Das Luxemburger Handwerk - Pascale Seil
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Ein für Frauen verbotenes Studium, die Schließung ihres Betriebes wegen der Pandemie und krankheitsbedingte Ausfälle durch zwei Operationen in kurzer Zeit. Pascale Seil musste und muss auch heute noch viele Hindernisse überwinden, um das tun zu können, was sie liebt: Glas blasen. Sie ist die Heldin einer Erfolgsgeschichte mit vielen Wendungen.
Die Kleine Luxemburger Schweiz ist ein Traumziel für Luxemburger und ihre Nachbarn. Die wilde Region des Müllerthals ist voller Überraschungen, die einem bei jedem neuen Besuch ins Auge springen; Felsformationen, Bäche, Wasserfälle und… die Glasbläserei von Pascale Seil.
Eine alte Scheune, die aussieht wie ein Geschäft
Nur wenige Kilometer vom „Natur- & Geopark Mëllerdall“ entfernt, führen eine Reihe von atemberaubenden Wegen nach Berdorf, einem charmanten Dorf, in dessen Mitte eine alte restaurierte Scheune liegt, die so exotisch ist wie die Umgebung. Hinter der grauen Fassade mit dem minimalistischen „made by Seil“-Logo an der Außenseite verbirgt sich eine echtes Spektakel- vielleicht das einzige, das im Moment erlaubt ist, da Konzerte, Theaterstücke und andere Aufführungen aufgrund der Pandemie größtenteils verboten sind.
Im hinteren Teil dieses charmanten kleinen Glasladens ist nämlich die Glasbläserwerkstatt für jedermann zugänglich. Unter großen Holzbalken begrüßt uns Pascale Seil, die hauseigene Glasbläserin, mit einem Lächeln bei der Arbeit. Umgeben von Fenstern, erhellen die Sonnenstrahlen den hellen Raum. Die Liebe zu ihrem Beruf ist auf Anhieb allgegenwärtig. Sie strotzt nur so vor Leidenschaft für das Glas. Pascale hält sich meist zurück, um ihre Arbeit für sich selbst sprechen zu lassen. „Ich bevorzuge Nahaufnahmen von meinen Händen, die das Glas bearbeiten, gegenüber Porträts“, sagt sie, bevor sie ein scherzhaftes „Cheeeeeese“ hinzufügt, um den Fotomoment für sich selbst weniger unangenehm zu gestalten.
Pascale macht sich wieder an die Arbeit, denn am Ende ihres Stocks, einem hohlen Eisenrohr, das zum Blasen dient, kühlt das zuvor gepflückte Glas ab. Sie steht von ihrer Bank auf, einem großen Holzstuhl mit Eisenarmen, die es der Glasbläserin ermöglicht, den Stock ständig zu drehen. Heute arbeitet sie an einem kleinen Stück hier reicht der Schmelzofen aus. Für größere Arbeiten muss sie den Nachwärmofen einschalten. Pascale verfügt über eine große Auswahl an vorgefärbten Glaspulvern um ihre Kunstwerke zu färben. Hinter ihren Öfen stehen mehr Gläser, als man zählen kann - ein Feuerwerk der Farben. Neben Aubergine, Lagune oder Safran ist es der Whiskey-Ton für den sie sich entschieden hat.
Pascale Seil, Glasbläserin
Das Glas kommt aus dem Ofen, Pascale startet ihren x-ten Rundgang durch die Werkstatt. „Ich erhitze, ich setze mich hin, ich erhitze, ich setze mich hin … das verbrennt Kalorien. Sobald ich zu Hause bin, muss ich nicht mehr trainieren“, scherzt sie. Zurück an ihrer Werkbank formt sie ihr Stück Glas mit einem Holzhammer und einem Befeuchtungswerkzeug, gefaltetem Zeitungspapier, das eine Stunde lang in Wasser gelegen hat, während ihr Assistent mit der Kraft seines Mundes das Glas bläst, dessen Luft sich bei einer Hitze von bis zu 1.000 Grad ausdehnt: „Glasblasen ist eine echte Teamleistung.“ Wenn die Form erreicht ist, genügt ein Schlag mit der Schere mit Griffen, um das Glas von seinem Stock zu lösen: die Arbeit ist getan. Das Polieren kommt später.
