Musik, die atmet

Von Pascal SteinwachsLex Kleren

Die Akkordeonistin und Komponistin Nataša Grujović hat sich durch ihre experimentelle und innovative Herangehensweise an ihr Instrument einen Namen gemacht hat. Ein Hausbesuch.

Wir treffen Nataša Grujović hoch über den Dächern von Belair. Die Aussicht von ihrem Balkon könnte beeindruckender nicht sein, die Hauptstadt liegt einem von hier aus regelrecht zu Füßen. Allerdings versinkt die Stadt am Tag unseres Besuchs mehr oder weniger im Nebel, was unsere Fotosession umso spannender macht: Die Akkordeonistin über dem Nebelmeer, frei nach Caspar David Friedrich und seinem bestbekannten Wanderer über dem Nebelmeer.

Grujović, in deren Apartment wir gleich drei Akkordeons und eine ganze Reihe von entsprechenden Effektgeräten ausmachen, bringt uns sogar ein spontanes Ständchen auf dem Balkon, wobei ihr Spiel allerdings nichts damit zu tun hat, was man sich gemeinhin so unter Akkordeonmusik vorstellt.

Nix da mit Schifferklavier und Musikantenstadl: Ihre Musik ist hohe Kunst, von einer zerbrechlichen Schönheit und höchst experimentell. Wenn Grujović spielt, dann verschmilzt sie geradezu mit ihrem Instrument. Man hört das Akkordeon buchstäblich atmen, aber das muss man gesehen, vor allem aber gehört haben, um es zu glauben. Sowieso ist über Musik zu schreiben ja wie über Architektur zu tanzen, um an dieser Stelle mal eine Redewendung unterzubringen, die Frank Zappa zugeschrieben wird.

Zum ersten Mal live gesehen haben wir Nataša Grujović vor zehn Jahren in der Philharmonie, wo sie, zusammen mit ihrem langjährigen musikalischen Begleiter und Mentor Steve Kaspar, im Rahmen eines "akustischen Dialogs in Echtzeit" (wie es seinerzeit in der Ankündigung der Philharmonie hieß) im Espace Découverte auftrat.

Der Auftritt hatte seinerzeit einen derart bleibenden Eindruck bei uns hinterlassen, dass wir die beiden Musiker*innen seitdem unzählige Male live erlebten, zuletzt 2020 in der Escher Kufa im Vorprogramm der US-amerikanischen Drone-Legende Sunn O))). Einige Monate später ist Steve Kaspar dann unerwartet im Alter von 68 Jahren verstorben, was bei Nataša Grujović, die sich plötzlich ihres musikalischen Partners und besten Freundes beraubt sah, einen riesigen Schock auslöste.

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