Die Kunst einer guten Governance

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Unternehmen, Organisationen und auch staatliche Institutionen benötigen klare Regeln und Strukturen, um Entscheidungen zu treffen. Dieser Prozess wird als Governance bezeichnet und war das zentrale Thema der jüngsten Folge des Podcasts Evergreens by Spuerkeess, die nun in Artikel-Form verfügbar ist.

In der zweiten Episode dieser dreiteiligen Sonderserie diskutiert Gastgeber Bryan Ferrari mit drei Experten über die Bedeutung von Governance. Stéphanie Damgé, Direktorin für Entrepreneurship bei der Handelskammer, Tom Wirion, Generaldirektor der Handwerkskammer, und Marco Rasqué Da Silva, Generalsekretär bei Spuerkeess, teilen dabei ihre Einblicke.

Warum ist eine solide Governance unerlässlich? Welche verschiedenen Ansätze und Modelle gibt es? Und welche Konsequenzen drohen, wenn die Einführung einer wirksamen Governance vernachlässigt wird? Diese und weitere Fragen wurden umfassend beleuchtet.

Bryan Ferrari (Host): Was genau versteht man eigentlich unter Governance? Warum ist sie notwendig, und wo liegt ihr Ursprung?

Tom Wirion: Governance wird traditionell häufig mit großen, börsennotierten Unternehmen in Verbindung gebracht. Sie beschreibt die Strukturen und Prozesse, durch die Entscheidungen gesteuert und überwacht werden. Heute betrifft dieses Thema jedoch alle Unternehmen – unabhängig von Größe oder Rechtsform. Es ist von universeller Bedeutung.

Bryan: Besonders bei der Gründung eines Unternehmens denkt man zunächst selten an Governance. Wenn man beispielsweise in der Garage startet, hat man andere Prioritäten…

Stéphanie Damgé: Dennoch ist es wichtig, sich frühzeitig mit diesen Fragen zu befassen und geeignete Prozesse einzuführen – auch als Start-up. Stellen wir uns vor, drei Personen gründen gemeinsam ein Unternehmen: Wer bringt wie viel Kapital ein? Wer arbeitet in Vollzeit, wer in Teilzeit? Welche Rollen und Verantwortlichkeiten übernimmt jeder? Besonders für junge Unternehmen, die rasch wachsen wollen, ist es entscheidend, die Unternehmensführung flexibel zu gestalten und gleichzeitig die nötigen Strukturen zu etablieren, um die richtigen Fragen rechtzeitig zu stellen.

Dieser Austausch macht deutlich, dass Governance weit mehr ist als ein abstrakter Begriff. Sie ist ein unverzichtbarer Bestandteil nachhaltigen Erfolgs – unabhängig davon, ob es sich um ein Start-up, ein KMU oder eine große Organisation handelt

Tom Wirion

Marco Rasqué da Silva: Es ist interessant zu beobachten, dass mit zunehmender Unternehmensgröße auch der Bedarf an internen Strukturen steigt, die von oben nach unten wirken. Das beginnt mit der Einrichtung eines Rates oder Komitees, in dem unabhängige Mitglieder die internen Abläufe überwachen. Dabei geht es um Entscheidungsprozesse und um Mechanismen, wie wir sie im Bankensektor als „erste Verteidigungslinie“ kennen – Kontrollinstanzen, die selbst wieder von weiteren Kontrollfunktionen geprüft werden, um die Interessen aller Stakeholder zu schützen.

Tom Wirion: In der Praxis wird Governance oft schon in Start-ups oder kleinen Unternehmen gelebt, ohne dass es den Beteiligten bewusst ist. Deshalb ist es wichtig, dass die Unternehmensleitung diese Prozesse mit der Zeit formalisiert. Governance beschränkt sich nicht auf offizielle Gremien wie Vorstände, sondern umfasst auch informelle Aspekte – gerade in kleineren Unternehmen. Es gibt kein universelles Modell; Governance muss flexibel an die Größe und die Art des Unternehmens angepasst werden. Governance bedeutet, vorausschauend zu handeln. Und das gilt nicht nur in der Politik, sondern auch – und vor allem – in Unternehmen, unabhängig von deren Größe.

Stéphanie Damgé: Governance ist eine Philosophie, eine Unternehmenskultur, die etabliert werden muss. Und sie beginnt bei der Führungskraft. Als Führungskraft ist es wichtig, diese Werte vorzuleben, zugänglich zu sein und eine offene, transparente Kommunikation mit den Mitarbeitenden zu fördern.

