Das Cannabis-Rätsel

Von Bill Wirtz Für Originaltext auf Englisch umschalten

Diesen Artikel hören

Neuen Informationen zufolge strebt die Regierung keine vollständige Cannabis-Legalisierung an. Während sich die Ministerien in Luxemburg zu den Gründen für eine mögliche Kehrtwende nicht äußern, haben wir die rechtlichen Hürden gefunden, die einer Legalisierung im Wege stehen können.

Dieser Artikel wird dir gratis zur Verfügung gestellt. Wenn du unser Team unterstützen willst, damit wir auch in Zukunft Qualitätsjournalismus anbieten können, schließe ein Abo ab!

Das Koalitionsprogramm bezüglich Schadensminderung und Drogenpolitik im Jahr 2018 schlug ein wie eine Bombe. Eine vollständige Legalisierung von Cannabis, die von den Befürworter*innen gefeiert und von den Gegner*innen kritisiert wurde. Ein Machtwort, das die internationale Aufmerksamkeit auf Luxemburg lenkte, da kein europäisches Land Cannabis als legales Produkt behandelt. Eine Reihe von europäischen Ländern wird oft als halblegaler Markt für Cannabis genannt. Die Niederlande, die in den 1970er Jahren den Besitz der Droge entkriminalisiert haben, dulden den Fortbestand der so genannten „Coffeeshops“, während die Produktion illegal bleibt. Portugal und die Tschechische Republik haben den Besitz ebenfalls entkriminalisiert, doch der Erwerb der Droge erfolgt weiterhin auf dem illegalen Markt. Luxemburgs Nachbarland Belgien hat den Besitz in kleinen Mengen entkriminalisiert.

Die Tatsache, dass Luxemburgs Legalisierungsbemühungen die Nachbarländer verärgern könnten, war bereits im Gespräch mit dem ehemaligen Gesundheitsminister Etienne Schneider (LSAP), also dem Regierungsmitglied, das zuerst mit dem Projekt betraut wurde. Der Regelungsvorschlag, an dem Schneider arbeitete, hat es nie durch den Regierungsrat geschafft und wurde daher nie offiziell bestätigt. Nach Informationen von Radio 100,7 erwägt die Regierung nun eine Umkehrung ihres Standpunkts und lässt nur den Eigenanbau von Cannabis zu, nicht aber den legalen Verkauf. In einem Interview mit demselben öffentlichen Radiosender bestätigte Gesundheitsministerin Paulette Lenert, dass die Angst vor Repressalien aus den Nachbarländern bei der „Suche nach Alternativen“ relevant gewesen sei. Lenert spielte in ihrer Argumentation auf die Grenzschließungen während der COVID-19-Pandemie an.

Die große rechtliche Frage

Seit dem Bekanntwerden der Nachricht hatten eine Reihe von zuständigen Ministerien gegenüber Journalist*innen nur eine Antwort: „kein Kommentar“. Sowohl das Gesundheits- als auch das Justizministerium teilten dem Journal mit, dass es keine weiteren Erklärungen geben wird, bis der/die jeweilige Minister*in neue Ankündigungen macht. Der Zeitpunkt dieser Ankündigungen ist noch nicht bekannt. Das Journal hat versucht, den nationalen Koordinator für Drogenpolitik, Alain Origer, zu erreichen, um weitere Informationen zu erhalten, aber ein Sprecher des Gesundheitsministeriums teilte mit, dass er „nicht verfügbar“ sei.

Eine Frage, die unbeantwortet bleibt, ist folgende: Stimmt es, dass „rechtliche Hürden“, wie der Leak bei Radio 100,7 suggeriert, einer vollständigen Legalisierung in Luxemburg im Wege stehen? Gesundheitsministerin Paulette Lenert hat solche Hürden angedeutet, aber bisher war keines der Ministerien in der Lage mitzuteilen, um welche Hürden es sich genau handelt.

Das Journal sprach mit einem Rechtsexperten, der mit der Angelegenheit vertraut ist und anonym bleiben möchte. Der Experte verweist auf drei Konventionen der Vereinten Nationen, die ein Problem darstellen könnten.

UN-Konventionen in Bezug auf Cannabis

  • „Cannabis und Cannabisharz sowie Extrakte und Tinkturen von Cannabis“ werden in dem Übereinkommen als Drogen der Liste I eingestuft. Die gleiche Liste gilt für Kokain, Fentanyl, Heroin, Opium oder Methadon. Sie verbietet daher die Herstellung und Lieferung von Cannabis.

  • Dieses Übereinkommen kontrolliert und verbietet neue Substanzen, die nicht im Übereinkommen von 1961 enthalten sind, führt aber auch Tetrahydrocannabinol (THC) auf, die psychoaktive Substanz in der Cannabispflanze, die bekanntermaßen die Konsument*innen „high“ macht.

