Das endgültige Geschenk

Von Audrey SomnardMelody HansenLex Kleren Für Originaltext auf Französisch umschalten

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Sie hätten nie gedacht, dass sie jemals ein Organ brauchen würden. Und doch. Evelyne und Yuri verdanken ihr Leben der Spende eines anderen. Guy erhielt von seiner Frau Martine einen der größten Liebesbeweise: ihre Niere. Sie erzählen uns ihre Geschichte.

Das endgültige Geschenk

*auf Französisch

Organspende-Kampagnen sind nicht immer greifbar. Manche Menschen sprechen darüber, andere tragen den sogenannten „passeport de vie“ bei sich, um im Falle eines Schicksalsschlages ihre Meinung kundzutun. Aber über den Tod zu sprechen ist oft noch tabu. Dabei ist Organspende eine Frage des Lebens. Leben, das dadurch gerettet wird, dass der*die Verstorbene den Ärzt*innen zu Lebzeiten die Erlaubnis erteilt hat, ihm*ihr nach Ableben eines oder mehrere Organe zu entnehmen. Dies kam 2020 in Luxemburg 13 Menschen zugute. Eine Geste der Solidarität, die es auch Evelyne, Guy und Yuri ermöglichte, ihr Leben wieder aufzunehmen.

Yuri Auffinger kommt auf seinem Roller zum Interview. Es ist ihm nicht anzusehen, dass der 43-jährige 2013 eine Lebertransplantation erhalten hat. Als Opfer einer Autoimmunerkrankung, die seine Leber angriff, verschlechterte sich der Zustand von Yuri allmählich. Zehn Jahre lang hatte er Ruhe, bevor die Krankheit überhandnahm und seine Leber in eine Zirrhose überging. „Die letzten drei Monate verbrachte ich bettlägerig im Krankenhaus. Ich musste jede Woche in die Notaufnahme, wo mir literweise Wasser entnommen wurde. Ich nahm viele Medikamente und musste deren Nebenwirkungen ertragen. Mein Gesundheitszustand verschlechterte sich zusehends“, erzählt er.

Yuri Auffinger

Erst nach zwei Fehlalarmen erfuhr Yuri, dass eine Leber auf ihn wartete: „Das erste Mal rief mich der Arzt zurück, als ich auf dem Weg ins Krankenhaus war, um mir zu sagen, dass die Leber doch nicht gut sei. Das zweite Mal war während eines Arzttermins. Er war am Telefon und mir wurde klar, dass es diesmal nicht um mich gehen würde.“ Der dritte Anruf war der richtige für Yuri, der gerade die Notaufnahme wieder verließ. Er eilte zurück ins Krankenhaus und bereitete sich auf die Operation vor. Und die war ein Erfolg. Yuri erhielt eine komplette Leber – das einzige Organ, das sich regenerieren kann: „Es besteht die Möglichkeit zwei Drittel oder die ganze Leber zu transplantieren, in meinem Fall war es die ganze Leber. Ich habe sie von einem 73-Jährigen erhalten, der am selben Tag im Krankenhaus gestorben ist. Es war mir ein wenig peinlich, dass meine Leber so ‚alt‘ war, aber die Ärzte versicherten mir, dass das Alter des Spenders für die Leber nicht wichtig sei.“