Bryan: Das klingt einfach, aber ich könnte mir vorstellen, dass es oft zu Spannungen kommt – zum Beispiel, wenn ein eher traditioneller Vorstand mit einer jungen Führungskraft zusammenarbeitet, die Veränderungen in der Unternehmensführung anstrebt.

Stéphanie Damgé: Besonders in Phasen der Unternehmensnachfolge ist eine funktionierende Governance von entscheidender Bedeutung. Es geht darum, gemeinsam Lösungen zu erarbeiten, Konsens zu finden und alle Beteiligten einzubeziehen. Als Unternehmensleiter trägt man oft mehrere Hüte, doch man muss potenzielle Interessenkonflikte im Blick behalten. Klare Rollendefinitionen, etwa durch eine Familiencharta, können helfen, Risiken zu minimieren und einen reibungslosen Übergang sicherzustellen.

Marco Rasqué da Silva: Wenn man den Menschen verständlich macht, wie Governance jedem Einzelnen nützt – sowohl intern als auch extern – und ihnen aufzeigt, wo die tatsächlichen Risiken liegen, wird man mehr Zustimmung für eine gute Unternehmensführung und entsprechende Kontrollmechanismen erhalten. Besonders in unserer schnelllebigen, komplexen Welt, geprägt von Digitalisierung und technologischen Fortschritten, verändern sich die Risiken ständig. Governance muss darauf reagieren und sich ebenfalls weiterentwickeln.

Tom Wirion: Diese Aspekte sind von großer Bedeutung. Im Handwerk haben jedoch rund 70 % der Unternehmen weniger als 10 Mitarbeitende. Oft ist der Geschäftsführer gleichzeitig Eigentümer oder Gesellschafter. Das heißt aber nicht, dass Governance in solchen Fällen ausgeschlossen ist – vielmehr erfordert sie individuelle Ansätze und Feinabstimmungen. Die Unternehmen sind sich der Bedeutung von Governance bewusst, stehen aber häufig vor Herausforderungen, wie sie diese umsetzen können. Sie benötigen Unterstützung, um eine funktionierende und effektive Unternehmensführung zu etablieren. Die gute Nachricht: In anderen Ländern wird Governance in kleinen und mittleren Unternehmen zunehmend als Chance und nicht als Belastung gesehen – ein Schritt in eine positive Richtung.

Stéphanie Damgé: Es ist wichtig, die Governance zu finden, die zu einem passt. Nicht ein Copy & Paste von jemand anderem. Einfach bestehende Modelle zu übernehmen, funktioniert selten. Sei es ein kleines Unternehmen, ein Handwerksbetrieb, ein Einzelhändler oder eine Start-up, es kommt darauf an, die Governance-Strukturen einzuführen, die für die jeweilige Organisation sinnvoll sind, und diese kontinuierlich weiterzuentwickeln. Governance ist kein starres Konstrukt, sondern ein dynamischer Prozess, der regelmäßig angepasst werden muss – und genau darin liegt die eigentliche Herausforderung.

"Es ist wichtig, die Governance zu finden, die zu einem passt. Nicht ein Copy & Paste von jemand anderem."

Stéphanie Damgé, Direktorin des House of Entrepreneurship

Tom Wirion: Investoren wurden bereits angesprochen. Wir haben Unternehmen, die in ihrem Bereich erfolgreich sind, doch wenn sie für eine größere Investition zur Bank gehen, stellen sich oft entscheidende Fragen: Wer sind die Schlüsselpersonen? Gibt es ein Organigramm? Existiert ein Nachfolgeplan? In diesen Momenten wird vielen Unternehmen klar, dass sie in Bezug auf ihre eigene Organisation noch nachbessern müssen.

Bryan Ferrari: Das Thema Unternehmensführung wird auch deshalb komplexer, weil die Anforderungen und Anfragen immer weiter zunehmen. Ist den Unternehmen eigentlich bewusst, dass es bei Governance darum geht, zukünftige Risiken zu minimieren?

Tom Wirion: Es geht dabei um zwei wesentliche Aspekte. Einerseits müssen Entscheidungen getroffen und Kontrollmechanismen eingerichtet werden. Andererseits sind es die immer zahlreicheren Verpflichtungen und Berichte, wie etwa zur Nachhaltigkeit, die die Unternehmen zusätzlich belasten. Diese Verwaltungsaufgaben sind extrem herausfordernd – und nicht gerade positiv zu bewerten. Ich bezweifle, dass kleine und mittlere Unternehmen all diese Anforderungen vollständig bewältigen können. Natürlich muss man sich an Gesetze halten – das steht außer Frage. Aber die schiere Menge und Komplexität der Vorschriften schaffen massive Probleme. Wenn wir diese Herausforderungen nicht in den Griff bekommen, werden wir in Europa im Vergleich zu Nordamerika und Asien erheblich ins Hintertreffen geraten.

