Warum weint Grande-Duchesse Charlotte? Wo steht dieser Kirchturm? Und wer knutscht hier vor laufender Kamera? Anne Schroeder hat sich diese Fragen beim Anblick von filmischem Archivmaterial gestellt, Antworten gesucht und gefunden.
Anne Schroeder ist vielen als Filmemacherin, Cutterin, Produzentin und Lehrerin ein Begriff. Was Filmszenefremden jedoch weniger bekannt sein dürfte, ist der Umstand, dass sich in Luxemburg wohl kaum jemand anderes finden lässt, der derart viele Stunden mit den Familienfilmarchiven im Düdelinger Centre National de l’audiovisuel (CNA) verbracht, sie eingehend studiert und weitreichende Recherchen zu deren Inhalten angestellt hat. Das Resultat dieser alles andere als leichten Spurensuche schlägt sich unter anderem in ihren Dokumentarfilmen histoire(s) de jeunesse(s) (2001), histoire(s) de femme(s) (2018) und dem diesjährig in Dubai gezeigten Inspiring Women of Luxemburg – Past, Present and Future nieder. Schroeder nimmt sich also seit Jahrzehnten „großen“ Themen an, indem sie sie anhand von minutiös zusammengetragenen Zeitdokumenten multiperspektivisch beleuchtet. Die Dokumentarfilmerin sammelt gewissermaßen unzählige Blicke auf ein und dasselbe Thema, um einseitigen Interpretationsansätzen die Stirn zu bieten. Wie ihre Quellenarbeit vonstatten geht, auf welche Hindernisse und Schätze sie dabei trifft und welche neuen Befunde man aus alten Bewegt-Bildarchiven ziehen kann, darum geht es in diesem Artikel.
Vor den Augen der Betrachter*innen treffen auf der Leinwand im Sekundentakt Lippen aufeinander. Zwei Menschen, augenscheinlich ein Paar, sitzen an einem lauen Sommertag auf einer Wiese. Auf den flimmernden Schwarz-Weiß-Bildern greift der Mann die Frau mit unverhohlenem Elan am Genick und verpasst ihr etwas, das man eher als saftigen Schmatzer denn als leidenschaftlichen Kuss bezeichnen würde. Wer die beiden sind, was sie verbindet und wie dieser eigentlich intime Moment auf die Filmrolle gelangte, erschließt sich dem Publikum nicht auf Anhieb. Zu verstehen, was sich hinter den einzelnen Familienfilmen aus dem CNA verbirgt, setzt je nach Fall voraus, dass man zuvor zahllose Stunden im stillen Kämmerlein vor dem Bildschirm, am Telefon oder mit dem Kopf zwischen Buchdeckeln verbracht hat. Hiervor scheut sich Anne Schroeder nicht. Sie reizt an dieser intensiven Vorarbeit, die für die Zuschauer*innen unsichtbar bleibt, dass sie eine spannende Reise ins Ungewisse bedeuten kann: „Man definiert – wie bei anderen Recherchen auch – seine Ausgangspunkte, stellt Thesen auf und kann aber im Vorhinein nie genau wissen, wo man letztlich hingelangen wird.“
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