Keramik als erste Leidenschaft
Pascale Seil geht hinauf in den ersten Stock ihres Ladens, insgesamt sind es drei Etagen. Jede von ihnen blickt auf die Öfen. Der Ort, der verschiedene Materialien - vor allem Holz, Glas und Beton - mischt, ist warm und angenehm zu bewohnen. Sie fühlt sich hier wohl und ist stolz darauf. Ihre Verbindung mit dem Glas ist perfekt. Es wäre fast nie dazu gekommen. Pascale Seil hat in ihrem Leben viele Hindernisse überwinden müssen, aber sie haben sie so geformt, wie sie heute jedes ihrer Stücke gestaltet: geduldig, solide und akribisch detailliert. Diese Hindernisse haben sie zu einer wahren Glaslady gemacht.
„Schon als kleines Mädchen, liebte ich es, mit meinen Händen zu arbeiten und zu basteln“, sagt Pascale. Seit der Schule folgte sie diesem Weg und entschied sich zunächst für das Keramikstudium am Lycée des Arts et Métiers. Nachdem sie ihr CATP in Keramik gemacht hatte, wollte sie an der École des Arts Décoratifs in Straßburg studieren. Sie nahm eine Woche lang an den Auswahlverfahren teil und bestand jeden Test, ohne zu wissen, dass das Diplom, das sie in Luxemburg erworben hatte, ihr nicht den Zugang zu der angestrebten Ausbildung ermöglichte - da es keine 13 Jahre umfasste. Glücklicherweise fand ein Lehrer eine Lösung: Sie sollte gleich mit dem 3. Jahr, der Werkstattarbeit, beginnen und die ersten 2 Jahre, den eher theoretischen Teil, überspringen. Sie hätte zwar dann kein Diplom im Kunstgewerbe, aber ein Papier, das ihr das dort erworbene Wissen bescheinigt. „Das passte mir“, sagt sie, „Diplome waren nicht mein Ziel. Ich wollte etwas lernen.“ Pascale hatte also diesen Weg eingeschlagen.
„Schon als kleines Mädchen, liebte ich es, mit meinen Händen zu arbeiten und zu basteln.“
Es war während ihres ersten Jahres in Straßburg, dem 3. Jahr des Zyklus also, als Pascale zum ersten Mal mit Glas in Berührung kam nachdem in der Schule gerade ein Schmelzofen gebaut worden war. Nur 7 Studenten wussten wie man ihn benutzt. „Wir bliesen das Glas und es nahm die Form an, die wir wollten; ich sah sofort, dass da noch mehr geht und es ein Handwerk zu erlernen gab“, erklärt sie. Darüber hinaus kam Alain Begou, ein renommierter französischer Glasbläser, nach Straßburg um eine Woche lang sein Fachwissen mit der Klasse zu teilen. Infolgedessen verliebte sich Pascale in Glas, das ihrer ungeduldigen Persönlichkeit besser entspricht als Keramik, denn „man muss wissen, was man machen will und man muss es sofort machen; man kann nicht aufhören und hat das Ergebnis am nächsten Tag.“ Ihre Entscheidung, die Keramik zugunsten von Glas zu verlassen, war also gefallen.
Eine Männer-Disziplin, die für Frauen verboten war
„Glas wird in Italien geblasen.“ Für Pascale war klar: Ihr nächstes Ziel würde der Stiefel sein … oder auch nicht. Nachdem ihr von der italienischen Botschaft in Luxemburg mitgeteilt worden war, dass sie, um in Italien zu studieren, venezianisch sprechen müsse, fiel Pascale bereits aus allen Wolken, ehe sie überhaupt ein Sprachbuch aufschlagen konnte. „ ‚Aber du bist eine Frau - das ist nicht in Ordnung.‘ Damals konnten in Italien nur Männer das Glasblasen lernen, Frauen nicht.“ Enttäuscht, aber entschlossen, ihren Traum zu verwirklichen, gab Pascale nicht auf und wandte sich an Dänemark, ein Land, das damals „moderner“ war.
Studien in Italien
Pascale Seil über Sexismus in der Glasbläserbranche in Italien.
*auf Luxemburgisch
Während sie auf den Beginn des nächsten Schuljahres wartete, ging Pascale zu Scott Slagermann, einem international bekannten amerikanischen Glasbläser, nach Saumur, Frankreich. Sie blieb dort ein Jahr lang, bevor sie erfuhr, dass in der Nähe eine Glasschule eröffnet werden sollte. Dann gab sie Dänemark auf und schloss ihr Studium mit einem Diplom in Glasbläserei am Centre Européen de Recherches et de Formation aux Arts Verriers in Vannes-le-Châtel, ebenfalls in Frankreich, ab.
