Wie sieht ein Bürgerkrieg aus – jenseits der Filter und redaktionellen Entscheidungen der großen Medienkooperationen? Wie ist es, aus einer Heimat, die man kaum wiedererkennt, über ihn zu berichten? Lina, eine Journalistin und Aktivistin aus Syrien, erzählt diese Geschichte in dem Dokumentarfilm 5 Seasons of Revolution – und in unserem Interview.
Wir treffen Lina – einen der fünf Decknamen, die sie verwendet, um sich, ihre Freunde und ihre Familie in Syrien zu schützen - auf dem Filmfestival in Luxemburg. Zum Zeitpunkt unseres Gesprächs wird ihr Dokumentarfilm 5 Seasons of Revolution im Saal nebenan vor einem Publikum aus luxemburgischen Lycée-Schülern gezeigt. Für viele von ihnen ist es das erste Mal, dass sie Bilder dieses mehr als ein Jahrzehnt andauernden Konflikts sehen, die über Stereotypen hinausgehen: Anstelle von maskierten Männern mit Gewehren in den Straßen, zerstörten Gebäuden und zerlumpt aussehenden Menschen, die Taschen tragen, werden sie Syrien so sehen, wie die heute 40-jährige Lina und ihre Freunde und ihr Team es gesehen haben – aus der Perspektive von Journalisten und Aktivisten, die miterlebt haben, wie das Land, in dem sie aufgewachsen sind, in etwas anderes verwandelt wurde, in etwas, das weit entfernt von einer Heimat ist. Sie sehen Freundschaften, Familien, den seltenen verschneiten Tag in Damaskus, der als plausible Ausrede dient, um alltägliche Momente offen zu filmen – aber auch die Tragödie und den Verlust, der mit dem Krieg einhergeht. Lina, die seit einigen Jahren in Europa wohnt, weiß zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass ihr Film später an diesem Wochenende den Preis der Jugendjury gewinnen wird.
Lëtzebuerger Journal: Normalerweise wird diese Frage als eine Formalität gestellt, aber in diesem Fall ist es gerechtfertigt, sie in aller Aufrichtigkeit zu stellen. Wie geht es Ihnen?
Lina: Oh. Es ist schon eine Weile her. Jetzt geht es mir schon viel besser. Zeit hilft sehr. Und gerade heute geht es mir sehr gut, das hier ist die beste Art und Weise, wie ich mir vorstellen kann, den 8. März [Internationaler Frauentag, d. Red.] zu verbringen. Es ist inspirierend, aber ich spüre auch ein bisschen den Druck der Verantwortung vor all diesen jungen Frauen, die an Journalismus interessiert sind. Aber letzten Endes ist es das, was ich mir vorgenommen habe.
Ich habe diese Frage teilweise deshalb gestellt, weil man im Film das Gefühl hat, dass Sie sehr wütend auf sich selbst sind. Sie sagen: "Wir haben es versucht und sind gescheitert." Fühlen Sie sich auch jetzt noch so, wenn Sie sehen, dass Ihr Film einem internationalen Publikum vorgeführt wird?
Ich sehe jetzt, dass die Art von Veränderungen, die wir anstreben, viel mehr Zeit brauchen, als wir gehofft hatten. Ich weiß also nicht, ob wir schon sagen können, wie sehr wir gescheitert sind. Wir haben die von uns gewünschten Fristen nicht eingehalten, das ist sicher. Es ist auch eine offene Frage, wo wir die Verantwortung für das Scheitern sehen. Liegt sie nur bei uns? Ist sie geteilt? Es gibt auch diese Frage, über die wir jahrelang debattiert haben und die wir jetzt nicht mehr diskutieren – nicht weil wir zu einer Antwort gekommen ist, sondern weil wir sie einfach satthatten: Was haben wir falsch gemacht? Wir haben so viele verschiedene Dinge versucht, wir waren bereit, große Opfer zu bringen. Und das gilt nicht nur für Syrien. Überall im Nahen Osten gab es viele Szenarien: Tunis und Ägypten. Schauen Sie sich an, wo sie jetzt gelandet sind. Da fragt man sich, ob wir die richtige oder die falsche Entscheidung getroffen haben. Aber wenn wir uns dann umschauen, stellt sich die Frage: Welche anderen Möglichkeiten gibt es?
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