Untergrabung der Pressefreiheit

Von Camille Frati Für Originaltext auf Französisch umschalten

Ein kürzlich gestimmtes Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) bezüglich der Finanzpresse könnte die Tendenz verstärken, private Interessen gegenüber der Information der Öffentlichkeit zu bevorzugen. Ein gefährliches Ungleichgewicht in einer Demokratie. Eine Analyse.

Jeden Tag ist die Pressefreiheit auf der ganzen Welt in Gefahr. Diese Gefahr kann offenkundig und leicht erkennbar sein, so wie in der Ukraine, wo in- und ausländische Journalisten*innen von der russischen Armee ins Visier genommen werden. Vier von ihnen sind dort bereits umgekommen als sie ihrer Tätigkeit nachgegangen sind: berichten, informieren, weitergeben und sehen, was die Welt nicht mit eigenen Augen sehen kann. Aber nicht immer ist Mord die Antwort auf eine unerwünschte Presse, es gibt weitere Verstöße gegen die Pressefreiheit bei denen die Reaktionen weniger auffällig, aber nicht weniger gefährlich oder schädlich für den Berufsstand und vor allem für die Information der Öffentlichkeit ist.

Die Finanzpresse wartete fieberhaft auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs in einem Fall aus dem Jahr 2012. In diesem Jahr stellte die französische Finanzmarktaufsicht (Autorité des marchés financiers, kurz AMF) mehrere ungewöhnliche Transaktionen fest, die Unternehmen betrafen, die an einem öffentlichen Übernahmeangebot beteiligt waren, nämlich Hermès und Maurel & Prom. Innerhalb eines Jahres gaben zwei in Großbritannien ansässige Personen zweimal Kaufaufträge für die Wertpapiere dieser Unternehmen auf, kurz bevor ein Artikel in der Daily Mail erschien, in dem Gerüchte über eine Fusion beider Unternehmen und dem hohen Kaufangebot verbreitet wurden. Die AMF untersuchte diese Investoren mit ihrem untrüglichen Gespür und fand heraus, was sie alle gemeinsam hatten: Sie hatten vor der Veröffentlichung des Artikels mit dem zuständigen Autor gesprochen. Der Journalist, ein bekannter Autor der Daily Mail, machte keinen Hehl daraus, dass er diese Personen zu seinen Kontakten zählte. Die AMF war der Ansicht, dass er sich an einem Insiderhandel beteiligt hatte ─ indem er Informationen weitergab, die es Anlegern ermöglichten, ein Ereignis vorwegzunehmen und sich zu bereichern ─ und verhängte eine Geldstrafe von 40.000 Euro gegen ihn.

Finanzmärkte, die es zu schützen gilt

Der Journalist focht diese Entscheidung vor dem Berufungsgericht in Paris an. Das Gericht zog es vor, sich an den EuGH zu wenden, der als Garant für das europäische Recht fungiert und als einziger in der Lage ist, die Übereinstimmung eines Urteils oder eines nationalen Gesetzes mit dem europäischen Recht zu vereinbaren, vor dem Hintergrund eines möglichen Konflikts zwischen der Gesetzgebung zu Insidergeschäften und der Pressefreiheit. Wie in allen komplexen Fällen üblich, hat sich einer der elf Generalanwält*innen des EuGH mit diesem besonderen Fall befasst. Ihre im September 2021 vorgelegten Schlussfolgerungen ließen die Finanzpresse erschaudern: „Die Generalanwältin des EuGH engt den Schutz des spezialisierten Finanzjournalisten im Namen des Schutzes der Märkte ein“, teilte die französische Tageszeitung L'Agefi mit. In ihren zwanzigseitigen Schlussanträgen vertritt die erfahrene Juliane Kokott die Auffassung, dass Finanzjournalisten*innen eine Verantwortung für die Konsequenzen tragen, die die von ihnen verbreiteten Informationen auf den Märkten haben können. In diesem Fall waren die Aktien der betroffenen Unternehmen nach der Veröffentlichung der Artikel um mehrere Prozentpunkte in die Höhe geschossen.

Die Richter*innen des EuGH haben letzte Woche eine Entscheidung getroffen, allerdings nicht vollständig. Sie griffen die Argumentation von Kokott auf und waren der Ansicht, dass die Gerüchte der Aktienmärkte den üblichen Rahmen der Gesetzgebung und der Rechtsprechung zum Schutz von Journalist*innen sprengen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte diesen Schutz auf Handlungen zur Vorbereitung einer Veröffentlichung ausgeweitet. Der EuGH stellt Bedingungen, damit Finanzjournalist*innen keine Probleme fürchten müssen, wenn sie ein Marktgerücht mit einer üblichen Quelle erwähnen: „[Die Weitergabe einer Insiderinformation] muss, für die Ausübung ihres Berufs, als notwendig angesehen werden und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten“. Letztendlich überlassen die Richter*innen es dem Berufungsgericht in Paris, den konkreten Fall des Journalisten der Daily Mail zu untersuchen.

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