Sie fragt nach dem Wesen der Dinge, liefert Formeln für ein besseres Leben und verheddert sich mitunter in begrifflicher Haarspalterei: Nicht ganz ohne Grund kämpft die Mutter aller Wissenschaften seit jeher mit einem Imageproblem. Dass Philosophie aber alles andere als ein alter Hut ist, zeigt ihre Bedeutung in einer zunehmend unübersichtlichen Welt.
Milet, Kleinasien, in der heutigen Türkei, sechstes Jahrhundert vor Christus. Thales wird an der ionischen Küste geboren – und mit ihm die abendländische Philosophie. Er soll ein praktischer Naturphilosoph gewesen sein, ein Allrounder, der sich sowohl mit Mathematik und Astronomie als auch mit Ökonomie und Staatskunst beschäftigte. Zwar habe er weder in einem Elfenbeinturm noch in einer Tonne gelebt, dennoch wird ihm nachgesagt, seinen Blick allzu oft im Sternenhimmel verloren zu haben. So soll Thales eines Tages, als er beim Spazieren das Firmament beobachtete und über seine Erkenntnisse sinnierte, in einen Brunnen gefallen sein. Daraufhin habe ihn eine thrakische Dienstmagd verspottet und bemerkt, er wolle mit großer Leidenschaft die Dinge am Himmel wissen, aber wäre unfähig, auf die Dinge vor seinen eigenen Füßen zu achten.
Bis heute steht diese Anekdote aus der Geburtsstunde der westlichen Philosophie, die Thales von Milet als einen in tiefer Kontemplation versunkenen Prototypen seiner Zunft zeichnet, stellvertretend für die Weltfremdheit der Philosophie. Wie aber steht es um die Weisheitsliebe bestellt, mehr als 2500 Jahre nachdem sie das Licht der abendländischen Welt erblickt hat? Ist sie nichts als ein netter Zeitvertreib für langbärtige Greise, die Muße und ein Faible für Mystik haben, eine brotlose Wissenschaft, deren Deutungshoheit gänzlich in Vergessenheit geraten ist? Oder fordert gerade eine immer komplexer werdende Gesellschaft, in der Sinn, Moral und kritisches Denken scheinbar abhandenkommen, mehr Beschäftigung mit Philosophie?
Sinnvoll, aber nutzlos?
„Warum Philosophie? Und wozu?“ Mit solch inquisitorischen Fragen ist Yannick Kohl durchaus vertraut. Seit 2013 studiert der 28-Jährige Philosophie an der Universität Luxemburg, wo er vor knapp drei Jahren mit seiner Promotion begonnen hat. „Die Frage nach der Existenzberechtigung des Faches hat mich während meines gesamten Studiums begleitet“, schildert er. „Wenn Leute heutzutage nach dem Daseinsgrund einer Sache fragen, wollen sie dabei in der Regel deren Nutzen wissen. Und in unserem an einer kapitalistischen Rationalität orientierten Denken ist dieser oft gleichbedeutend mit dem praktischen, ökonomischen Nutzen.“
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