Wie blinde Menschen Freizeit leben - Drei Menschen, drei Perspektiven

Von Laura TomassiniLex KlerenSana Murad

Von Krav Maga bis Konzertbühne: Drei sehbehinderte Menschen geben Einblick in ihre Hobbys sowie ihren Alltag – und erklären, warum viele Blinde im öffentlichen Leben trotzdem unsichtbar bleiben.

"So jetzt kommt ein tiefhängender Ast, hier müssen wir rechts abbiegen." Mit viel Geschick, aber auch dem ein oder anderen Marsch gegen einen Straßenpfeiler bahnt sich Claude Keup seinen Weg entlang der Häuser seiner Nachbarschaft. Claude ist blind, denn seit seiner Kindheit leidet er an Retinitis pigmentosa. Nach und nach sterben hierbei die Sehnerven ab. Für Claude bedeutete dies: mit Mitte 30 das Aus als Metzger, nun die Frührente. Jeden Tag geht der 62-Jährige mit seinem Hund Jack spazieren. Dieser ist kein ausgebildeter Blindenführhund, sondern einfach das Haustier der Familie, das – der Klassiker – die Kinder wollten, nun aber von Claude ausgeführt wird. Seit seiner Erblindung hat sich das Leben des Vaters verändert. Weder zum Besseren, noch zum Schlimmeren, halt einfach nur anders, sagt er, während er zurück zu seinem Haus spaziert.

"Früher hatte ich ein 50-Kubik-Motorrad und bin mit dem Traktor gefahren. Meine Eltern hatten einen Bauernhof. Den Führerschein fürs Auto wollte ich eigentlich auch machen, habe mich dann aber nicht so richtig getraut." Schon vor 40 Jahren wurde Claude gesagt, dass er irgendwann einmal nichts mehr sehen würde. Nach einiger Zeit ging dann alles sehr schnell und der Familienvater musste seine Gewohnheiten umstellen. "Meine Frau scherzt immer, dass ich das Ganze getimed habe, um auf die Kinder aufzupassen." Die Aufgaben werden seither geteilt: seine Frau mäht, er packt das Gras in die Mülltonne; er schiebt den Einkaufswagen, seine Frau füllt diesen.

Mit dem Fahrrad und der Tram unterwegs

Ist der Haushalt erledigt, nimmt sich Claude Zeit zum Lesen oder Filme schauen. Tatort-Krimis sind seine Favoriten. "Ich bestelle vieles aus der Schweiz und erhalte SD-Karten mit Büchern, Zeitschriften und Filmen. Von der Pflegeversicherung habe ich ein Gerät mit vielen verschiedenen Funktionen. Es kann vorlesen, dient mir als Wecker und Radio oder aber fürs Wetter." Regelmäßig trifft Claude sich ebenfalls mit Freund*innen zum "Tandem de la Vue", einem Fahrradverein für Sehbehinderte. "Gestern sind wir 63 Kilometer gefahren und einmal im Jahr machen wir einen Ausflug mit Übernachtung im Ausland."

Er erinnert sich noch an alles von vor seiner Erblindung: die Farben, die Gesichter, die Landschaften. Dennoch ist der 62-Jährige nicht frustriert, sondern genießt seine Freizeit, die er ebenfalls in die Sensibilisierung anderer investiert. "Ich gebe regelmäßig für Info-Handicap Weiterbildungen, um zu verschiedenen Themen aufzuklären oder zu beraten, vor allem in puncto Barrierefreiheit." Dabei ist Claude quasi voll-autonom und bestellt entweder einen Adapto-Bus oder fährt mit der Tram. "Diese ist super, mit Leitlinien an der hintersten und vordersten Tür sowie speziellen runden Haltestangen, an denen wir Blinde uns den Kopf nicht stoßen", erklärt der 62-Jährige. Er habe im Alltag viele Anhaltspunkte, die ihm dabei helfen, sich zu orientieren, zudem seien die meisten Menschen hilfsbereit, so dass auch die Gestaltung der eigenen Freizeit relativ flexibel ausfällt.

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