  • Der dritte große Drogenkontrollvertrag bietet einen Mechanismus zur Durchsetzung des Übereinkommens von 1961 und zementiert das Verbot von Cannabis.

Der Rechtsexperte weist auf eine Reihe von Problemen hin, die sich aus dem Ansatz ergeben, die Legalisierung aufgrund dieser Konventionen zu stoppen: „Diese Dokumente gibt es seit 50 Jahren, man sollte meinen, dass die Regierung im Jahr 2018 über sie Bescheid gewusst haben sollte. Wir wissen auch, dass sie in nächster Zeit nicht geändert werden – man kann Russland und China nicht einfach so davon überzeugen, ihren Kurs in Bezug auf Betäubungsmittel zu ändern.“ Allerdings sei nicht nur die plötzliche Entdeckung gesetzlicher Beschränkungen ein Problem: „Uruguay und Kanada haben beide Cannabis legalisiert, ohne die UN-Konventionen zu berücksichtigen. In den Vereinten Nationen gibt es nämlich keinen automatischen Sanktionsmechanismus, der greift, wenn man gegen ein Betäubungsmittelabkommen verstößt.“

In diesem Zusammenhang haben Menschenrechtsgruppen argumentiert, dass die UN-Konventionen in Bezug auf das Verbot von Cannabis nicht absolut sind. In einem gemeinsamen Bericht von 2018 schreiben WOLA (Advocacy for Human Rights in America), das Transnational Institute und Global Drug Policy Observatory (GdPO):

„[…] wenn nicht mehr als ein Drittel der Vertragsparteien dagegen ist, könnte es für ein Land legitim sein, sich das Recht vorzubehalten, die nichtmedizinische Verwendung von Cannabis zu erlauben.“

„Wenn man nach Problemen sucht, wird man sie finden, und wenn man nach Lösungen sucht, wird man sie auch finden, wie es bei den Niederländern der Fall ist.“

Sven Clement, Abgeordneter der Piratenpartei

Es ist nicht das erste Mal, dass sich Luxemburg wegen seiner Drogenpolitik mit Gremien der Vereinten Nationen auseinandersetzen musste. Der ehemalige Gesundheitsminister und Vorsitzende des Gesundheitsausschusses des luxemburgischen Parlaments, Mars Di Bartolomeo (LSAP), erinnert sich an die Begegnung mit einem UN-Gesandten im Großherzogtum: „Sie kamen nach Luxemburg, nachdem wir die „Fixerstuff“ [Anm. d. Red.: das luxemburgische Suchtbehandlungszentrum, das Nadelaustausch und Methadonprogramme für Heroinabhängige anbietet] eröffnet hatten, und sagten, wir würden in Schwierigkeiten geraten. Ich war damals wie heute der Meinung, dass ich lieber die UNO verärgern würde, als die negativen Auswirkungen des Fehlens dieser Einrichtungen in Kauf zu nehmen.“

Und dann ist da noch der Standpunkt der Europäischen Union. Auf Anfrage des Journal bestätigte die Innenabteilung der Europäischen Kommission, dass die luxemburgische Regierung mit der EU in Kontakt steht, um sich über die einschlägigen EU-Vorschriften und den internationalen Rahmen zu informieren. Die Dienststelle verweist auch auf den Rahmenbeschluss 2004/757/JI des Rates, der den Anbau von Cannabispflanzen, ausgenommen für den Eigenbedarf, verbietet. Der Beschluss stützt sich auf das UN-Übereinkommen von 1961, das Cannabis einschließt, jedoch Ausnahmen für den Eigenanbau für den persönlichen Gebrauch vorsehen kann, weshalb die Regierung diese Möglichkeit noch prüfen kann.

Für all diese Konventionen und internationalen Abkommen gilt, dass sie nicht neu sind. Alle relevanten Einschränkungen gab es schon lange bevor die Regierung die Legalisierung von Cannabis in das Koalitionsprogramm 2018 aufnahm und auch bevor der ehemalige Gesundheitsminister Etienne Schneider an einem Legalisierungsplan arbeitete. Es bleibt rätselhaft, warum die Regierung jetzt einen Rückzieher macht. Das Justizministerium erklärte gegenüber dem Journal, dass es keine externe Rechtsberatung zu diesem Thema eingeholt habe.

Die Reaktionen

„Wenn man nach Problemen sucht, wird man sie finden, und wenn man nach Lösungen sucht, wird man sie auch finden, wie es bei den Niederländern der Fall ist.“, sagt Sven Clement, Abgeordneter der Piratenpartei. Er gehört zu denjenigen, die die Regierung für die offensichtlichen Anzeichen einer politischen Kehrtwende kritisiert haben.