Zurück in die Normalität

Nach der Operation musste Yuri wieder laufen lernen. Die Rehabilitation war nicht einfach, aber heute führt der Familienvater, der sehr gerührt ist, wenn er von seinem kleinen Jungen redet, ein normales Leben. Das trotz Medikamente, die er ein Leben lang einnehmen muss: „Die Leute fragen mich oft, ob ich essen kann, was immer ich will oder ob ich alles trinken darf, die Antwort ist ja. Vorsichtshalber und weil ich kein Interesse daran habe, trinke ich keinen Alkohol, aber die Ärzte verbieten mir nicht, ab und zu etwas zu trinken. Eigentlich muss ich nur auf Zitrusfrüchte, insbesondere Grapefruit, verzichten, da diese ein Enzym enthalten, das die Wirkung der Medikamente verändert. Aber das ist auch schon alles. Im Übrigen lebe ich gesund.“ Die Operation hat jedoch ihre Spuren hinterlassen: „Im Großen und Ganzen geht es mir gut, aber ich habe nicht mehr das gleiche Leistungspotenzial wie vor der Operation. Es war eine Menge Arbeit, wieder eine gewisse Form zu erreichen und ich fühle mich immer noch, als wäre ich über Nacht zehn Jahre gealtert.“

„Ohne die Lebendspende meiner Frau wäre ich heute nicht mehr da.“

Guy Cognioul, Transplantierter

Es ist ein verregneter Sommertag als Guy und Martine Cognioul uns im Garten ihres Zuhauses in Grevenmacher empfangen. Seit Beginn der Pandemie vermeidet das Paar Kontakte so gut es geht. Wenn enge Freunde oder Familie dann doch mal zu Besuch kommen, muss das Wetter mitspielen, damit sie draußen sitzen können. Guy gehört aufgrund seiner vor über zehn Jahren erhaltenen Nierentransplantation zu den vulnerablen Personen. Damit sein Körper das Organ nicht abstößt, muss er täglich sogenannte immunsupprimierende Medikamente einnehmen. Diese unterdrücken die körpereigene Abwehr, was zur Konsequenz hat, dass der 57-jährige anfälliger für Infektionskrankheiten ist. Das hat auch zur Folge, dass die Impfung bei ihm nicht richtig angeschlagen hat. Seine Antikörper gegen das Coronavirus sind auch nach der zweiten Dosis nicht ausreichend angestiegen. Er setzt seine Hoffnung nun in die dritte Dosis, die er aufgrund seiner Transplantation bereits erhalten durfte. „Ob meine Antikörper seitdem angestiegen sind, kann ich nicht sagen, ich habe noch keine weitere Analyse gemacht.“ Nach der dritten Spritze hatte Guy jedenfalls zum ersten Mal erhebliche Nebenwirkungen. „Das ist es mir persönlich wert, sollte das Impfen als Mittel zum Zweck tatsächlich verhindern auf der Intensivstation zu landen“, sagt er.

Es war 2009 bei einem Blutspendetermin als Guy Cognioul darauf aufmerksam gemacht wurde, dass seine Kreatininwerte besorgniserregend seien. Sie deuten darauf hin, dass die Nieren eines Menschen nicht mehr richtig arbeiten. Eine überraschende Nachricht, die jedoch nicht unerwartet kam. Der Grund für den Zustand von Guys Nieren ist nämlich eine Erbkrankheit, die sogenannte polyzystische Nierenerkrankung, aufgrund derer bereits sein Vater auf eine Organspende angewiesen war. „Als sein Vater die Nierentransplantation bekam waren wir gerade zusammengekommen“, erinnert sich Martine. „Damals habe ich im Büro in einem alten Larousse Médical nachgeschlagen, was es mit dieser Krankheit auf sich hat.“ Sie weiß noch, dass sie mit ihrem Chef darüber gesprochen hat, dass sie – sollte es so weit kommen – ihrem Guy eine Niere spenden würde. „Das wusste ich.“

Martine und Guy Cognioul

Als es dann viele Jahre später so weit war, kamen Martine dann doch kurz Zweifel. Das Paar muss getrennt verschiedene Ärzt*innen und Psycholog*innen besuchen, um sicherzustellen, dass Martine die Entscheidung unabhängig trifft. „Der Arzt, der mich damals behandelt hat, war wirklich brutal“, erinnert sie sich, „er hat mich auf alle Eventualitäten vorbereitet und ich war tatsächlich ein wenig im Dilemma“. Es ist ihr Hausarzt, der sie wiederum ermutigt den Schritt zu wagen, den sie bis heute nicht bereut. Einschränkungen hat sie durch die Spende keine. Und Guy ist sich sicher: „Ohne die Lebendspende meiner Frau wäre ich heute nicht mehr da.“ Denn aufgrund eines Herzproblems wäre eine Dialyse für ihn vielleicht keine langfristige Lösung gewesen. Bereits Monate vor der OP war er „im Nirvana“, wie er es beschreibt. Heftiger Brain Fog ließ ihn mindestens 20 Stunden am Tag schlafen. Sein Körper war vergiftet.

