Die Kultur des Noch-Nicht-Wissens

Von Misch Pautsch

Im vergangenen Jahr wurde eine bequeme Illusion gebrochen: Expert*innen wussten etwas nicht. Die Leute mussten warten. Doch genau dieses unbequeme Noch-Nicht-Wissen ist der Treibstoff der Forschung.

„Wir wissen es nicht.“ Es ist ein Ein-Satz-Cliffhanger, ein intellektueller Sprung ins lauwarme Wasser. Und er fällt meist genau dann, wenn die Gemüter heiß laufen. Als Prämisse fast jedes Krimis lädt er ein, einen Blick auf die letzte Seite des Buches zu werfen. Im vergangenen Jahr wurde der Menschheit jedoch klar: Das Buch ist nicht zu Ende geschrieben, wir können keine Seiten überspringen. Während die Wissenschaftler*innen mittlerweile genug Wissen geschafft haben, um Impfstoffe herzustellen, hängt die unbequeme Ungewissheit immer noch im Raum wie ein Elefant: Die Leute, von denen man erwartet, dass sie „es wissen“ …wussten es nicht. Und außerhalb des Romans ist es ein furchteinflößender Satz, folgt auf Katastrophen, Terroranschläge oder Vermisstenmeldungen. Er macht Diskussionen über die genauen Effekte von Klimawandel, Genmanipulation, oder Nebenwirkungen von Impfstoffen kompliziert. Gleichzeitig ist er jedoch der Treibstoff der Forschung.

Klickbait hat keine Zeit für Nuance 

„Nichtwissen muss man aushalten können“, sagt Professor Jens Kreisel, Vizerektor für Forschung der Universität Luxemburg: „Und das können Wissenschaftler eigentlich ganz gut.“ Die besten Forscher seien oft die, die wissen, was sie nicht wissen. „Es gehört eine bestimmte Eleganz und Bescheidenheit dazu, das zuzugeben.“ Oft jedoch fehlt diese Geduld, in den (sozialen) Medien und in der öffentlichen Debatte: Sätze wie „Wissenschaftler*innen haben herausgefunden…“ oder „Die Wissenschaft hat bewiesen, dass…“, beißen sich mit dem sehr langwierigen, wissenschaftlichen Prozess: „Dass wir etwas wirklich verstanden haben, kann man bei kleinen, präzisen Dingen eventuell so sagen. Nehmen wir meinen Nachnamen: Kreisel. In der Physik haben wir die Kreiselbewegung verstanden, wir wissen, wie das funktioniert. Da passt der Satz. Aber das können wir nur sagen, weil die Problematik sehr simpel und isoliert ist – wenn auch immer noch sehr kompliziert – und weil der Frage seit langem nachgegangen wird.“ Bei größeren, komplexen Themen klappe das nicht immer. Denn einer Frage wirklich auf den Grund gehen und wohlfundierte Wissenschaftliche Meinungen zu bilden ist ein zeitaufwändiger Prozess, für den schnelllebige Medien oft keine Geduld haben.

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