Grenzen des Errötens
Von Jesse Dhur, Lex Kleren, Pit Reding Für Originaltext auf Englisch umschaltenScham ist ein treuer Begleiter der Menschheit seit den Anfängen der Zivilisation, im Guten wie im Schlechten. In der Tat kann uns dieses Gefühl sowohl demütigen als auch bestärken. Im Bereich der Sexualität ist die Ambivalenz besonders deutlich. Das Journal hat sich mit diesem allzu menschlichen Gefühl beschäftigt.
„Filipa, du bist keine Heilige“ lautet der vielsagende Titel des Kunstwerks, das Ana-Filipa Martins zu ihrem bisher wichtigsten schamfreien Moment verhalf. Das Foto zeigt ein ikonisiertes Porträt der 28-jährigen Frau, deren nackter Körper, kaum von einem glänzenden weißen Tuch bedeckt, eine Anspielung auf das archetypische binäre Frauenbild, das zwischen sexueller Reinheit und Begehrlichkeit schwankt. „Es ging mir darum, mich zu entblößen“, sagt die mit doppelter Staatsbürgerschaft Luxemburgerin und Portugiesin. „Damit mich niemand mehr auseinandernehmen kann.“
Das Porträt, das Teil der Serie ihres Freundes und Fotografen Bruno Oliveira mit dem Titel „Atreve-te“ (portugiesisch: „Wage es“) war, die letztes Jahr im Tramschapp ausgestellt wurde, sei Ana-Filipas kühner Versuch gewesen, sich zu trauen, das auszudrücken, was sie ist, und nicht, was andere von ihr erwarten. Während andere das Bild oder sie selbst als Fauxpas beurteilen könnten, sei es für sie ein Akt der Selbstermächtigung gewesen, eine Befreiung von toxischen Schamrelikten, die mit weiblichen Körperbildern und Verhaltenserwartungen verbunden sind. „Ich hatte überhaupt keine Zweifel daran. Es ist derselbe Körper, der jeden Tag unter Schichten von Stoffen versteckt wird“, erklärt die Kalligrafiekünstlerin und politische Koordinatorin von déi Lénk. „Um all meine Schamängste auf die Probe zu stellen, wollte ich das Ding so groß wie möglich machen.“
Zwischen Selbstverstümmelung und Selbstbefreiung
Fast lebensgroß gedruckt und sogar vom Großherzog begutachtet, war das Foto in der Tat eine große Sache. Obwohl das Projekt im Besonderen und ihre Kunst – Kalligraphie-Collagen mit oft feministischen Botschaften – im Allgemeinen Ana-Filipa geholfen hätten, ihre oft selbstsabotierende innere Stimme ein wenig mehr zum Schweigen zu bringen, habe sie sie nicht ganz zum Schweigen gebracht. Und das ist ihrer Meinung nach auch gut so: „Die Scham hält mich auch wach, selbstreflektierend und respektvoll. Sowohl in der Kunst als auch im Leben.“
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