Ein Organ spenden

  • In der Regel dürfen nur Familienmitglieder oder verheiratete Partner sich gegenseitig ein Organ spenden. Die betroffenen Personen müssen sich im Transplantationszentrum im Ausland getrennt psychologischen Untersuchungen unterziehen.  Ob jemand auch seinem*r besten*r Freund*in eine Niere spenden dürfe, bezweifelt Jorge De Sousa. „Sie müssten auf jeden Fall die gleichen Tests machen, wie Ehepartner“, sagt er. Was dagegensprechen könne, sei die Gefahr „jemandem etwas schuldig zu sein“, so könnte also Geld wiederum eine Rolle spielen. Diese Entscheidung werde jedoch im jeweiligen Zentrum getroffen. Anonyme Lebendspenden wie eine Niere oder ein Teil der Leber sind in Luxemburg aktuell nicht möglich.

  • Jorge De Sousa ist in Luxemburg noch nie direkt mit einer Person in Kontakt gekommen, die sich über den Schwarzmarkt ein Organ besorgt hat. „Dass es das allerdings gibt, ist kein Geheimnis“, sagt der erfahrene Koordinator von Luxembourg Transplant. Dennoch denkt er, dass Menschen in Luxemburg aufgeklärt genug sind, um die damit verbundenen Risiken nicht einzugehen. De Sousa erhält jedoch regelmäßig Anrufe aus England, Indien oder der Türkei, in denen Menschen ihm ihre Niere anbieten.

Martine macht sich damals auf die Suche nach Gleichgesinnten, um Erfahrungen auszutauschen. Als sie auf Anhieb niemanden findet, entscheidet sie dem damaligen SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier eine E-Mail zu schreiben. „Er hatte seiner Frau zu dem Zeitpunkt ebenfalls eine Niere gespendet. Das war überall in den Medien.“ Tatsächlich bekommt sie eine Antwort von Steinmeiers Privatsekretärin, in der sie die Erfahrungen des Politikers schildert. Nach der OP von Guy und Martine erkundigt sie sich sogar noch einmal nach deren Wohlergehen. Bis auf die Schmerzen, die beiden als extrem in Erinnerung geblieben sind, läuft tatsächlich alles außergewöhnlich gut. „Seine Kreatininwerte sind sofort nach der Transplantation gesunken, meine Niere hat also super funktioniert“, sagt Martine und freut sich bis heute.

„Als ich aufgelegt habe, fing ich an, überall herumzuspringen. Ich sagte zu meinem Mann, sie haben eine Niere für mich, sie haben eine Niere für mich!‘, diesen Moment werde ich nie vergessen.“

Evelyne Hornemann-Biagionni, Transplantierte

Evelyne Hornemann-Biagionni ist zu ihrem (fast) 70. Geburtstag schick gekleidet: Die tanzbegeisterte Frau zeigt fröhlich ihre Gala-Fotos, ordentlich geschminkt und gekleidet. Sie ist heute voller Energie und weiß, was sie ihre Lebenslust zu verdanken hat. Seit 18 Jahren lebt sie mit der Niere eines*einer anderen. Sie ist an Medikamente gewöhnt, an viele Medikamente, mit deren Einnahme sie aber kein Problem hat: „Es ist sehr schwer, man muss eine Reihe Pillen zu festen Zeiten einnehmen. Dazu stelle ich mir den Wecker und hüte mich davor, sie zu vergessen. Das bedeutet eine Menge zusätzlicher Organisation, vor allem, wenn ich auf Reisen gehe, aber für mich ist es sehr wichtig, mich um diese Niere zu kümmern. Ich hatte das Glück, eine zu bekommen, also tue ich alles dafür, dass sie gesund bleibt“, sagt sie.

