Zug der Hoffnung

Von Philippe Schockweiler Für Originaltext auf Englisch umschalten

Seit März transportiert ein von der ukrainischen Eisenbahn in Zusammenarbeit mit Ärzte ohne Grenzen und der ukrainischen Regierung betriebener Zug Patient*innen aus den umkämpften Gebieten im Osten der Ukraine zur Behandlung in die Westukraine. Das Lëtzebuerger Journal hat sich vor Ort ein Bild von der Situation gemacht.

Ein Güterzugbahnhof in der Westukraine. Die Mittagssonne im August brennt unbarmherzig auf den Schotter und Beton des alten Güterbahnhofs. Die Luft ist erfüllt von der Harmonie der stumpfen Geräusche der gegeneinander hämmernden Zugkupplungen und der Güterwaggons, die mühsam über die alten Gleise fahren. Wie aus dem Nichts tauchen ein Dutzend Krankenwagen auf der Frachtplattform auf, der Kies knirscht leise unter den Reifen. Die Krankenwagen kommen aus Berlin, Polen und von den ukrainischen Rettungsdiensten, und sie alle warten auf dem Bahnsteig auf „den Zug“ und ihre Patient*innen. Es ist eine Demonstration der internationalen Solidarität inmitten eines Krieges, der keine Gnade für die Zivilbevölkerung kennt.

Als die Krankenwagen auf den Frachtplattformen parken, steigen auch ihre Besatzungen aus. Es sind meist junge Freiwillige, mit tätowierten Armen, Sonnenbrillen und einem eifrigen Gesichtsausdruck, entschlossen zu helfen. Sie haben ihre Jobs als Ärzte, Anästhesiekrankenpfleger*innen, Fahrer*innen von Sanitätsfahrzeugen und Feuerwehrleute an den Nagel gehängt, um in der Ukraine zu helfen. Auch wenn die Krankenwagen genauso aussehen, wie die zu Hause, so ist doch fast jeder von ihnen mit einem Gestell mit kugelsicheren Westen und ballistischen Helmen ausgestattet. Denn der Angreifer unterscheidet nicht. Der Zug mit seinen charakteristischen blauen Waggons und den verspiegelten Fenstern kommt mit nur zehn Minuten Verspätung an und quietscht leise bei der Einfahrt in den Terminal, nachdem er eine weitere 24-stündige Fahrt vom Osten der Ukraine in den Westen des Landes hinter sich gebracht hat – ein kleines Wunder, aber ein Bahnangestellter lächelt nur und sagt: „Wir versuchen, die Züge hier pünktlich fahren zu lassen.“

Ärztin Albina und ihre Patient*innen

Eine der Ärzt*innen, die unermüdlich um das Leben der Patient*innen an Bord kämpft, ist Doktor Albina. Sie ist eine ukrainische Fachärztin für innere Medizin und Notfallchirurgin. Wie die meisten Ärzt*innen, die für die unabhängige Organisation arbeiten, unterstützt sie Ärzte ohne Grenzen (MSF) ehrenamtlich bei ihrer Mission. „Neben Kriegsopfern transportieren wir auch Menschen mit kompliziertem Diabetes mellitus, mit massiven kardialen Ereignissen, Arteriosklerose oder komplizierten Krebserkrankungen“, erklärt sie, während sie dem Lëtzebuerger Journal die verschiedenen Waggons und die unterschiedlichen Behandlungsmöglichkeiten zeigt, die der Zug bietet. Als der Krieg begann, arbeitete sie in einem Krankenhaus und sah die Auswirkungen des Krieges auf die Zivilbevölkerung mit eigenen Augen. MSF ist seit 1999 in der Ukraine aktiv. Am 25. März, einen Monat nach dem Einmarsch Russlands, beschloss die NGO, ihre Präsenz in der Ukraine neu zu bewerten und ihre Einsätze massiv auszuweiten. Gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium in Kyjiw und der ukrainischen Eisenbahn wurde ein System von medizinischen Überweisungszügen entwickelt. Als der erste Zug aufbrach, um Patient*innen abzuholen, war Dr. Albina eine der ersten Ärzt*innen, die sich freiwillig bei der Organisation meldete.

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