Stéphanie Damgé: Es ist essenziell, dass unsere Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben und ihr Tagesgeschäft reibungslos weiterführen können. Für viele Firmen ist das eine enorme Herausforderung. Wir müssen darauf reagieren und diese Anforderungen gemeinsam auf europäischer Ebene vereinfachen.

Bryan Ferrari: Man kann sicherlich sagen, dass es in allen Unternehmensverbänden, bei uns die ABBL, eine Plattform für den Austausch von Best Practices gibt. Es ist nicht so, dass sich jede Person an ihren jeweiligen Verband wendet, aber es gibt Orte, an denen sich die Leute untereinander austauschen?

Tom Wirion: Auf jeden Fall. Solche Plattformen sind essenziell, um gute Praktiken kennenzulernen und zu verstehen, dass es kein einheitliches Modell gibt, das für alle Unternehmen gleichermaßen funktioniert. Besonders für kleinere Unternehmen ist das entscheidend. Größere Firmen verfügen oft über mehr Ressourcen und Möglichkeiten, solche Themen anzugehen. Das betrifft nicht nur Governance, sondern auch andere Bereiche wie Cybersicherheit – wo kleine Unternehmen meist schlechter geschützt sind – oder Nachhaltigkeit, die für kleinere Firmen schwieriger umzusetzen ist. Es ist wichtig, sich auszutauschen, voneinander zu lernen und gemeinsam zu überlegen, wie man sich besser organisieren kann, etwa durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz. Dabei sollte der Fokus immer darauf liegen, die richtigen Fragen zu stellen.

Marco Rasqué Da Silva

Bryan Ferrari: Ich habe mich mit den Grundprinzipien der Governance beschäftigt und festgestellt, dass vieles davon schlicht gesunder Menschenverstand ist. Vielleicht könnten Sie dazu etwas sagen? Das zentrale Prinzip guter Governance ist Transparenz.

Marco Rasqué da Silva: Im Bankensektor ist Transparenz für uns nicht nur ein Grundsatz, sondern auch eine regulatorische Pflicht. Wir müssen eine Vielzahl von Berichten veröffentlichen, darunter natürlich den Jahresbericht, aber nicht nur. Banken sind verpflichtet, zahlreiche Informationen öffentlich zugänglich zu machen – etwa zur Stabilität und Glaubwürdigkeit ihrer Aktivitäten. Das schafft Vertrauen bei der Öffentlichkeit und stärkt die Glaubwürdigkeit der Institution.

Stéphanie Damgé: Transparenz ist ebenso essenziell für staatliche und parastaatliche Organisationen. Es geht dabei nicht nur um die internen Mitarbeiter, sondern auch um die gesamte Bevölkerung. Eine klare und transparente Kommunikation ist in diesem Kontext unverzichtbar.

Bryan Ferrari: Weitere Grundprinzipien, die ebenfalls auf den ersten Blick selbstverständlich erscheinen, sind Rechenschaftspflicht, Inklusivität, Partizipation und – etwas sehr Grundlegendes – die Einhaltung des rechtlichen Rahmens.

Tom Wirion: Das sind zweifellos essenzielle Prinzipien, und sie sollten der Anspruch aller Unternehmen sein. Aber ich möchte betonen: Angesichts der wachsenden Anzahl von Vorschriften, die in den letzten zehn Jahren enorm zugenommen haben, bin ich mir nicht sicher, ob das für viele Unternehmen überhaupt umsetzbar ist. Ich persönlich sehe das Problem darin, dass zahlreiche kleine und mittlere Unternehmen – oft unabsichtlich – Gefahr laufen, rechtliche Vorgaben nicht vollständig zu erfüllen. Es ist einfach nicht realistisch, dass ein kleines Unternehmen mit zehn Mitarbeitenden alle gesetzlichen Anforderungen abdecken kann.

Wenn die Politik – auf europäischer wie auch nationaler Ebene – diesen regulatorischen Druck nicht überdenkt, stellt sich die Frage, ob sie kleine und mittlere Unternehmen überhaupt noch fördern möchte. Man kann nicht von einem Handwerksbetrieb mit zehn Mitarbeitenden erwarten, dass vier davon ausschließlich damit beschäftigt sind, Vorschriften zu erfüllen. Die aktuelle Herangehensweise erinnert ein wenig an die drei Affen: wegsehen, weghören und schweigen. Das ist langfristig keine tragfähige Lösung.