In den 1990er Jahren litt Evelyne unter einer Reihe wiederholter Infektionen. Ihre gesundheitlichen Probleme sind auf eine Erbkrankheit zurückzuführen, an der bereits ihre Mutter, ihre Großmutter und ihr Bruder litten. Die Krankheit greift die Nieren an, Evelynes Gesundheitszustand verschlechtert sich so sehr, dass sie ihre Arbeit aufgeben muss. Das war 1999. In ihrem Arm wird eine Fistel angelegt, um sie auf die bevorstehende Dialyse vorzubereiten. Evelynes Leben ändert sich drastisch: Sie hängt drei halbe Tage pro Woche zur Dialyse an einer Maschine. Ihr Leben hängt nun davon ab. Von da an wird sie auf die Warteliste für eine Nierentransplantation gesetzt.

Der letzte Ausweg

Eine Wartezeit, die laut Jorge De Sousa in Luxemburg durchschnittlich zwischen drei und fünf Jahre beträgt. De Sousa ist seit über 21 Jahren Verantwortlicher des Service de Coordination de Transplantation bei Luxembourg Transplant. Er erklärt gegenüber dem Lëtzebuerger Journal, wie die Wartelisten funktionieren. Demnach sei es der*die behandelnde Spezialist*in, der*die entscheide, ob ein* Patient*in auf eine Liste kommt oder nicht. „Dafür gibt es eine ganze Reihe an Kriterien, unter anderem muss man wirklich krank sein.“ Auch das Alter der Patient*innen oder seit wann er*sie bereits mit der Dialyse lebt, spielen eine Rolle. Zuerst würde allerdings versucht, eine Transplantation so lange wie möglich mit Medikamenten hinauszuzögern. Denn: „Ein Organ zu bekommen heißt nicht geheilt zu sein.“ Transplantierte gehen das Risiko eventueller Komplikationen ein, sie müssen sich mit der Eventualität auseinandersetzen, auf dem OP-Tisch zu sterben und haben die Gewissheit, ein Leben lang Immunsuppressiva einnehmen zu müssen. „Deshalb versuche ich, dem Patienten so lange wie möglich ein Leben mit dem eigenen Organ zu ermöglichen. Eine Transplantation kommt erst in Frage, wenn es nicht mehr anders geht.“

Jorge De Sousa, Luxembourg Transplant

Dann kommt der*die Patient*in auf die Warteliste. Das bedeutet, dass er in die internationale Datenbank von Eurotransplant aufgenommen wird. „Von dem Moment an, an dem der Patient auf die Liste gesetzt wird, bekommt er Punkte“, erklärt Jorge De Sousa. Je mehr Punkte ein*e Patient*in hat, desto höher rutscht er*sie in der Liste. Punkte verlieren kann niemand. „Man wird höchstens von anderen überholt, weil diese durch einen sehr kritischen Zustand wiederum mehr Punkte erhalten.“ Aber: „Egal ob es jemandem besser geht oder man ‚pausiert‘, um in den Urlaub zu fahren, man bekommt jeden Tag Punkte.“ Jorge De Sousa glaubt schon, dass die Pandemie Auswirkungen auf die Warteliste haben wird – jedoch nicht sofort. „Durch Corona warten Menschen länger, bis sie zum Arzt gehen. Je mehr sich die Lage stabilisiert, desto mehr Menschen werden auf einen Schlag auf die Warteliste kommen“, befürchtet er. Aktuell würden sich die Auswirkungen jedoch noch nicht in den Zahlen widerspiegeln.

