Eine Pille zur Beruhigung, eine Pille zum Einschlafen – vor allem im hohen Alter werden Krisenmedikamente, die für die Behandlung akuter Symptome entwickelt wurden, oft chronisch eingenommen. In Ermangelung anderer Lösungen verschreiben Ärzt*innen häufig Medikamente, die Patient*innen sonst anderswo suchen würden. Teil Eins eines Blicks auf die legale Suchtszene.
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Vor einigen Jahren betrat eine Frau eine Arztpraxis mit dem Ziel, ihre Sucht in den Griff zu kriegen. Ihr Konsum war für sie zu diesem Zeitpunkt nicht länger finanzierbar. Es war jedoch nicht der Stoff selbst, der zu teuer wurde – Benzodiazepine (gehören zur Familie psychoaktiver Beruhigungs- und Schlafmittel, siehe Infobox) sind vergleichsweise billig und werden zu 40 Prozent von der Krankenkasse erstattet. Nein, ihr Problem waren die sich auftürmenden Taxikosten. Jeden Morgen fuhr sie zu einer neuen Praxis, um sich von unterschiedlichen Ärzt*innen ihr Rezept für den Tag abzuholen, das eigentlich für einen Monat gedacht ist. Sie wusste selbst: Autofahren unter dem Einfluss von so vielen sogenannten Benzos wäre totgefährlich. Doch sie abzusetzen ist schwer – und bei der Höhe ihres Konsums ein gesundheitlich schwieriger Prozess, der Zeit braucht. Ein extremes Fallbeispiel, das verdeutlicht, welche Strapazen Leute auf sich zu nehmen, um ihren Fix nach suchterzeugenden Medikamenten zu bekommen, die oft ursprünglich korrekt verschrieben, aber fälschlicherweise nie abgesetzt wurden.
"Rund ein Prozent der Bevölkerung nimmt regelmäßig über einen langen Zeitraum mehr als die medizinisch angemessene Dosis [an Benzodiazepinen] ein", sagt Dr. Jean-Marc Cloos, der Medizinische Direktor des Centre Hospitalier du Nord (CHdN). In seiner beruflichen Laufbahn hat er sich auf die Auswirkungen dieser Medikamente spezialisiert und seine PhD-These darüber geschrieben. Eigentlich sind diese für die kurzfristige Behandlung von Schlaf- und Angststörungen entwickelt worden. So sei es laut Cloos zum Beispiel kein größeres Problem bei akuter Flugangst ein Beruhigungsmittel zu nehmen, wenn man nicht gerade Vielflieger ist. Die Schwierigkeiten beginnen, wenn man danach nicht mehr damit aufhört. "Die Ärzte müssen sich bewusst sein, dass einer von fünf Patienten, die Benzos verschrieben bekommen, den Konsum nie wieder einstellen wird", unterstreicht Cloos.
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