Am anderen Ende der Leitung

Von Laura TomassiniLex Kleren

454545, so lautet die Telefonnummer, die immer ein offenes Ohr hat. Sei es das Bedürfnis, vom Erlebten zu erzählen, nach einer Schulter zum Ausweinen oder einfach aus Einsamkeit – wer bei SOS Détresse anruft, der braucht jemanden, der zuhört. Auch während der Pandemie klingelt das Sorgentelefon tagtäglich und Zuhörer*innen sind gefragter denn je.

Es ist ein Gespräch der ganz besonderen Art, an einem Ort, der eigentlich nichts mit dem behandelten Thema zu tun hat. Den Namen der Interviewpartnerin, die über ihre Erfahrungen spricht, erfährt weder Journalist*in, noch Leser*in, lediglich Sébastien Hay, Direktionsbeauftragter und Psychologe bei „SOS Détresse – Hëllef iwwer Telefon“ gibt sich zu erkennen. „Die Anonymität gilt bei uns als Grundregel und das auf beiden Seiten“, erklärt Hay. Einerseits, um den Anrufer*innen den Appell zu erleichtern, da Schamgefühl und Hemmschwellen wegfallen. Andererseits aber auch, um die Personen hinter dem Hörer zu schützen. „Deshalb steht von uns auch nirgends eine Adresse. Wir sind eine Telefonseelsorge und beraten nicht vor Ort“, meint der Verantwortliche.

Seit zwölf Jahren gehört ebenfalls die beim Interview anwesende Mitarbeiterin zum Team von SOS Détresse. Ihre Ausbildung liegt jedoch deutlich länger zurück, denn diese absolvierte sie vor über 30 Jahren im Ausland. „Ich habe mein ganzes Leben lang im sozio-edukativen Bereich gearbeitet, aber erst vor zwölf Jahren den Dienst am Telefon wiederaufgenommen.“ Der Mangel an Stellen trieb die Beraterin nach Luxemburg, hier musste sie sich allerdings erst einleben, um die Sorgen und Bedürfnisse ihrer Anrufer*innen wirklich verstehen zu können. „Ich denke, wenn man am Telefon sitzt, muss man wirklich im Land angekommen sein und sowohl die Sprache als auch das Lebensumfeld kennen.“

Menschlicher Kontakt ist nicht selbstverständlich

Ob eine persönliche Erfahrung sie dazu geführt habe, sich beim Sorgentelefon zu melden, beantwortet die Mitarbeiterin mit: „Ich glaube, jeder von uns braucht manchmal jemanden, der einem zuhört. Wenn mehr Menschen auf Empfang schalten würden, dann hätten wir bei SOS sicherlich weniger Arbeit.“ Im Leben müsse man immer Krisen bestehen. Um dies zu meistern, bedürfe man Menschen, die einem zuhören, mit denen man sich austauschen kann und die einen unterstützen. „Natürlich gab es bei mir auch schon Krisen, ich hatte jedoch stets das Privileg, einen guten Familien- und Freundeskreis zu besitzen, an den ich mich wenden konnte“, so die Mitarbeiterin.

Es müsse nicht immer das große Problem sein, das einen zum Verzweifeln bringt. Manchmal werfe einem das Leben einfach Wachstumsaufgaben in den Weg. Was dabei in der Gesellschaft oft fehlt, seien die Alltagsgespräche mit anderen. „Ich glaube, viele Anrufer haben vielleicht noch nie eine positive Erfahrung mit anderen gemacht oder durch traumatische Erlebnisse in der Kindheit nie gelernt, auf alltägliche und wunderbare Art und Weise Beziehungen aufzubauen und zu pflegen.“ Eine Freundschaft, ein lieber Mensch – etwas, das SOS Détresse zwar nicht ersetzen kann, dessen Wirksamkeit aber mit oftmals scheinbar banalen Fragen wenigstens etwas nachgeahmt werden kann.

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