Einige Fakten

  • Eurotransplant wurde 1969 in den Niederlanden gegründet. Damals gehörten Eurotransplant nur drei Länder an, darunter auch Luxemburg. Inzwischen sind es acht (die Benelux-Länder, Deutschland, Österreich, Slowenien, Kroatien und Ungarn). „Je mehr Länder zusammenarbeiten, je größer ist die Chance, einen passenden Spender zu finden“, sagt Jorge De Sousa.

  • Laut aktuellstem Aktivitätsbericht von Luxembourg Transplant wurden 2020 13 aus Luxemburg stammende Organe erfolgreich innerhalb des Netzwerkes von Eurotransplant transplantiert. Damit zählt Luxemburg um die 4,8 Spenden pro eine Million Einwohner, was weit unter dem Durchschnitt von Eurotransplant von 13,2 Spenden pro eine Million Einwohner liegt.

    2020 kamen in Luxemburg elf Spender*innen in Frage, von denen sieben aus medizinischen Gründen ausgeschlossen wurden und vier, weil sie sich vor ihrem Ableben gegen eine Organspende ausgesprochen hatten.

    2020 waren 81 Menschen auf einer der Warteliste eingeschrieben (2018 waren es 78, 2019 65). 13 Menschen aus Luxemburg wurde ein Organ im Ausland transplantiert (2018 waren es 34, 2019 19).

Evelyne geduldete sich 17 Monate, bis sie eine neue Niere bekam. Die Wartezeit sei relativ „kurz“, sagt sie, und im Vergleich zu anderen schätzt sie sich glücklich. Während dieser 17 Monate wird Evelyne ständig von einem Piepser begleitet, denn der Anruf mit der Nachricht einer verfügbaren Niere kann jederzeit kommen. In dieser Zeit lebt Evelyne so gut es geht, trotz der Einschränkungen: „Ich durfte nur so wenig wie möglich trinken, um die geringe Funktionsfähigkeit meiner Nieren, die mir noch geblieben war, nicht zu überfordern. Ich musste Obst essen, das viel Wasser enthält und mein Tagesablauf musste an die Dialyse angepasst sein. Im ersten Sommer fuhr ich mit meinem Mann in den Urlaub. Wir mussten einen Ort finden, an dem man die Dialyse vor Ort durchführen kann, sie davor beantragen usw. Das ist sehr schwer. Es ist sehr umständlich. Und schließlich ist die Dialyse so anstrengend, dass ich meinen Aufenthalt nicht genießen konnte.“

Evelyne Hornemann-Biagionni

Im zweiten Sommer teilt Evelyne ihrem Mann mit, dass sie dieses Jahr auf Urlaub verzichten wird. Und es ist die richtige Entscheidung. Am 17. Juli 2003 um  1.30 Uhr klingelt der Pieper. Evelyne springt zum Telefon, eine Niere wäre für sie bereit. Sie musste jedoch noch einige Tests durchführen lassen, bevor die Spende bestätigt werden konnte. „Es gibt insgesamt sechs Kompatibilitätsfaktoren und für eine Transplantation sind mindestens vier erforderlich“, erklärt sie. Wie es der Zufall wollte, war die Niere perfekt mit Evelyne kompatibel. Ein paar Stunden später ist es so weit. Evelyne ist schnell im Krankenhaus und bereit für eine mehrstündige Operation: „Als ich aufgelegt habe, fing ich an, überall herumzuspringen. Ich sagte zu meinem Mann ‚sie haben eine Niere für mich, sie haben eine Niere für mich!‘, diesen Moment werde ich nie vergessen.“

