Krieg im Nachbarland

Von Sarah Raparoli

Sie werden nicht von Explosionen geweckt und bekommen die Auswirkungen des Krieges trotzdem zu spüren. Menschen in den Nachbarstaaten der Ukraine berichten gegenüber dem Lëtzebuerger Journal von der Situation vor Ort und wie sie versuchen, ihre Nachbar*innen zu unterstützen.

Die Verzweiflung ist in Annas Stimme zu hören. Sie berichtet in Sprachnachrichten gegenüber dem Lëtzebuerger Journal von der Situation vor Ort. Sie ist Ukrainerin – ihre Familie ist halb ukrainisch, halb russisch – und lebt aktuell in Budapest. Mutter, Vater, Großmutter und Hund befinden sich jedoch in Kyjiw, eine sehr belastende Situation für die 27-Jährige. „Am 24. Februar um 6.00 Uhr weckte mich mein Freund mit den Worten, ich müsse meine Familie anrufen, weil Russland in die Ukraine einmarschiert sei. Ich fing an, die Nachrichten zu lesen, um mir ein Bild zu machen, denn es war wirklich schwer, ihm zu glauben, obwohl es möglich war.“ Sie hält inne, als ob sie es noch immer nicht glauben könne. „Mein Vater rief mich an und sagte ich solle mir keine Sorgen machen.“ Sie zitiert den Wortlaut ihres Vaters: „Wir haben die Sirenen gehört, aber sind in Sicherheit. Ich gehe Lebensmittel und Vorräte kaufen. Mach dir keine Sorgen. Und bitte, bitte komm nicht mit deiner Schwester hierher“. Wie Anne in Budapest, lebt ihre Schwester momentan auch im Ausland – zurzeit in Berlin.

Sie in Ungarn, ihre Familie in der Ukraine

Anfangs seien sie in ein privates Haus mit Keller gezogen, weil es dort sicherer sein sollte, aber kurze Zeit später sei ein russisches Geschoss auf eines der Häuser eine Straße entfernt gefallen. „Sie kehrten in unsere Wohnung zurück und schlafen nun auf dem Boden, um nur für den Fall sofort reagieren zu können.“ Ihre Mutter habe einige Tage vor unserem Gespräch eine Panikattacke erlitten, weil niemand weiß, wie es weitergehen soll. Nach Überlegungen, sich zu trennen – Annas Vater sollte in Kyjiw bleiben, Mutter, Großmutter und Hund hätten mit dem Zug oder dem Auto das Land verlassen können – warfen sie diese Pläne über Bord. „Ich glaube, meine Eltern werden das Land nicht verlassen. Ich weiß nicht, wie schlimm die Situation werden muss, damit sie flüchten, aber sie glauben an unsere Armee und unser Volk.“

Anna, die internationale Beziehungen studiert, ihre These über das Minsker Abkommen geschrieben hat und die Situation seit Jahren verfolgt, fühlt sich hilflos. „Ich wache jeden Morgen gegen 3.00 oder 4.00 Uhr auf, melde mich bei meinen Eltern und lese die Nachrichten. Die ersten beiden Tage waren die schlimmsten. Ich schlief zwei bis drei Stunden, wenn überhaupt.“ Sie sei zum Großteil des Tages an ihrem Smartphone oder Laptop und versuche so viel wie nur möglich zu helfen – nicht nur ihren Eltern. „Ich teile täglich zuverlässige Informationen, ich übersetze Nachrichten in verschiedene Sprachen und versuche, Menschen zu helfen und sie mit anderen in Verbindung zu setzen.“ Als Ukrainerin im Ausland verspüre sie eine Art Schuld. „Es ist hart, dieses Gefühl abzuschütteln. Ich fühle mich hilflos, so wie wohl viele andere. Ich habe das Gefühl, nicht genug zu unternehmen.“

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