Der Vorsitzende der Jonk Demokraten (Junge Demokraten, eine Jugendorganisation, die der regierenden Demokratischen Partei nahesteht), Michael Agostini, gehört ebenfalls zu denen, die die Nachricht über eine mögliche Rücknahme der Legalisierungspläne kritisch sehen. Er war maßgeblich an der Zusammenstellung einer Cannabis-Allianz von Jugendparteien beteiligt, die die Legalisierung unterstützen und sagt, dass er weitere Treffen mit Mitgliedern der Allianz abhalten wird, um weitere Schritte zu besprechen. „Meine große Angst ist, dass, wenn wir zu spät handeln, eine möglicherweise anders zusammengesetzte Regierungskoalition in der Zukunft jedes Konzept zur Legalisierung von Cannabis kippen könnte“, sagt Agostini. Die CSV (Christlich-Soziale Volkspartei) hat die meisten Sitze im Parlament und lehnt die Legalisierung ab. Die Zeit drängt in der Tat: Sollte sich die Regierung für die Umsetzung der Gesetzgebung entscheiden, müssten neben dem gesamten gesetzlichen und institutionellen Rahmen auch Aufklärungsprogramme zur Drogenerziehung eingeführt werden, bevor das Parlament zur Wiederwahl ansteht. Agostini glaubt, dass es machbar ist, wenn alle relevanten Parteien zusammenarbeiten, aber „es ist klar, dass das erste Gramm Cannabis in dieser Legislaturperiode nicht mehr verkauft werden würde.“

Nathalie Oberweis, Oppositionsabgeordnete für déi Lénk (die Linke), sagt, dass ihre Partei von den Nachrichten der Regierung enttäuscht sei. „Das wirft auch Fragen über das Innenleben der Koalition als solches auf, wenn große Versprechen nicht umgesetzt werden“, sagt sie. „Ein legaler Cannabismarkt würde den illegalen Markt in Luxemburg beruhigen, zumal wir immer wieder davon sprechen, mehr Ordnung in die Problemzonen der Hauptstadt zu bringen“, so die Linken-Abgeordnete weiter.

Niederländische Erfahrungen

Tom Bart ist Experte für Sucht und Drogenkonsum bei Jellinek, einem Suchtbehandlungszentrum in Amsterdam. Im Rahmen seiner Tätigkeit in der Präventionsabteilung von Jellinek kommt er mit Menschen in Kontakt, die von Drogenmissbrauch betroffen sind und arbeitet vor Ort, indem er sich in die Bereiche begibt, in denen Drogen konsumiert werden, z. B. in Clubs oder auf Festivals. „In jungen Jahren, vor dem 18. Lebensjahr, versuchen wir wirklich die Menschen vom Cannabiskonsum abzuhalten“, sagt Bart, der darauf hinweist, dass Cannabis in den Niederlanden nach Alkohol der zweitgrößte Problemfaktor bezüglich Abhängigkeit sei. Er nennt Beispiele von Jugendlichen, die passiv werden oder nicht mehr zur Schule gehen, Faktoren, die nicht nur mit der Sucht zu tun haben.

© Nazlıcan Kanmaz

Tom Bart

„Bei den Jüngeren versuchen wir, die Eltern über den Cannabiskonsum aufzuklären. Wir gehen nicht in ein Klassenzimmer und erzählen 30 jungen Erwachsenen vom Cannabiskonsum, denn das ist nicht effektiv. Es gibt vielleicht zwei Kinder in der Klasse, die Cannabis konsumieren und sich nicht dafür interessieren, aber unter den anderen 28 gibt es vielleicht welche, die sich aufgrund unseres Vortrags für die Substanz interessieren“, erklärt der Suchtexperte.

Tom Bart über Cannabis-Legalisierung

* auf Englisch

Tom Barts Rat an diejenigen, die mit einer Cannabissucht zu tun haben: Gespräche seien der Schlüssel. „Wie immer ist bei einer Sucht der erste Schritt, mit jemandem darüber zu sprechen. Das muss nicht unbedingt eine medizinische Fachkraft sein, es kann auch ein Freund oder Kollege sein. Es ist immer mit viel Scham verbunden, süchtig zu sein oder den eigenen Konsum nicht kontrollieren zu können und wenn man sich schämt, wird man lügen und sich Geschichten erzählen, damit man sich besser fühlt.“ Es ist wichtig, dass man sich im Gespräch nach oben arbeitet, vom eigenen sozialen Umfeld über den*die Arzt*Ärztin bis hin zu den Fachleuten, die helfen können, das Problem als gesundheitliches und nicht als rechtliches Problem zu behandeln.

Ein bemerkenswerter Effekt, der sich aus dem Gespräch mit einem Suchtexperten in den Niederlanden ergibt, ist die Tatsache, dass das Land in seiner Herangehensweise an den Drogenmissbrauch gereift ist; eine Erfahrung, die sich aus den langen Jahren der Entkriminalisierung und der Präventionsarbeit ergibt. Bevor Luxemburg auch nur annähernd in diese Richtung gehen könnte, muss es zunächst das rechtliche Problem lösen, das die Cannabispolitik zu verursachen scheint.