Luxemburg un das Ausland

  • Bei Evelyne wurde die Nierentransplantation noch in Luxemburg durchgeführt. Seit 2010 werden hierzulande jedoch keine Organtransplantationen mehr gemacht. Das liegt schlicht daran, dass der Chirurg, der diese damals „wie im Bilderbuch“ durchgeführt hat, wie Jorge De Sousa sagt, in Rente gegangen ist. „Transplantationen waren seine Passion. Er hat nie Ferien gemacht und war immer erreichbar“, so De Sousa. Seitdem werden Patient*innen mit Wohnsitz im Großherzogtum an Transplantationszentren in den Nachbarländern überwiesen. Der Koordinator findet es gut, dass nach seinem Abgang nichts erzwungen wurde. „Dass Luxemburger Patienten im Ausland transplantiert werden, ist meiner Meinung nach nur von Vorteil“, sagt er. Denn um in dem Bereich wirklich gut zu sein, bräuchte es eine kritische Masse an Operationen. Diese würden in Luxemburg mit fünf Transplantationen im Jahr jedoch nicht erreicht. „Im Ausland werden die Patienten gut umsorgt. Die Ärzte dort führen fast täglich Transplantationen durch.“

  • Die Abhängigkeit von anderen Ländern sieht De Sousa nicht als problematisch, immerhin sei die Zusammenarbeit zwischen Unikliniken und luxemburgischen Krankenhäusern sehr gut. Zwar müssten die Patient*innen teilweise viel hin und her fahren, es gebe jedoch auch luxemburgische Ärzt*innen, die sich um die Folgeuntersuchungen kümmern, um überflüssige Fahrten ins Ausland zu minimieren. Wenn ein Organ zur Verfügung steht, muss der Transport in die Uniklinik schnellstmöglich organisiert werden. An der Optimierung dieses Prozesses arbeitet De Sousa seit 2010. „Wenn das Telefon jetzt klingeln würde, ist der Patient innerhalb von 25 Minuten in einem Krankenwagen und innerhalb von zwei Stunden im Krankenhaus. Vor kurzem erst hatte ich einen Patienten, der innerhalb einer Stunde mit dem Hubschrauber in Brüssel war“, sagt er.

Die Operation dauert sieben Stunden und ist ein Erfolg. Später erfährt Evelyne, dass sie die erste kompatible Person auf einer Liste von 14.000 Menschen war, die in diesem Jahr auf eine Niere warteten. Die Zeit nach der Operation war hart, aber Evelyne hat durchgehalten: „Es hat fünf Wochen gedauert, um sich zu erholen und vor allem, um wieder zu lernen, zu trinken! Ich war es nicht mehr gewohnt, zu trinken, vor allem nicht in normalen Mengen. Das Gleiche gilt für den Gang zur Toilette, ich war es nicht mehr gewohnt, regelmäßig zu urinieren.“ Alltägliche Dinge, die für jeden selbstverständlich erscheinen, aber nicht mehr für Evelyne. Auch wenn sie den Anruf am 17. Juli nie vergessen wird, denkt sie jeden Tag an ihre*n Spender*in: „Ich weiß nicht viel, nur dass es ein Teenager war, der einen Hirntot erlitt. Ich weiß das, weil die Niere nicht auf Erwachsenengröße angewachsen war, sondern noch in mir wuchs. Ich bin so dankbar, dass seine Eltern die Entscheidung getroffen haben, dank ihm andere Leben zu retten. Das ist auch meinem Onkel passiert, der einen Schlaganfall hatte. Sein Tod rettete fünf Menschen.“ Heute ist Evelyne Aktivistin bei Protransplant, um ihre Geschichte zu erzählen, das Bewusstsein für die Organspende zu schärfen und Familien zum Nachdenken anzuregen, auch weil „es ein Thema ist, über das wir nicht sprechen, wenn wir nicht direkt betroffen sind.“

„Organspende müsste als Teil eines Fachs in das Schulprogramm aufgenommen werden.“

Jorge De Sousa, Luxembourg Transplant

Dass verstärkt darüber gesprochen wird, ist auch der größte Wunsch von Jorge De Sousa und gleichzeitig die größte Herausforderung. Das meiste Potential sieht er dabei bei Jugendlichen. „Organspende müsste als Teil eines Fachs in das Schulprogramm aufgenommen werden.“ Denn nur, wenn Menschen vermehrt mit dem Thema konfrontiert und dafür sensibilisiert werden, was es bedeutet, die Chance zu bekommen, mit einem Organ weiterzuleben, sprechen sie sich auch ausdrücklich für eine Organspende aus.

