Die Taliban klopften jede Nacht an ihre Tür

Von Melody HansenLex Kleren

Die Taliban haben angekündigt, dass alle unverheirateten afghanischen Frauen und Mädchen Taliban-Mitglieder heiraten müssen. Hätte Marjan Abassi nicht vor sechs Jahren ihr Heimatland verlassen, wäre sie mit ihren heute 20 Jahren womöglich eine von ihnen. Ein emotionales Gespräch über die aktuelle Situation in Afghanistan.

Marjan Abassi strahlt Offenheit aus, als sie zum Interview ins Bahnhofsviertel kommt. Die zierliche junge Frau trägt ein professionelles Outfit. Ihre geflochtenen, fast schwarzen Haare sind locker mit einem Schal bedeckt. Ihre Augen sind dunkel und tief, darunter liegt ein leichter Schatten. In fließendem Französisch entschuldigt sie sich für die fünf Minuten Verspätung. Der Bus brauchte etwas länger. Als unser Fotograf sie wenig später um verschiedene Posen bittet, macht es nicht den Anschein, als würde sie sich dabei unwohl fühlen. „Kein Problem, Sie dürfen alles aufnehmen, fotografieren und schreiben“, hatte sie beim Vorgespräch gesagt.

Marjan Abassi hat ihr Heimatland Afghanistan 2015 zusammen mit ihrem Vater und ihrem älteren Bruder verlassen. Ihr Vater arbeitete damals als Arzt für das Militärkrankenhaus. „Die Taliban wollten das nicht. Sie wollten, dass er stattdessen für sie arbeitet, weil sie zu dem Zeitpunkt Ärzte brauchten“, erzählt die 20-Jährige. Ihr Vater wollte das jedoch auf keinen Fall. „Sie haben meinen Vater immer wieder verwarnt und ihm gedroht.“

Das Ultimatum

Die sechsköpfige Familie lebt zu dem Zeitpunkt in einer Provinz Afghanistans, einer eher ländlichen Gegend. Vater und Bruder arbeiten in der Hauptstadt Kabul und kommen nur freitags nach Hause, um Zeit mit der Familie zu verbringen. „Die Taliban haben jeden Freitag an unsere Tür geklopft und nach meinem Vater gefragt, um ihm erneut zu drohen.“ Manchmal habe ihr Vater sich dann versteckt. Und jedes Mal hatte die Familie Angst um ihr Leben. „Das letzte Mal als sie gekommen sind, vor unserer Flucht, haben sie meinem Vater ein Ultimatum gestellt: Entweder er arbeitet mit ihnen zusammen oder sie tun ihm etwas an.“ Marjans Mutter ruft ihrem Mann, der zu dem Zeitpunkt in der Hauptstadt ist, sofort an. Er soll nicht nach Hause kommen, sagt sie. Sonst würde etwas Schlimmes passieren.

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