"Man kann informeller beginnen, der Chef ist die Firma und umgekehrt, aber das funktioniert nur am Anfang."

Tom Wirion, Generaldirektor der Handwerkskammer

Stéphanie Damgé: Unternehmen stehen ohnehin vor zahlreichen Herausforderungen, die sie bewältigen müssen. Die aktuelle Wirtschaftslage ist alles andere als ideal, und zusätzliche Regulierungen sind dabei wenig hilfreich. Sie erfordern erhebliche Ressourcen, kosten viel Geld und fallen in eine Zeit, in der Preise ohnehin steigen und die Belastungen zunehmen. Das hat gravierende Auswirkungen auf die Unternehmen. Wie sollen sie diese regulatorischen Anforderungen noch erfüllen? Es ist klar: Wir müssen hier etwas ändern.

Bryan Ferrari: Tom Wirion, Sie haben zuvor von Grauzonen gesprochen. Haben Sie Beispiele für Unternehmen, bei denen die Governance anfangs schwierig war, sich dann aber verbessert hat, weil sie sich die Zeit genommen haben, klare Strukturen und Regeln zu schaffen?

Tom Wirion: Ja, es gibt viele positive Beispiele. Unternehmen, die über eine klare Governance verfügen, haben einen entscheidenden Vorteil. Wenn transparent geregelt ist, wer welche Entscheidungen trifft, und wenn bei Familienunternehmen frühzeitig proaktiv überlegt wird, wie Übergaben oder Nachfolgen organisiert werden, verbessert das nicht nur die interne Struktur, sondern auch die Außendarstellung. Das schafft Vertrauen bei Investoren und Banken, die ansonsten in das Unternehmen wie in eine Blackbox blicken würden. Eine gut funktionierende Governance ist einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren, um die nächste Wachstumsphase zu erreichen oder Investitionen zu sichern.

Man kann informeller beginnen, der Chef ist die Firma und umgekehrt, aber das funktioniert nur am Anfang. Doch langfristig ist das keine tragfähige Lösung. Ohne klare Strukturen und Verantwortlichkeiten bleibt der nächste Schritt oft unerreichbar.

Stéphanie Damgé

Stéphanie Damgé: Vor Kurzem haben wir im Rahmen der Entrepreneurs' Days, organisiert vom House of Entrepreneurship, eine Konferenz und Workshops veranstaltet. Dabei haben Unternehmen von ihren Erfahrungen berichtet und gezeigt, wie sie erfolgreiche Governance-Strukturen implementiert haben. Das ist ein ermutigendes Zeichen dafür, dass es in Luxemburg bereits viele Unternehmen gibt, in denen Governance gut funktioniert. Der Austausch solcher Best Practices ist extrem wertvoll. Interessant ist auch, dass Luxemburg auf europäischer Ebene auf Platz fünf liegt, wenn es um die Qualität der Unternehmensführung geht. Diese Zahl zeigt, dass wir bereits viele gut aufgestellte Unternehmen haben – aber es gibt natürlich immer noch Potenzial für Verbesserungen.

Bryan Ferrari: Spätestens bei der Suche nach Finanzmitteln merkt ein Manager dann: „Okay, jetzt muss ich mich zusammenreißen und die Strukturen richtig aufsetzen.“ Ohne klare Governance gibt es keine neuen Investitionen.

Stéphanie Damgé: Genau. Investoren legen großen Wert darauf, dass Governance-Strukturen existieren – und das zu Recht. Es ist aber auch wichtig, dass man diese Prozesse selbst in die Hand nimmt, anstatt sie anderen zu überlassen. Niemand kennt das eigene Unternehmen besser als der Unternehmer selbst, und niemand weiß besser, welche Ziele erreicht werden sollen.

Tom Wirion: Absolut, und Governance ist nichts, das man einmal einführt und dann abhaken kann. Sie muss ständig gepflegt und weiterentwickelt werden. Es gibt immer neue Herausforderungen, und man kann nicht sagen: „Jetzt habe ich das Ziel erreicht, weil ein Investor investiert hat.“ Der Weg ist das Ziel. Governance ist ein fortlaufender Prozess, der Anpassung und Aufmerksamkeit erfordert, um den Erfolg eines Unternehmens nachhaltig zu sichern.