Spender werden: Ja oder Nein?

  • In Luxemburg ist jeder Mensch, der sich nicht ausdrücklich dagegen ausspricht, ein* potentielle*r Organspender*in. „Wir fragen die Familie eines Verstorbenen, der als Spender in Frage kommt, nicht um Erlaubnis, sondern suchen die Opposition“, stellt Jorge De Sousa klar. Luxembourg Transplantation versucht zuerst herauszufinden, ob die verstorbene Person einen Organspenderausweis hat. „Das ist gar nicht so einfach“, sagt De Sousa, der diesbezüglich große Hoffnung in das „dossier de soin partagé“ setzt. Dort soll künftig vermerkt sein, wenn eine Person seine Organe nicht spenden will. Aktuell kann sich jede*r die App „Passeport de vie“ herunterladen, um anzugeben, ob er*sie als Organspender*in zur Verfügung steht oder nicht. Findet Luxembourg Transplant keinen Anhaltspunkt, wie die Person dazu stand, beginnt die Suche. „Wir versuchen herauszufinden, wie dieser Mensch überlegt hat, ob er gerne geholfen hat, sich engagiert hat etc.“ Sagt die Familie, der*die Verstorbene wolle seine*ihre Organe nicht spenden, kann Luxembourg Transplant das nicht verifizieren und muss es demnach akzeptieren. Das bezeichnet Jorge De Sousa dann als „refus“. Daneben gibt es noch den sogenannten „refus médical“, das bedeutet, dass ein Mensch aufgrund einer Krankheit nicht als Spender*in infrage kommt. „Vor zehn Jahren gab es deutlich mehr „refus“ als „refus médicaux““, sagt er. Heute sei das umgekehrt. Das zeige, dass die Menschen inzwischen viel offener für Organspenden sind.

Auf diese Solidarität anderer ist auch Guy Cognioul in Zukunft angewiesen. Denn seine Nierentransplantation verging damals nicht ohne eine schlechte Nachricht: Die Ärzt*innen fanden dabei heraus, dass Guy nicht nur unter einer polyzystischen Nierenerkrankung, sondern auch unter einer polyzystische Lebererkrankung leidet. Seitdem werden seine Leberwerte beobachtet und eine Lebertransplantation muss in Betracht gezogen werden. Dabei kennt Guy seinen genauen Gesundheitszustand aktuell gar nicht. „Mein letzter Arztbesuch war im März 2020“, sagt er. Eine Konsequenz der Pandemie. Er vermutet, dass seine Leberwerte seitdem gestiegen sind. „Ich spüre, dass die Leber derart gewachsen ist, dass sie auf andere Organe drückt. Zeitweise kriege ich nicht gut Luft oder mir wird schlecht“, berichtet er. „Wir haben versucht uns mit Händen und Füssen gegen eine Lebertransplantation zu wehren, aber ich glaube wir müssen uns damit anfreunden“, sagt Martine. Für sie bedeutet das, „ein absolutes Trauma“. Weil die Leber das einzige Organ ist, das sich regeneriert, wäre eine Lebendspende theoretisch möglich. Dieses Risiko will Martine aber nicht noch einmal auf sich nehmen. Sie bewundert ihren Mann, für seinen Lebenswillen: „Er hat einen sehr starken Charakter.“ Deshalb zweifeln weder Martine noch Guy daran, dass die Großzügigkeit einer fremden Person ihm eine weitere Chance auf das Leben ermöglichen wird – er wird sie bestimmt nicht verspielen.