eine ungerechtfertigte Präsenz und Tribüne zu bieten, wurde abgeschafft. Und dennoch findet sich Frankreich im Jahr 2024 mit einer fraktionierten Versammlung ohne denkbare Koalition wieder, deren stimmenstärkste Partei, der Rassemblement National, rechtsextrem ist. Bingo.

Die Fünfte Republik – nach dem Willen von General de Gaulle – rühmte sich vor allem damit, dass sie mit dem Präsidenten der Republik eine beruhigende, vom politischen Getümmel entfernte Figur hervorbrachte. In diesem Fall ist es jedoch der Präsident, der unter dem Vorwand, die Stabilität des Regimes zu gewährleisten, dieses schwächt, indem er seine eigenen Vorrechte überinterpretiert. Die Verfassung weist ihm die Aufgabe zu, die Führungsfigur der Bewegung, die die Parlamentswahlen gewonnen hat, zum Premierminister zu ernennen. Diese Wahl muss er treffen. Stattdessen verdreht er die Verfassung und behauptet, dass es ihm obliegt, einen Premierminister seiner Wahl zu ernennen, der nicht von vornherein durch einen Misstrauensantrag in der Nationalversammlung weggefegt würde. Er schlüpft damit in ein seltsames Kostüm als "Formateur", das sich von dem unterscheidet, das man aus Luxemburg und Belgien kennt, und das vor allem für einen amtierenden Präsidenten unpassend ist. Dabei bevorzugt er eine vom politischen Spiel abgehobene Persönlichkeit wie Jean Castex oder Elisabeth Borne, die auf den ersten Blick formbarer und weniger charismatisch als ihr Meister ist.

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