Zurück in Luxemburg, gründete Pascale Seil mit Unterstützung ihrer Familie ihre eigene Werkstatt. Obwohl es finanziell schwierig war, hat es sich gelohnt. Ihre Eltern glaubten an sie und halfen ihr, ihre jetzige Werkstatt zu kaufen: eine erfolgreiche Wette. Sie wussten, dass sie der Typ ist, der „bis zum Umfallen arbeitet“ und das hat sie auch getan. „Die ersten 10 Jahre sind schwierig: Es gibt immer ein Minuszeichen vor den Zahlen. Dann, nach 10 Jahren, geht es bergauf“, analysiert sie heute. „Irgendwann, wenn man weiß, dass es vorbeigeht, wird es einfacher.“
In ihrem Atelier stellt Pascale Seil alle Arten von Glasarbeiten her, sowohl für den Verkauf als auch für Ausstellungen. Tatsächlich werden die Stücke der Glasbläserin in ihrem Laden und anderen Geschäften im Land verkauft. Daneben stellt sie auch in Paris, in zwei Galerien aus, darunter in der „Not A Gallery“ der Familie Dassault, wie auch in Galerien in Deutschland. Die von der Chambre des Métiers ins Leben gerufene Pop-up-Ausstellung des Vereins „De mains de maîtres“ ist ebenfalls mit einem roten Marker in ihrem Kalender gekennzeichnet. In Sachen Inspiration lässt sie sich von den Wäldern, Landschaften und Farben des Müllerthals ebenso mitreißen wie von ihren eigenen Kunstwerken und denen anderer Künstler. „Alles, was man sieht, ob hier oder auf Reisen, ist eine Quelle der Inspiration; es ist eine Mischung aus verschiedenen Dingen.“
„Alles, was man sieht, ob hier oder auf Reisen, ist eine Quelle der Inspiration.“
Das Jahr 2020 mit all seinen Einschränkungen war für die Glasbläserin wie ein Paukenschlag. Sie beschreibt den Moment, als alles heruntergefahren werden musste, als „Horror“. „Man fällt in ein Loch, alles bleibt stehen und man weiß nicht, wie es weitergeht.“ Zum Glück hat Pascale das Glück, „in einem gewissenen Alter zu sein und Rücklagen gebildet zu haben“. Sie fügt hinzu: „Wenn das passiert wäre, als ich jung war und mein Geschäft gerade erst begonnen hatte, hätte ich es schließen müssen. Das wäre es dann gewesen.“
Aber das ist noch nicht alles. Zusätzlich zum Covid-19 unterzog sich Pascale Seil zwei Operationen, die ihr Geschäft im Jahr 2020 verlangsamten und sogar für einige Monate auf Eis legten. Erst hatte sie im Juli eine Rückenoperation, dann brach sie sich im November beim Sägen einer Glasscherbe mehrere Knochen in der Hand, was sie zu einer Pause bis Januar 2021 zwang. Wenn sie ausfällt, liegt der ganze Betrieb brach. „Meine Assistenten können meine Stücke nicht alleine machen. Wenn ich krank bin, funktioniert nichts mehr.“ Dann stellte sich die Frage, wie man sie bezahlen sollte, denn die Kassen waren durch den Lockdown leer. Die Antwort kam von der Chambre des Métiers, die Pascale half, eine Teilarbeitslosigkeit für ihre Assistenten zu erhalten.
Finanzielle Hilfe der Chambre des Métiers
Pascale Seil über die finanzielle Unterstützung der Chambre des Métiers bei der Beantragung von Teilarbeitslosigkeit für ihre Assistenten während der Zeit ihrer Ausfälle.
*auf Luxemburgisch
Heute gehört das Jahr 2020 der Vergangenheit an und das Jahr 2021 hat gut begonnen. „Die Kunden bestellen online oder per Telefon und wir können wieder zu ihnen nach Hause kommen, um individuelle Beleuchtung anzufertigen.“ Pascale Seil denkt auch schon über die Stücke nach, die sie im luxemburgischen Pavillon auf der Expo in Dubai präsentieren wird. Im Atelier stellt sie derzeit die Werke der Malerin Ann Vinck aus, und bereitet sich darauf vor, den Fotografen Luc Ewen vom 4. bis 18. Juli zu präsentieren. Daneben teilt sie sich den Verkaufsraum dauerhaft mit der Schmuck- und der Goldschmiedin Annick Mersch.
Trotz vieler Rückschläge hat Pascale Seil ihren Traum verwirklicht und ihren eigenen kleinen Glastempel geschaffen. „Du darfst niemals aufgeben“, beharrt sie. „Es wird immer Höhen und Tiefen auf deinem Weg geben, aber wenn du alles dafür gibst, wirst du am Ende erfolgreich sein."