Die Echokammer sozialer Medien verstehen - Kann Mathematik helfen, Polarisierung zu verhindern?

Von Misch Pautsch Für Originaltext auf Englisch umschalten

Unsere Welt wird zunehmend von politischer Polarisierung und Fehlinformationen bestimmt. Doch obwohl wir ihre Auswirkungen bemerken, wissen wir nur wenig darüber, wie die Polarisierung tatsächlich funktioniert. Dr. Christos Koulovatianos und sein Team arbeiten daran, Antworten zu finden und so der Gesellschaft die Werkzeuge an die Hand zu geben, um eine gemeinsame Basis in der Realität zu erhalten.

Wie genau funktionieren Polarisierung und Populismus im Internet, und zwar auf technischer Ebene? Während diese Frage für den Zusammenhalt der Gesellschaft immer wichtiger wird, bleibt ihre Beantwortung eine große Herausforderung, insbesondere aufgrund der überwältigenden Komplexität der Beziehungen und Verbindungen in den sozialen Medien. Um die Dynamik, die diese spaltenden Kräfte antreibt, besser zu verstehen, leitet der Wirtschaftsprofessor und Leiter des Fachbereichs Finanzen der Universität Luxemburg Christos Koulovatianos das POPULISM-Projekt, das zu einem großen Teil vom Nationalen Forschungsfonds Luxemburgs (FNR) finanziert wird. Sein Team entwickelt mathematische Modelle, um die Mechanismen des Populismus in Online-Räumen zu quantifizieren, in der Hoffnung, Werkzeuge für eine Gesellschaft bereitzustellen, die sich häufig selbst nicht wirklich versteht. Wir haben uns mit ihm zusammengesetzt, um darüber zu sprechen, warum sich ein Wirtschaftswissenschaftler mit einem Thema befasst, das eigentlich eher in der Soziologie zu Hause ist, wie man eine Echokammer mathematisch modellieren kann und ob soziale Medien jemals wirksam reguliert werden können.

Lëtzebuerger Journal: In Ihrer Arbeit geht es um die Quantifizierung von Populismus und politischer Polarisierung. Die meisten Menschen würden das mit Psychologie oder Politikwissenschaft in Verbindung bringen. Wie kommt es, dass Sie sich als Makroökonom mit diesem Thema befassen?

Dr. Christos Koulovatianos: Das ist eine berechtigte Frage. In den Sozialwissenschaften klafft eine große Lücke zwischen der Praxis und der Grundlagenforschung, die verbirgt, wie mathematisch und doch breit gefächert die ökonomischen Instrumente der Grundlagenforschung geworden sind. In den Wirtschaftswissenschaften haben wir eine harte Lektion gelernt, insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg. Unser Fach wurde von den harten Wissenschaften in Frage gestellt, ob es überhaupt eine Wissenschaft sei. Wir führten ideologische "Bürgerkriege" - Keynesianer gegen Monetaristen, zum Beispiel - und die einzige Möglichkeit, eine gemeinsame Basis zu finden, bestand darin, unsere Analyse zu mathematisieren. Wenn man ein dynamisches System aufschreibt, kann man es testen. Man kann sehen, wie kleine Änderungen der Parameter zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen führen können - das ist das Wesen der Chaostheorie. Diese quantitative Strenge erzwingt Klarheit und ermöglicht falsifizierbare Aussagen, was das Fundament der Wissenschaft ist.

Wir sind der Meinung, dass eine ähnliche quantitative Strenge jetzt für die Untersuchung sozialer Phänomene wie Populismus unerlässlich ist. Wir haben zwar viele hervorragende qualitative Beschreibungen, aber uns fehlen die Instrumente, um die Dynamik des Systems so zu modellieren, dass die Entscheidungswerte und Überzeugungen der Menschen mit dieser Dynamik übereinstimmen. Wir versuchen nicht, Psychologen zu sein; wir geben nicht vor, das individuelle Bewusstsein zu modellieren. Stattdessen nähern wir uns dem menschlichen Verhalten als ob sie Roboter wären. Wir erstellen ein Modell des Systems und seiner Anreize und sehen dann, wie ein rationaler (oder nur begrenzt rationaler) Akteur reagieren würde. Das Ziel besteht nicht darin, eine Person perfekt zu beschreiben, sondern ein nützliches Modell des Systems zu erstellen, das uns hilft, emergente Eigenschaften zu verstehen.

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